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Kultur: Vorspeise Münzsuppe

Apokalypse an der Adria: Edo Popovic erzählt von einer nahen Zukunft.

Wirtschaftwachstum und die Freude vieler Menschen am Konsum – das könnte in absehbarer Zeit das Ende des Planeten Erde bedeuten. So prophezeien es jedenfalls einige, an der Idee der Nachhaltigkeit geschulte Wirtschaftswissenschaftler wie Tim Jackson: „Wichtig ist, dass man den Menschen gangbare Alternativen zum Lebensstil als Konsument anbietet.“ Im Roman „Der Aufstand der Ungenießbaren“ von Edo Popovic geht es nicht mehr um Alternativen, sondern schon um eine Endzeitvision des unersättlichen Spätkapitalismus. Sie findet auf dem Terrain des ehemaligen Jugoslawien statt. Denn das vom Autor beschriebene Kroatien des Jahres 2020 ist ein „parzelliertes und verwüstetes“ Stückchen Erde. Die adriatische Küste und die Inseln gehören Offshore-Firmen und Banken; Zagreb oder Dubrovnik sind von Mauern umgeben und in einer „Holding“ verbunden.

Das Gebiet außerhalb der Umzäunung wird „Zone“ genannt: „Es ist ein Niemandsland. Alles, was die Holding nach dem Verschlucken verdaut, endet dort, und auch all das, was keinen Profit bringt: die Deponien für nuklearen, chemischen, medizinischen und kommunalen Müll, die öffentlichen Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen und Universitäten, die Theater, Armen- und Waisenhäuser, Obdachlosenunterkünfte, überschüssige Arbeitskräfte, Alte, Kranke, unfruchtbare Erde.“

In diesem „Niemandsland“ lebt die Gruppierung der „Ungenießbaren“, für die in der Gesellschaft kein Platz mehr ist. Sie holen sich ihr Essen aus den Müllcontainern der Supermärkte. Aus der anfänglichen Haltung der Systemverweigerung entsteht allmählich Terrorismus: Leitende Mitglieder der „Holding“ werden von den „Ungenießbaren“ entführt und umgebracht. Zuvor werden sie mittels physischer und psychischer Quälerei über die Nichtswürdigkeit ihrer Existenz belehrt: „Sind sie hungrig?, fragte er und stellte das Tablett auf den Boden. Haben Sie immer noch Hunger nach Geld? Heute gibt es Münzsuppe. Das Hauptgericht besteht aus einem Kreditkartengrillteller, die Kreditkarten wurden von einem Ihrer Kollegen gespendet, der sie nicht mehr braucht, und auch wir brauchen sie nicht.“

Popovic zeigt sich in diesem Buch als kühler Chronist: Das ist nicht die sprachspielerische und ironische Tonlage des kroatischen Kultautors, wie man sie aus „Mitternachtsboogie“ oder „Ausfahrt Zagreb-Süd“ kennt. Man könnte den Roman, der thematisch von der Globalisierungskritik grundiert wird, auch „Bekenntnisse dreier Aktivisten“ nennen – deren Innenansichten sind spannend zu lesen.

Aus westlicher Perspektive erscheint die Rücksichtslosigkeit, mit der die „Holding“ agiert, fast wie ein alter kapitalistischer Hut. Doch für das Gebiet des ehemaligen Jugoslawien sind die beschriebenen Umwälzungsprozesse immer noch aktuell – mitsamt den daraus resultierenden mafiösen Strukturen. Aus der Beschreibung dieser Umbruchsituation entsteht die Intensität des Buches.

In 20 Kapiteln wird aus wechselnden Perspektiven erzählt: Der Ich-Erzähler Vanca gehörte einst zu den „Ungenießbaren“, aus Protest gegen das Morden hat er die Gruppe verlassen. Außerdem hatte ihm „Gärtner“, das Pseudonym eines neu dazugekommenen Mitglieds, seine esoterische Freundin mit dem schönen Kunstnamen „Fraktalfrau“ ausgespannt. Jetzt ist Vanca im Auftrag der Witwe eines Ermordeten auf der Suche nach seinen ehemaligen Mitkämpfern, den Kopf voller melancholischer Gedanken.

Ein anderer Handlungsstrang geht auf den Balkankrieg und seine Folgen zurück – dieses Thema ist in vielen Büchern von Popovic präsent. Er war von 1991 bis 1995 einer der bekanntesten Kriegsberichterstatter Kroatiens. In diesem Roman lässt er den bosnischen Serben Jokic und den Kroaten Vida in den einsamen Bergen Kroatiens zusammentreffen. Im Krieg hatten sie einst gegeneinander gekämpft – wofür, wussten beide nicht. Und für Heldentum war erst recht kein Platz: „Weißt du was, dort in Bosnien habe ich begriffen, dass all das nicht existiert, die richtige Seite, die falsche Seite, meine Leute, deine Leute, unsere Leute, eure Leute, wir, sie, die Orthodoxen, die Katholiken, die Kroaten, die Serben, all das sind Worte, nur leere Worte, mit denen man uns erschrecken und verrückt machen will.“ Der Krieg hat ihr Leben durcheinandergebracht, und Popovic zieht ein bitteres Resümee aus der jüngsten Geschichte des ehemaligen Jugoslawien: „Hier werden die Dinge nie wieder in Ordnung kommen.“

Edo Popovic:

Der Aufstand

der Ungenießbaren.

Roman. Aus dem

Kroatischen von

Alida Bremer.

Luchterhand Verlag, München 2012.

189 Seiten, 17,99 €.

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