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Silbern spiegelnder Edelstahl, darunter ein nachhaltiger Holzbau. Das Apartmenthotel am Kurfürstendamm.

© Marcus Bredt

Wo die Lollo Champus schlürfte: Berliner Neubau in Silber und nachhaltigem Holz

Am Kurfürstendamm 210 stiegen einst Berühmtheiten ab. Dann kam die Abrissbirne. Der Nachfolgebau erinnert an die große Vergangenheit

Gerne würde man das Haus Kurfürstendamm 210, zwischen dem Maison de France und der schon lange gähnenden Baugrube des Theaters am Kürfürstendamm gelegen, als wunderbar restauriertes Haus der Belle Epoque sehen. Doch der prächtig dekorierte Altbau, der den Krieg unbeschadet überstanden hatte, wurde 1968 abgerissen, trotz vehementer Protestaktionen von Studenten und Professoren der TU und einer Unterschriftenaktion, die 2000 Unterstützer fand. Immerhin, der Aufruhr führte dazu, dass der Landeskonservator in der Folge alle noch existierenden Vorkriegsbauten am Kurfürstendamm unter Denkmalschutz stellte.

Das Haus 210 indes entstand neu nach Plänen von Heinz Kroh als Betonskelettbau mit einer schlichten Fassade aus Bandfenstern und Marmorplatten – und steht heute seinerseits unter Denkmalschutz. Mit sieben Laden-, Büro- und Wohngeschossen sowie einer zweigeschossigen Tiefgarage im Hof war es zweifellos von Anbeginn ertragreicher als der Altbau.

Als der schwäbische Immobilienunternehmer Herbert Metzger, der Mitte der 70er Jahre in die Betreibergesellschaft Büroma eingestiegen war und sie später schrittweise übernommen hatte, das Haus sanieren und erweitern wollte, befasste er sich mit der Geschichte und der Kultur des Grundstücks und war so fasziniert, dass er daraus ein Geschäftsmodell machen wollte.

Der Vorgängerbau hatte eine illustre Vergangenheit

Denn der Vorgängerbau hatte eine illustre Vergangenheit. Er durchlebte intensiv die turbulenten 20er Jahre ebenso wie die bleierne NS-Zeit. Wie in allen Häusern am Kurfürstendamm fand sich eine erstaunlich bunte Mietervielfalt zusammen. Im Adressbuch stehen Rentier, Witwe, Hofrat, Gräfin, Oberlehrer, Architekt, Arzt, Bankbeamter, Makler, Fabrikant, Prokurist, Modeschöpferin und Maler.

Die berühmte Operndiva Gemma Bellincioni gab in ihren späten Jahren Gesangsunterricht. Generaloberst Graf von Schlieffen, der den „Schlieffen-Plan“ zum Ersten Weltkrieg erdacht hatte, wohnte hier nach seiner aktiven Zeit. Zahnarzt Oskar Weski führte den Begriff „Paradontose“ (später Parodontose) in die Zahnmedizin ein. Die Republik Cuba und der Staat Hessen hatten hier ihre Gesandtschaften am Preußischen Hof.

Axel Juncker betrieb seinen Verlag; er hatte Kurt Tucholsky, Rainer Maria Rilke und Else Lasker-Schüler im Programm. Die aus Ungarn stammende Schauspielerin Alexa von Porembsky lebte seit 1933 im Haus und war bis 1981 an Berliner Theatern, auf der Leinwand und in Fernsehserien präsent. Sie hatte wohl eine von mehreren Wohnungen bezogen, die durch die Verfolgung der Juden frei geworden war.

Hildegard Knef war Stammgast in der Hongkong Bar.
Hildegard Knef war Stammgast in der Hongkong Bar.

© Hubert Link/picture alliance / dpa

Theater und Kintopp wie in vielen Nachbarhäusern hatten auf dem beengten Grundstück keinen Platz, dafür Luxusgeschäfte für Feinkost und Pelze, in den Obergeschossen feine Mode- und Miedersalons. Das vornehme Tanzcafé Roesch existierte von 1928 bis 1953. Vier Jahre später eröffnete Hak Ming Yue die Hongkong Bar, die er von dem Architekten Chen Kuen Lee als modernes Jazz- und Tanzetablissement im schwungvollen Stil der 50er Jahre ausgestalten ließ. Lee hatte übrigens bei Poelzig und Scharoun gearbeitet und später Wohnhäuser am Schlachtensee und zwei Wohnblocks im Märkischen Viertel gebaut. Die Hongkong Bar wurde zum Treffpunkt der High Society und sah Politiker wie Willy Brandt und berühmte SchauspielerInnen wie Hildegard Knef als Stammgäste.

Nachdem das Haus 1968 abgerissen wurde, blieb Hak Ming Yue dem Standort treu und eröffnete im Neubau ein neues Hongkong, nun im ersten Obergeschoss und als traditionell dekoriertes Chinarestaurant. Auch die Prominenz blieb ihm treu. Besonders zur Berlinale verbrachte Nachbar Atze Brauner bei ihm die Abende und Nächte. Gina Lollobrigida, Senta Berger und Richard Burton wurden gesehen, deutsche Prominenz von René Kollo bis Otto Waalkes, Dirigenten wie Vladimir Ashkenazy und Seiji Ozawa, Politiker aller Couleur von Otto Schily bis Heinrich Lummer gingen ein und aus.

Egon Bahr besaß eine konspirative Wohnung unterm Dach

Manchmal saß, immer am selben kleinen Tisch in der Ecke, Egon Bahr, rauchte seine Pfeife und studierte mitgebrachte Akten. Was niemand wusste: Bahr hatte einen kurzen Heimweg, per Lift, denn er bewohnte ein kleines Penthouse auf dem Dach. Eine konspirative Wohnung sozusagen, zugänglich ungesehen über die Tiefgarage. Man munkelt, er habe da Unterhändler aus Ost-Berlin empfangen, oder auch mal Damenbesuch…

Weniger geheim waren Harald Juhnkes Besuche als Stammgast im King’s Pub. Der gelernte Croupier Hans-Peter Becker hatte im Erdgeschoss 1969 eine Bar mit kleinem Spielkasino eröffnet, mit Originalausstattung aus England. Die Kasinolizenz wurde zwar eingezogen, als Berlin 1975 eine eigene Spielbank eröffnete, doch die erfolgreiche Bar mit Öffnung bis zum frühen Morgen blieb. Sechs Guinness waren Juhnkes Standardration, dazu eine Handvoll Zigarren.

Man müsse doch diese Geschichte und Geschichten des Grundstücks in Erinnerung behalten, dachte Herbert Metzger, und macht sie nun zum Thema seines MAVO Apartmenthotels. Auch eine Tradition: Etagenhotelnutzung gab es im Haus seit 1927. Nun sind es Apartments für längere Aufenthalte, die in den oberen Stockwerken eingerichtet sind.

Hinzu kam ein Neubau im Hof, ein achtgeschossiger Seitenflügel mit Gewerberäumen in den beiden unteren Geschossen und sechs Etagen Apartments bis unters Dach. Dass es sich um einen nachhaltigen Holzbau handelt, sieht man ihm nicht an. Die Architekten Schmitt von Holst haben ihn mit spiegelnd poliertem Edelstahl verkleidet. Im Inneren allerdings tragen Holzmassivdecken in den 23 Apartments zu einer angenehmen Atmosphäre bai. Eine Lounge, gestaltet von den international renommierten Designern Ippolito Fleitz, verbindet Bestand und Neubau. Hier wie überall im Haus tauchen schemenhaft die Figuren aus der Vergangenheit auf, als verfremdete Wandgemälde in den Fluren. Die Geschichte des Hauses ist präsent und die Erinnerung soll weiterleben.

Herbert Metzger, der mit seiner Stiftung auch als Kulturmäzen agiert, will im Haus Veranstaltungen abhalten. Für die Brandwand des Nachbarhauses im Hof hat er einen Künstlerwettbewerb durchgeführt und ließ sie von der Gewinnerin Claudia Scheffler bemalen. Denn der durch die Passage zugängliche Hof ist begrünt, öffentlich zugänglich und soll ein Café aufnehmen. Die Spiegelfassade sorgt für mehr Licht im Innenhof.

Zurzeit stehen die Gewerbeflächen im Erdgeschoss noch leer. Metzger braucht einen langen Atem, denn wegen der Großbaustelle nebenan lassen sie sich nicht vermieten. Der missliche Zustand wird durch den Baustillstand noch Jahre andauern. Der Hotelbetrieb des MAVO LAB läuft, aber für das Erdgeschoss sind kulturelle Interimsnutzungen geplant.  

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