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Daniel Barenboim

© dpa

Die Wiener Philharmoniker spielen Mahlers Neunte: Von wegen Abschied

Lebensbejahend: Daniel Barenboim dirigiert Mahlers Neunte mit den Wiener Philharmonikern bei den Festtagen der Staatsoper.

Man möchte sich nicht ausmalen, wie viel Probenzeit die Wiener Philharmoniker und Daniel Barenboim, der Mensch mit dem wahrscheinlich gigantischsten Arbeitspensum im ganzen Klassikbetrieb, tatsächlich hatten. Zu Beginn dieser Staatsopern-Festtage-Aufführung von Gustav Mahlers 9. Symphonie in der Philharmonie scheinen sie sich jedenfalls noch zusammenraufen zu müssen, fremdeln miteinander. Was sich schnell legt. Der erste Satz, Andante comodo, klingt für Wiener Verhältnisse überraschend fortschrittlich, glättet das Zerfledderte und Gerupfte Mahlers nicht, stellt es vielmehr aus. Die sich zunehmend ins Fratzenhafte auswachsenden Ländler und anderen Tänze des zweiten Satzes klingen bei Barenboim fröhlich, vergnügt, atemlos, erst zum Ende hin, wenn das Fest vorbei ist, tappsen und torkeln die einzelnen Stimmen wie betrunken aus dem Raum.

Noch mal dämonisch zugespitzt der dritte Satz, ein burleskes Rondo. Die Wiener greifen Barenboims Impulse gut auf, überall wuselt’s und kreucht’s, in den langsamen Passagen ähneln die so kunstvoll verflochtenen Motive Schlingpflanzen, in den schnellen einer flatternden Voliere. Trotzdem bleibt jedes Detail transparent, nichts geht verloren, alles wird aufgelesen, während sich die Klangmasse aufs Ende des Satzes zuschiebt, in der Mitte nochmal ein Plateau der Ruhe erreicht und dann mit enormem Tempo auf die Zielgerade einbiegt, ohne aus der Kurve zu fliegen.

Dieser Finalsatz klingt ganz und gar nicht nach Adieu

Dass Mahler mit der Neunten seinen eigenen Tod, seinen Abschied vorausahnend komponiert habe, ist ein Topos, an dem man kaum vorbeigehen kann, zu sehr klingt das Werk nach Zerfall und Adieu. Ein Bild, das allerdings fast ausschließlich vom Finalsatz geprägt wurde. Die anderen drei Sätze brodeln vor Energie, sind durchaus lebensbejahend. Eine Spur, die Barenboim und die Wiener auch im Adagio weiterverfolgen. Kurze Pause zur Sammlung, der Schalter wird umgelegt, jetzt kommen die unendlich langen, schwebenden Linien der Streicher, die Bläser durften sich (mit fünf Hörnern statt der vorgeschriebenen vier) vorher austoben.

Nichts Absterbendes oder Schmerzensvolles hat dieses Finale. Selbst im ausgedünntesten Orchestersatz schimmert noch Restvitalität, leuchten wie in Brahms’ Requiem Trost und Hoffnung auf. Hier legt sich keiner hin, um zu sterben. Sondern um zu sagen: „Alles ist gut so“. Klangtupfer kommen von den sinnierenden Klarinetten und dem versöhnlichen Blech. Wie viel Probenzeit auch immer zur Verfügung gestanden haben mag: Es war genug.

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