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Frank Dellé (l.) und Peter Fox beim ersten Seeed-Auftritt auf der auf der Parkbühne in der Wuhlheide.

© Gerald Matzka/dpa

Die Berliner Konzerte von Seeed: Sie wedeln und sie wummern wieder

Als wär' nix gewesen: Seeed starten ihren Reigen von acht Konzerten mit einem kompakten und spielfreudigen Auftritt in der Wuhlheide.

Manchmal wirken die Stunden vor dem Auftritt genauso endlos wie die Monate, die man zuvor auf das Ende der Corona-Konzertpause gewartet hat. Doch dann - Bääm! - fühlt sich alles an wie früher: Seeed singen, rappen und wedeln wieder live die Handtücher, tanzen ihre minimalistischen Choreografien, lassen die Bühnenlichter in allen denkbaren Farben blenden und ihre Defibrillator-Beats die Brustkörbe der Hauptstadt durchwummern.

Dazu schwenken die 15.000 Fans in der Wuhlheide auf Geheiß die Arme, singen mit, vollführen Tanzschritte und aktivieren die Handylampen. Der ganze Stadionzirkus: Er zieht noch immer.

Fühlt sich die Ballung etwa nach Abschiedstour an?

Dabei hat man vor dem Tohuwabohu noch besorgt in sich hineingehorcht: Fühlt sich diese Anballung von Berlin-Konzerten - acht innerhalb eines Monats, dazu ein Headliner-Auftritt beim Lollapalooza-Festival Ende September - nicht ein bisschen nach Abschiedstour an?

Der Tod von Demba Nabé wirkt noch immer nach, wenn man vor einem Seeed-Konzert in der Menge wartet. Und am Dienstag wartet man ziemlich lang. Um 16 Uhr beginnt der Einlass, um 18 Uhr nominell das Konzert. Doch bis die zwei Vor-Acts - Schmyt und die Tanzkombo M.I.K. Family - die Bühne freigeben, wird es fast 21 Uhr. Da fühlt sich der Seeed-Auftritt mit 90 Minuten dann doch recht kurz an.
Wie dem auch sei: Die letzten Zweifel, ob "Bam Bam" von 2019, das noch immer aktuelle Album der inzwischen zehnköpfigen Formation, nicht doch ihr letztes sein wird, rumoren tief in einem drin. Schließlich hat sich die Band öffentlich mit dem Gedanken beschäftigt aufzuhören, nachdem Nabé, einer der drei Frontmänner, 2018 im Alter von 46 Jahren gestorben ist.

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Die erste Ansage von Pierre Baigorry alias Peter Fox, einem der zwei verbliebenen Sänger, ist dann auch: "Berlin, es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist". Oder meint er das doch nur als Überleitung vom Opener "Ticket" zu "Lass sie geh'n", einem Schlussmach-Reggae-Schunkler? Das Konzert fängt jedenfalls genauso an wie die jüngste Platte - und auch wie die bislang letzten Seeed-Konzerte in Berlin 2019.
Wer sie damals gesehen hat und nun auch beim Auftakt des Berlin-Reigens mit dabei ist, wird ein Déjà-vu erleben. An der Setlist hat die Band nur punktuell nachgeschraubt. Ist ja auch keine Überraschung, schließlich ist seither nur ein neuer Seeed-Song erschienen: das schön poppig tänzelnde Liebeslied "Hale-Bopp", das zu einem Highlight des Konzerts wird. Baigorry spielt es zunächst als Ballade allein am Keyboard, bevor die Gruppe, die live auf insgesamt 13 Musiker anwächst, voll mit einsteigt.

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Man merkt, dass Seeed weiter an ihren Songs arbeiten, selbst wenn diese schon älteren Datums sind. So häutet sich ihre Berlin-Liebeserklärung "Dickes B" von 2000, eine von drei Zugaben, gleich drei Mal. Die Kombo verpasst ihr immer wieder neue Remix-Kleider, unter anderem den Sound von M.I.A.s "Paper Planes" und Justin Timberlakes "SexyBack".

Der größte Jubel brandet jedoch auf, als die drei Bläser der Formation mittendrin die eröffnende Fanfare der Originalfassung anstimmen. Die Fans müssen genügsam sein, da ihnen die Band wiederholt die altbekannten Versionen vorenthält. Im Mittelteil mutiert das Konzert gar zur Medley-Show. Einige Songs spielt die Gruppe gerade Mal eine Minute an, dann brettert schon der nächste hinein. Das tut manch einem Stück doch schmerzhaft Unrecht, besonders "Sie ist geladen", von der Gruppe als "Song über toxische Liebschaften" angekündigt.

Rapperin Nura ist nicht dabei

Eigentlich stellt das Stück die Sichtweise eines Mannes (gesungen von Baigorry und dem zweiten Frontmann Frank Dellé) mit der Perspektive seiner Partnerin gegenüber, auf "Bam Bam" dargeboten von der Rapperin Nura. Da sie diesmal nicht als Gästin dabei ist, tritt an Stelle ihrer wehrhaften Lyrics ausgerechnet ein recht breitbeinig klingendes Solo von Gitarrist Rüdiger Kusserow.

Das bringt den Song in eine unschöne Schieflage, was vor allem deswegen auffällig ist, da die Gruppe mit ihren - stets positiv konnotierten - Schüttel-deine-Kiste-Texten eh schon eine Gratwanderung in Sachen Sexismus hinlegt. Als Klimax des Hauptteils positioniert die Band einen elektronisch stampfenden Remix ihres Beinahe-Fremdgeh-Hits "Ding" ("Komm' in den Club und genieß' den Ausblick, die Braut is' Schmuck und die is' auch schick"), der mittendrin zum Song "Seeeds Haus" mutiert, bevor er vom DJ der Gruppe, Luke 4000, wieder zurückgemorpht wird.

Eine gelenkige Variante von Deichkind

In diesen technofizierten Live-Momenten muten Seeed wie eine gelenkige Variante von Deichkind an. "Lass' das Licht an", den gemeinsamen Song mit den Hamburger Kollegen, übergeht die Gruppe diesmal jedoch.
Trotz aller Remixe und Spielereien erkennt man den durchaus eigenwilligen Sound von Seeed durchweg wieder.

Und das, obwohl ein Konzert der Band zuweilen wie eine Jagd quer durch den Gemüsegarten der internationalen Musikgenres anmutet. Von Song zu Song schieben die Musiker eine andere Stilrichtung aus ihrem Klang-Amalgam in den Vordergrund: Reggae, Dub, Dancehall, Ska, dann auch mal Rock und wieder zurück zum Reggae. Das wirkt alles nach wie vor lebendig und größtenteils auch frisch - selbst, wenn die Kombo seit vier Jahren nicht mehr vollzählig ist.

Dembas Tod wird gedacht

Den Tod ihres Bandkollegen spricht sie nur einmal direkt an. Nach 40 Minuten kündigt Dellé das Stück "You & I" mit den Worten an: "Lasst uns ein Lied für Demba singen", und fügt dann hinzu: "Er sieht uns alle."

Nabés Gesangsparts intonieren sie im Laufe des Konzerts mal gemeinsam, mal übernimmt sie einer der Backing-Sänger oder sie lassen sie gleich ganz weg. Die Gruppe signalisiert: Die eine Person, die das Erbe Nabés antritt, wird es nicht geben. Seeed wirken so wie eine Band, die den Blick entschlossen nach vorne richtet. Den Geschmack von Abschied, der einem vor dem Konzert vielleicht noch auf der Zunge lag, den haben sie am Ende nachhaltig hinweggewummert.

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