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Die Schulnoten werden immer besser.

© dpa

Bildung nach Noten: Zensuren sind nur Indizien

Jungen Menschen durch möglichst gute Schulnoten möglichst gute Lebenschancen zu eröffnen, hat eine ehrenwerte Motivation. Dennoch bedeutet es eine Entwertung der Bewertung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Sind die deutschen Schulnoten zu gut? Dauernd machen wir uns Sorgen um den Zustand nicht nur der Berliner Schulen. Sorgen uns um Gewalt in den Pausen und selbst im Unterricht. Um angegriffene Lehrer, ausgefallene Stunden, um angeblich überforderte oder offenkundig zu wenig geförderte Schüler.

Und da sagt der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, dass die von ihm vertretenen Pädagogen offenbar zu milde zensierten. In der „Bild“-Zeitung verweist der Oberlehrer auf Länder wie Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen, in denen die Abiturnoten immer besser würden, ja, in Berlin habe sich die Zahl der Einser-Abiture im vergangenen Jahrzehnt sogar vervierzehnfacht.

Diese Zahlen sind nun nicht neu, sie wurden bereits im Juni 2015 zuerst im „Spiegel“ veröffentlicht. Doch der Trend hält wohl an. Jungen Menschen angesichts von vollen Universitäten mit einer Vielzahl von Numerus-clausus-Fächern durch möglichst gute Schulnoten möglichst gute Lebenschancen zu eröffnen, hat eine ehrenwerte Motivation. Dennoch bedeutet es eine Entwertung der Bewertung. Das setzt sich an den Universitäten fort, wo Abschlussnoten häufig schon im Hinblick auf künftige Bewerbungen der Studierenden auf dem Arbeitsmarkt gegeben werden. Ein Bildungs-Siegel gilt mehr denn je als Tor zur Welt.

Unzählige Debatten und Reformen

Vor gut 50 Jahren hatte in Deutschland der Pädagoge Georg Picht die „Bildungskatastrophe“ ausgerufen und der Soziologe und Politiker Ralf Dahrendorf darauf die Losung formuliert: „Bildung ist Bürgerrecht.“ Die SPD wollte, dass mehr Arbeiterkinder studieren, und die Grünen wünsch(t)en mehr Frauen und Migranten mit Abitur und Uni-Bildung. Seitdem gibt’s im Bund und den zuständigen Ländern unzählige Debatten und Reformen, von der Vor- und Grundschule bis zur Hochschule. Hinzukommen die EU-Initiativen, der Bologna-Prozess, die Pisa-Studien oder die OECD-Berichte zum Bildungsstand weltweit. Im internationalen Ranking repräsentiert da Deutschland – außer in einzelnen universitären Exzellenzbereichen – meist nur solides, manchmal auch wackliges Mittelmaß. Keine Katastrophe. Aber.

Aber immerhin studieren in Deutschland mittlerweile rund die Hälfte aller Schulabgänger. Was Teile der Wirtschaft, vor allem das Handwerk, dem Fachkräfte fehlen, für ziemlich luxuriös und wirklichkeitsfremd halten. Andererseits meint der Münchner Bildungsforscher und Vorsitzende des Wissenschaftsrats Manfred Prenzel: „Die Daten sagen uns, dass Akademiker mehr verdienen, seltener arbeitslos sind, länger leben, glücklicher sind.“

Noten sind dennoch nicht alles. Sie sind allenfalls Indizien. Und leider sind die inflationär vermehrten Einser-Abiturienten nicht klüger als jene, die von einem solchen Superlativ früher nur träumen konnten. Freilich waren Karrieren auch einfacher, als noch das bildungsbürgerliche Elternhaus die Wege durch Schule und Beruf erleichterte. Indes konnte mit Fleiß und Begabung ein Johannes Rau auch Bundespräsident werden. Ohne Abitur. Umso unterirdischer wirkt darum eine jetzt gleichfalls angezettelte Diskussion um die mangelnde Hochschulreife von Martin Schulz. Der sechs Sprachen sprechende, historisch versierte EU-Parlamentspräsident war einst Buchhändler und seine Universität das Leben. Distinktion heißt eben nicht Dünkel.

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