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Dirigent Paavo Järvi, Komponist Toshio Hosokawa und Soloviolinist Daishin Kashimoto (v.l.) am Donnerstag in der Berliner Philharmonie.

© Stephan Rabold

Ströme aus Feuer: Paavo Järvi zaubert bei den Berliner Philharmonikern

Spiritualität und Glaube können viele verschiedene Formen annehmen – wie beim Konzert der Philharmoniker am Donnerstag deutlich wurde. Am Pult: ein überragender Paavo Järvi.

Vom ersten Moment an, sobald Paavo Järvi die Arme hebt, hängt da etwas im Saal, das man eigentlich nur mit dem Wort Magie beschreiben kann. Es ist nicht zu erklären, warum manche Dirigenten einen so fantastischen Klang aus einem Orchester wie den Berliner Philharmonikern hervorzaubern können und andere nicht. Järvi macht eigentlich nicht viel, seine Gestik ist bescheiden, minimalistisch, eine Pultsau ist er nicht. Aber vielleicht ist genau das sein Geheimnis: Gerade weil er so tief verankert im eigenen Selbst steht, kann er die Zügel loslassen und andere animieren, wahre Wunder zu vollbringen.

Wenn nicht Magie, so steht doch Spiritualität in leuchtenden Lettern über diesem Konzertabend in der Philharmonie geschrieben. Der tiefe, inbrünstige Glaube Olivier Messiaens – der von sich sagte „Ich habe das Glück, Katholik zu sein“ – steht felsenhaft in der Musik des 20. Jahrhunderts. In seiner frühen Meditation „Les offrandes oubliées“ („Die vergessenen Opfergaben“) von 1930 sinniert er über die Kreuzigung und Hingabe Christi in ätherischen, von schwankenden Taktarten durchzogenen Klängen, unterbrochen von einem wilden, bläserdominierten („féroce, désespéré“) Mittelteil. Järvi dirigiert das mit nahezu buddhistischer Ruhe, quasi als imaginärer Schüler Herbert Blomstedts, doch in der Tiefe ist es durchzogen von Strömen aus Feuer.

Messiaen hat sich fast gar nicht von der traditionellen Kirchenmusik inspirieren lassen, dafür von den Klängen einer mystischen Natur, legendär natürlich in seinen Studien von Vogelrufen. Für Toshio Hosokawa gilt ähnliches, zumindest in seinem an diesem Abend uraufgeführten fünfsätzigen Violinkonzert „Prayer“. Es ist Daishin Kashimoto gewidmet, dem Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, und der steht jetzt neben Järvi am Pult, beginnt mit kaum hörbaren, langgezogenen, vibratogesättigten Strichen.

Am Ende soll Frieden auf Erden herrschen

Hosokawa inszeniert den Gegensatz von Natur und Mensch in Gestalt der Solovioline, die immer wieder aufbegehrt gegen das Schicksal, was natürlich eine scheunentorbreite Assoziation offenlässt zu Beethovens 3. Symphonie nach der Pause. Laut Programmheft reagiert der japanische Komponist mit seinem neuen Werk auf Katastrophen wie Pandemie und Krieg gegen die Ukraine, am Ende jedoch löst sich die Violine im Tutti auf, es soll Frieden auf Erden herrschen. In Japan pflegt man möglicherweise einen ungezwungeneren Umgang mit Kitsch, doch die Musik reproduziert das Pathos dieses unterlegten Programms zum Glück nicht, sie ist erfrischend rau und herb geraten.

Dann also die Eroica, auf ihre Weise ja ebenfalls ein spirituelles Werk. Beethoven verwendet unter anderem ein Thema aus seiner Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“, der für die Menschen von den Göttern das Feuer stahl. Mit der Präzision eines Uhrwerks lässt Järvi den ersten Satz abschnurren, präzise und golddurchwirkt, keine Partitur, kein Notenpult blockiert den Raum zwischen ihm und dem Orchester, ungehindert kann er seine unsichtbaren Zauberbänder auswerfen. Bemerkenswert, wie die Philharmoniker ständig den Hebel umlegen, sich mit der Schnelligkeit eines Wimpernschlags neuen Stimmungen anverwandeln können, als würden sie eine Suite, eine Abfolge von Räumen durchziehen.

Den Trauermarsch bringt Järvi zu dunkler Blüte, steigert ihn langsam in die Monumentalität hinein, die Hörner im Scherzo meistern ihren prominenten Part ordentlich. Das Finale scheint in schierer Lust zu vergehen: Die von Beethoven so fein gesponnenen Dialoge zwischen den Streichergruppen leuchten hell, wie auch die Flöte in der verzögernden, absterbend langsamen Passage vor dem Ausbruch der triumphalen Coda. Ein ekstatischer Schrei von den Rängen rammt sich in den einsetzenden Applaus hinein, und die mutmaßlich japanische Sitznachbarin kann nicht an sich halten: „So etwas habe ich in 40 Jahren nicht gehört.“

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