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Kultur: Wolken ziehen

Die Kammerakademie Potsdam mit Beethoven.

Man müsste öfter nach Potsdam fahren. Nicht nur wegen der Schlösser, sondern auch um Musik zu hören. Mit dem Nikolaisaal hat die brandenburgische Landeshauptstadt seit 14 Jahren einen außergewöhnlichen Konzertort zu bieten. Er liegt ein wenig versteckt im Barockviertel am Stadtkanal. Doch wer in der Wilhelm-Staab-Straße 10 den Torbogen durchschreitet, wird im Hinterhof von einem modernen 725-Plätze-Saal überrascht, mit witzigen Wandwobbeln und von Pril-Blumen übersäten Sitzbezügen.

Hier hat die Kammerakademie Potsdam ihren Stammsitz. Hier haben die Musiker mit ihrem Chefdirigenten Antonello Manacorda ihren Schubert-Sinfonien-Zyklus vorbereitet, der bei Sony erscheint. Hier widmen sie sich gerade intensiv Ludwig van Beethoven. Dessen vierte und fünfte Sinfonie liegen beim Gastspiel der Potsdamer im Berliner Kammermusiksaal auf den Pulten. Das ist mutig. Denn wer mit diesem Repertoire am Kulturforum auftritt, sollte wirklich etwas Neues zu sagen haben.

Und, wow, das haben Antonello Manacorda und seine Truppe: Äußerlich klingt das nach historisch informierter Aufführungspraxis, mit ventillosen Bläsern, trockenem Paukenklang, minimiertem Streichervibrato. Aber ihr Zugang zu Beethoven ist nicht dogmatisch, sondern ganz organisch. Detailfreudig durchleuchten sie die Struktur, beleben das Notenmaterial als wirkliches Solistenensemble, bei dem sich jeder für das Gesamtgelingen verantwortlich fühlt. Vor allem in den Kopfsätzen entsteht dabei Kino im Kopf: Als würde jeder neue Takt den vorhergehenden überschreiben, tritt die Einleitung der Vierten auf der Stelle, bevor sich eruptiv Frühlingsgefühle Bahn brechen. Toll die akustischen Zoomeffekte, wenn Manacorda immer wieder ins Aus-weiter-Ferne-Pianissimo fällt. In der Fünften unterbleibt alles romantisch Dramatisierende, geht es nur um die tönend bewegte Form: eine Wolkenbeobachtung bei scharfer Brise, unendlich vielfältig zwischen leuchtend und bedrohlich, Zirrus und Kumulus.

Ab dem 13. Februar veranstaltet die Kammerakademie im Nikolaisaal einen Beethoven-Marathon mit allen Sinfonien an vier Tagen. Man müsste öfter nach Potsdam fahren. Frederik Hanssen

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