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Verfolgt vom Urgroßvater und seinen Kumpanen: Im Forums-Beitrag „Shahid“ (mit Baharak Abdolifard) wird die iranisch-stämmige Filmemacherin von ihrer Vergangenheit heimgesucht.

© Leonie Huber

Was sehen wir, wenn wir nach Hause schauen? : Der Iran und ich – Autobiografisches auf der Berlinale

In „Shahid“, „My Stolen Planet“ und „Was hast du gestern geträumt, Parajanov“ befragen Iraner:innen im Exil sich selbst und die Geschichte ihres Landes.

Eine nackte Frau, umgeben von tanzenden Mullahs. Eine Aktivistin, die alte Aufnahmen von Frauen scannt. Ein Kameramann in Berlin im Videocall mit den Eltern in Isfahan. Alle drei Filmemacher:innen stammen aus dem Iran und leben in Deutschland, alle drei machen sich ein Bild von sich und ihren Wurzeln.

In Shahid ist das Bild ein wilder Genremix. Regisseurin Narges Shahid Kalhor möchte ihren mittleren Namen loswerden, der auf ihren Urgroßvater zurückgeht. „Shahid“ heißt „Märtyrer“, ihr Vorfahre starb einst als Held. Mit solch patriarchalen Traditionen will sie nichts zu tun haben.

Vor der Kamera wird Kalhor von der Schauspielerin Baharak Abdolifard verkörpert. Auf dem bayrischen Amt bittet ihr Alter Ego um die Tilgung des Namens, sie muss zum Psychologen, um sich die Traumatisierung durch den Namen bescheinigen zu lassen. Unentwegt wird sie von Narges‘ Urgroßvater und dessen Kumpanen heimgesucht, eine verschwörerische Tanzkompanie, die sie bis auf die Straße verfolgt. Während ein Punkpädagoge die iranische Geschichte vor bunten Wandbildern performt, ist die Filmcrew meist überfordert. Die Schauspieler amüsieren sich:  Diese „rich kids“, die befreundet sind und einander am Ende Preise verleihen!

Ein Film im Film, changierend zwischen Dokufiction, Musical, Nachtmahr, Groteske und Blicken hinter die Kulissen der Bavaria-Filmstadt. Während Kalhor Gedankenverwirrspiele über Weiblichkeit, Männerdominanz und die eigenen Irrtümer anstellt, erkundet Farahnaz Sharifi in My Stolen Planet (Panorama) mittels privater Videos ihr Geburtsjahr 1979, das Jahr der iranischen Revolution. Und sie erkundet, was den Frauen widerfahren ist, seit sie gezwungen sind, den Hijab zu tragen.

Sharifi begriff schon als Mädchen, dass es zwei Planeten gibt: den der Männer draußen, und den der Frauen hinter verschlossenen Türen. Früh fing sie an, Familienfeste, Partys mit Freunden und den häuslichen Alltag zu filmen. Wie eine Süchtige, so sagt sie, sammelte sie auch andere Homemovies und Fotos derer, die auswandern mussten und deren Hab und Gut konfisziert wurde.

Zerkratzte, zerfressene Aufnahmen, verwackelte, grobkörnige Bilder, oft ohne Ton: stumme archäologische Zeugnisse einer verstohlenen Freiheit. „My Stolen Planet“ fördert eben das Frauenleben zutage, welches das Regime untersagt hat.

Verbotene Bilder: Szene aus „My Stolen Planet“ von Farahnaz Sharifi, Berlinale-Forum 2024
Verbotene Bilder: Szene aus „My Stolen Planet“ von Farahnaz Sharifi, Berlinale-Forum 2024

© Farahnaz Sharifi

Sharifis Mutter hat Alzheimer. Der Film rekonstruiert auch für sie eine Chronik der Ereignisse, die dem gewaltsamen Tod von Jina Masha Amini vorausgingen. Vom Kampf um Stadion-Zugang für Frauen bis zur Pandemie mit dramatischer Todesrate, weil westliche Impfstoffe verboten sind. Folgen Demos, Razzien, Verhaftungen. Sharifi verliert ihren heimlichen Planeten, seit 2022 lebt sie selbst im Exil.

Wer sind all die singenden, tanzenden Frauen in der found footage? Sharifi macht eine von ihnen ausfindig. Leyla, die jung nach Kanada emigriert war, sagt im Videocall, sie habe den Iran nie verlassen. Das gilt wohl auch für den Berliner DFFB-Absolventen Faraz Fesharaki, preisgekrönter Kameramann des georgischen Films „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ (Berlinale-Wettbewerb 2021). Was sehen wir, wenn wir nach Hause schauen?

Die Eltern, unscharf im Videocall: Hasan Fesharaki und Mitra Kia in „Was hast du gestern geträumt, Parajanov?“ 
Die Eltern, unscharf im Videocall: Hasan Fesharaki und Mitra Kia in „Was hast du gestern geträumt, Parajanov?“ 

© DFFB

Seit 2012 lebt er in Berlin und kommuniziert via Skype mit seiner Familie in Isfahan. Jetzt hat er die Aufzeichnungen zum Videotagebuch montiert. Der Titel Was hast du gestern geträumt, Parajanov? (Forum) greift eine Frage des Vaters auf. „Isst du auch genug?“, will die Mutter wissen, um später von ihrer Haftzeit zu erzählen. Online-Plaudereien mit losen Enden, Politpalaver mit dem Cousin, der in Linz Komposition studiert, private Momente, die vorsichtig politisch werden: In der Unschärfe der Webcam-Bilder steckt auch die Angst vor dem Regime.

Fesharaki hofft, so sein Statement zum Film, dass die Zuschauer begreifen, „wie der Generation meiner Eltern die geliebte Revolution gestohlen wurde, wie die folgende brutale Unterdrückung nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Kinder ruiniert hat.“ Es hört ja nicht auf: Das Regie-Duo des iranischen Wettbewerbsfilms, der an diesem Freitag gezeigt wird, durfte nicht zum Festival anreisen. Die Regisseur:innen der autobiografischen Filme bieten der Unterdrückung die Stirn, indem sie ihre Biografie befragen und sich nicht dabei schonen.

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