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Bildende Kunst: Vier Maler gegen die Moderne

Nieder mit der Abstraktion: Eine Retrospektive feiert die Schule der Neuen Prächtigkeit, die von den Künstlern Manfred Bluth, Johannes Grützke, Matthias Koeppel und Karlheinz Zeigler gegründet wurde.

Die Menge johlt. Der Laden in der Pallasstraße in Schöneberg ist berstend voll. Über den Köpfen segeln Blätter nieder. „Als rettendes Floß schwimmt auf dem Meer der allumfassenden Kläglichkeit die Schule der Neuen Prächtigkeit!“ steht als erster Satz auf dem Manifest geschrieben. Gezeichnet: Manfred Bluth, Johannes Grützke, Matthias Koeppel und Karlheinz Ziegler. 1973 ist das, die Gründung der Schule der Neuen Prächtigkeit. Ein Sichquerstellen gegen den Zeitgeist.

„Es war die Wut gegen die übermächtige abstrakte Malerei, die uns aus den Ausstellungen verdrängte“, sagt Matthias Koeppel. Vier Maler treten gegen „praktische Strumpfhosen, Geringschätzung des Endreims, verkrachte Tischlerei“ an. Das Gerade, das Praktische, das Moderne ist ihnen verhasst. Sie malen gegenständlich, realistisch. Die Schüler der Prächtigkeit orientierten sich an den alten Meistern, an Caravaggio, Vermeer, lassen Ingres und Watteau als Wiedergänger in ihren Bildern auftauchen, stellen Szenen berühmter Gemälde nach. Prächtigkeit hieß nicht Opulenz. Einige Werke von Bluth und Ziegler sind karg, still. Prächtigkeit heißt Sinnlichkeit, gesteigertes Empfinden. „Selbstkritisch, ironisch und heiter wollten wir sein“, erinnert sich Koeppel, „bitterernst waren wir nie“. Das ist auch 36 Jahre später noch zu erkennen, in der großen Retrospektive, die die TU Berlin zurzeit in ihrem Lichthof zeigt.

Nur ein einziges Mal hatten die Berliner Maler eine gemeinsame Werkschau organisiert, ein Jahr nach der Gründung. Die Schule der Neuen Prächtigkeit zog mit ihrer Ausstellung durch verschiedene westdeutsche Städte. In den Achtzigern gingen die Maler ihre eigenen Wege. Aber aufgelöst hat sich der Zusammenschluss nie. „Die Schule der Neuen Prächtigkeit ist ein ewiges Prinzip“, sagt Koeppel. Obwohl sich die Zeiten geändert haben. Manfred Bluth verstarb 2002, Karlheinz Ziegler letztes Jahr. „Die Schule der Neuen Prächtigkeit konnte nur in West-Berlin funktionieren“, glaubt Johannes Grützke, auf dieser Insel. Seit etwa zehn Jahren hat die gegenständliche Malerei wieder Aufwind, das beobachtet Koeppel mit Genugtuung. Aber die Neue Leipziger Schule, Neo Rauch und die anderen, „die müssen nicht mehr so mit den Gegensätzen kämpfen wie wir damals“, sagt Koeppel.

Der Zusammenschluss war keine Revoluzzer-Aktion junger Kunststudenten. Koeppel und Grützke waren damals 37, Ziegler 39 und Bluth 48 Jahre alt. Politisch wollten sie nicht sein – waren es aber doch. Das wird in der Rückschau deutlich, die Manfred Giesler kuratiert hat. Koeppel malt Gesellschaftsbilder: Unter einem umwölkten Himmels versammeln sich Menschengruppen, anonyme Gestalten und identifizierbare Vertreter des öffentlichen Lebens. Anlässlich der Retrospektive ist „Aufbruch zur Langen Nacht“ entstanden. Im Hintergrund ist das TU-Gebäude zu sehen, wo Koeppel später freie Malerei lehrte. Er steht zusammen mit seiner Frau Sooki und TU-Präsident Kurt Kutzler in einer Besuchermenge. In einem Volvo sitzen die vier Schüler der Prächtigkeit in jungen Jahren.

Ein Chronist war auch Karlheinz Ziegler. Er malte gegen die Veränderung der Stadtlandschaft an, in dem er sie mit Tempera festhielt. Grützke, der zeitloseste und theatralischste unter ihnen, interessiert sich für den menschlichen Körper. Aber auch er zeigte 1968 Demonstranten – das Transparent in ihren Händen ist jedoch weiß. Ebenso wie die Hemden jener Karrieretypen, die mit müden Gesichtern auf die Ladefläche eines Lastwagen steigen. Grützke nennt es „Abfahrt am frühen Morgen“ (1970). „Der Blick zurück nach vorn“, so heißt die TU-Ausstellung, ist einer auf die West-Berliner Vergangenheit.

Ein Bestandteil dieser Zeit war die legendäre Galeriekneipe Natubs in der Bregenzerstraße in Wilmersdorf, „wo einem im Bierdunst ernsthafte, schöne Gedanken kamen“, erinnert sich Koeppel. Dort erfand er auch zusammen mit den anderen sein „Starckdeutsch“, eine Kunstsprache. Ein harter Faustschlag gegen das normale Hochdeutsch, das in den Ohren der Künstler zu schwach klang. „Wir sehnten uns nach einer kräftigeren Ausdrucksweise“, sagt Koeppel. Auch das gehörte zur Prächtigkeit. „ Ar, di Arr, di Arrckitucktn – / jarr, di sünd tautul pfarrucktn./ Pauhn onz euburoll Quaduren,/ vo se gurrnücht henngehuren“, wettert Koeppel 1976 gegen die Architekten und ihre rechten Winkel. Wenn er es wagte, ohne ein starckdeutsches Gedicht im Natubs zu erscheinen, dann sei er von den anderen in eine Ecke geschickt worden und durfte erst mit neuen Versen wieder kommen. „Wir haben uns nicht wegen der Malerei zusammengeschlossen“, sagt Grützke. „Sondern wegen der Lebensform.“ Sie malten, geigten, blödelten, picknickten, dichteten, waren lyrisch und laut.

Zeugnisse dieser skurrilen Zusammentreffen sind in einem zur Ausstellung erscheinenden Katalog zusammengestellt. Darin ist auch ihr erstes Theaterstück abgedruckt, „Die Maßregelung auf dem Floß der Medusa“, ein grotesk-derbes Schauspiel. Grützke, der später lange mit Regisseur Peter Zadek zusammenarbeitete, hat es zur Gründung geschrieben. Die Handlung spielt auf ein Gemälde Théodore Géricaults von 1819 an. Das wiederum nimmt Bezug nimmt auf eine Begebenheit um die französische Fregatte Medusa, auf der nach einem Schiffbruch Kannibalismus unter den Überlebenden ausbrach. Bei den Schülern der Neuen Prächtigkeit geht die Story so: Bluth, Grützke, Koeppel und Ziegler werfen zwei ihrer Mitreisenden einfach über Bord. Deren Namen: Chagall und Nay. Zwei andere schlachten sie und fressen sie auf: Kandinsky und Beuys.

Bis 13. 12, Mo - So 10 - 20 Uhr, TU Berlin, Lichthof im Hauptgebäude, Straße des 17. Juni 135, Katalog 29,95 €.

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