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Skulptur gefällig?

© Jansch

Kultur: Stunde des Vulkans

Zeitgenössische Kunst aus Polen ist so stark wie nie – und Pavel Althammer macht die Deutsche Guggenheim zum Atelier

Wie Figuren einer Geisterbahn erscheint die Ansammlung auf den ersten Blick, wie die lebenden Leichen eines Zombiefilms mit ihren weißen Bandagen. Eines lässt sich mit Gewissheit von dieser Armada kruder Gestalten sagen, die lebensechte Gesichtsmasken mit verschlossenen Augen tragen und auf Rollen durch den Raum geschoben werden können: Sie wirken gruselig und sind zugleich ein großer Spaß. Kunst der anderen Art.

Die Deutsche Guggenheim hat sich auf ein Spiel eingelassen, ein work in progress, bei dem man nur erahnen kann, wie die Ausstellung am Ende aussieht, wenn nicht nur ein Drittel, sondern alle etwa 100 Figuren fertig sind. Spielleiter ist der polnische Künstler Pawel Althammer. Er gilt als Star in seiner Heimat und wird nun endlich auch im Nachbarland gefeiert. Und nicht nur er allein. Kunst aus Polen ist angesagt, die Preise schnellen in die Höhe, auf Messen und Biennalen sind sie präsent wie nie, gleich mehrere Ausstellungen werden zur Zeit in Berlin gezeigt – pünktlich zur EU-Ratspräsidentschaft des Landes.

Die neue Beliebtheit im Westen, genau dort setzt Althammers Inszenierung an. Der 44-Jährige hat sein diebisches Vergnügen daran, Kunst- und Lebenswelt miteinander zu verwirbeln und sogar dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Denn die Geister, die er herbeiruft, existieren auch in der Wirklichkeit. Es sind Menschen aus dem Alltag, deren Gesichter, genauer: deren Masken auf eisernen Gestellen stecken. Der Künstler ummantelt diese dann mit weißen Kunststofflagen, bis sie zu jenen staffageartigen Figuren geworden sind, die gespensterhaft auf den Moment ihres Auftritts warten.

Ein Museumswärter steht da neben einem Banker, ein Kurator neben der Ausstellungsbesucherin. Ein Losverfahren ermittelt unter den Bewerbern, die sich an dem Experiment zu beteiligen wagen, denn das Recht am eigenen Gipsgesicht wird bei diesem Spiel an den Künstler abgegeben. Die Figuren lassen sich verschieben, so ergeben sich immer neue Tableaux wie bei einer Familienaufstellung. Althammer gibt den Psychologen des Kunstbetriebs. Diese Verkehrung der Verhältnisse, die Verschiebung des Kontextes ist typisch für das Werk des Bildhauers, der schon immer mit Menschen außerhalb der Kunstwelt gearbeitet hat, etwa seinen Nachbarn im Warschauer Vorort-Wohnkomplex oder mit einer Gruppe von Multiple-Sklerose-Kranken.

Diesmal geht der Künstler einen Schritt weiter, indem er auch die Örtlichkeiten wechselt. Die in der Deutschen Guggenheim aufgestellten Maschinen, aus denen per Knopfdruck die weißen Kunststoffwürste zum Modellieren hervorquellen, stammen aus der kleinen Fabrik seines Vaters. „Almech“ heißt sie, ebenso nun der Ausstellungstitel des Sohns, dessen Atelier sich auf dem väterlichen Firmengelände befindet. Für den Kleinunternehmer lief nach dem Boom der Achtziger und frühen Neunziger das Geschäft mit Kunststoffflaschen nur noch schlecht.

Die vom Junior eingefädelte Transaktion – Verlegung der Produktionsstätte samt Firmenschild nach Berlin, während der polnische Standort den Schriftzug Deutsche Guggenheim erhält – bedeutet für das Unternehmen eine letzte Chance. Althammer ist ein Coup gelungen, dessen Vielschichtigkeit sich erst nach und nach offenbart. Sein kühner Transfer, der Hände Arbeit im Showroom eines Geldinstituts vorzuführen, demonstriert keck, welch kostbarer Rohstoff gegenwärtig aus Polen nach Berlin geliefert wird: Kunst, kreatives Potenzial. Berlin ist die erste Anlaufstelle für aufstrebende Künstler aus dem Nachbarland geworden, viele haben hier ihre Ateliers. Gerade erst hat die tonangebende linke Zeitschrift „Krytyka Politiyczna“ einen Club in Berlin gegründet. Deren künstlerischer Leiter ist Artur Zmijewski, der 2012 auch die Berlin Biennale kuratiert.

Kunst „made in Poland“ ist auf dem Markt gegenwärtig das große Ding. Schon kursiert die Bezeichnung „YPA“ (Young Polish Artists), ein Label, frei nach dem der erfolgreichen jungen Briten in den achtziger Jahren, denen das „YBA“ auch nicht unbedingt behagte. Denn hinter jeder Etikettierung, jedem bejubelten Erfolg steckt die Drohung, dass es im nächsten Moment wieder anders ist und der nach Trends gierende Kunstbetrieb sich umorientiert.

Noch aber gilt alle Aufmerksamkeit den polnischen Künstlern, zumal in Berlin. Nach der Eröffnung der großen Ausstellung „Tür an Tür“ im Martin-GropiusBau zur 1000-jährigen Geschichte der Ländernachbarschaft folgt mit Macht die aktuelle Szene. Die Akademie der Künste stellt am Hanseatenweg die beiden Medienpioniere Zbigniew Rybczynski und Gábor Bódy vor und am Pariser Platz Miroslaw Balka, neben Althammer der andere Star des Landes. Das Künstlerhaus Bethanien versammelt unter dem Titel „Polish!“ die starke junge Garde, unter anderem Slawomir Elsner, Katarzyna Kozyra, Wilhelm Sasnal und Piotr Uklanski (siehe Kunst & Markt S. 28).

Gewiss, die EU-Ratspräsidentschaft Polens, der 20. Jahrestag sowohl des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrags als auch der Städtepartnerschaft Warschau-Berlin geben den äußeren Rahmen (und das Geld) für den Auftritt in der Stadt. Für Tomasz Dabrowski, Leiter des Polnischen Instituts, aber war es einfach an der Zeit. Er vergleicht den eruptiven Schub polnischer Kunst mit dem Ausbruch eines Vulkans, der ebenfalls immer schon im Verborgenen brodelte. Polens dunkler Berg war der Eiserne Vorhang. Das Bild verrät zugleich die Gefahr: dass anschließend Erschöpfung einkehrt.

Doch danach sieht es vorerst nicht aus. Der internationale Siegeszug polnischer Kunst steht am Anfang. In den Schausammlungen der großen Museen erobern sich die Künstler ihren Platz: Pawel Althammer und Miroslaw Balka in der Tate Modern in London oder seit kurzem Yael Bartana mit ihrem Film über eine fiktive „Jüdische Renaissance-Bewegung“ im Centre Pompidou in Paris. Wäre es nach Meinung vieler Kritiker gegangen, hätte eigentlich die Filmemacherin auf der Biennale in Venedig für ihre Präsentation im Polnischen Pavillon den Goldenen Löwen bekommen müssen.

Der Grund für die hohe Qualität, den besonderen Ton liegt für Anda Rottenberg, Grande Dame der polnischen Kunst und Kuratorin der „Tür an Tür“-Ausstellung, auf der Hand. Unter dem Druck des kommunistischen Systems fühlten sich die Künstler an den Rand gedrängt; häufig wurde ihr Arbeiten zum dissidentischen Akt. Künstlersein verband sich mit einer politischen Position, aufklärerischem Gestus, historischem Bewusstsein. Ähnliches gilt auch für den Film und den Jazz – was nächste Woche in Berlin beim Jazzfest Thema sein wird. An den Hochschulen wurde das Handwerk gelehrt – und eine Haltung.

Pawel Althammers fintenreiche Inszenierung in der Deutschen Guggenheim, Miroslaw Balkas eindrucksvolle Videoarbeiten zu Konzentrationslagern in der Akademie der Künste, Artur Zmijewskis engagierte Agitation der hiesigen Kunstszene ist gespeist aus dem Gefühl eines gesellschaftlichen Auftrags. Manchmal gebiert dieser auch Geister.

Deutsche Guggenheim, bis 16.1.; Unter den Linden 13/15, tägl. 10-12 Uhr.

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