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Depeche Mode in Berlin: Schwarze Messe im Olympiastadion

Nichts ist schöner, als in dieser Nacht zu leben: Depeche Mode gaben im Berliner Olympiastadion ein furioses Konzert.

Das Zusammenspiel von Wettergott und Depeche Mode hätte an diesem Abend im Berliner Olympiastadion gar nicht besser sein können. Als wieder einmal ein heftiger Regenguss auf viele der 66 000 Zuschauer heruntergeht und die Band ein Drittel ihres Sets absolviert hat, übernimmt Gitarrist Martin Gore für zwei Stücke das Mikro von Depeche-Mode-Sänger Dave Gahan, um zwei Balladen nur von einem Piano begleitet zu schmachten. Erst „Higher Love“ und dann „But Not Tonight“, das mit den Zeilen „Oh God, it´s raining/But I´m not complaining/It´s filling me up/With new life“ beginnt. Es gießt und gießt - und Gore stellt fest, dass es regnet und ihm das nichts ausmacht. Er besingt den Wind in seinem Haar (der ihm bei seiner sturmfesten Frisur aber gar nichts anhaben kann) und feiert das Leben insbesondere in dieser Nacht, „how good it is to live tonight.“

Es gibt wohl kaum jemand im Publikum, der das nicht sofort unterschreiben würde, der jetzt nicht lauthals mitsingt. Trotzdem ist für die meisten im Publikum dieser objektiv betrachtet vielleicht erste Höhepunkt der Show an diesem Abend gar kein Höhepunkt, hat die Depeche-Mode-Fans doch allein die Anwesenheit der Band in der Stadt, die Vorfreude und natürlich gleich der Beginn des Konzerts mit zwei Stücken des neuen Albums „Delta Machine“ in eine einzige Dauereuphorie versetzt.

Depeche Mode sind eins der größten Pop-Phänomene der letzten 25 Jahre, wenn nicht das größte. Kaum eine Band hat eine so fanatische, hingebungsvolle, treue Gefolgschaft, gerade in Deutschland; schon gar keine Band aus der Zeit, als Depeche Mode mit Alben wie ihrem Debüt „Speak and Spell“ berühmt und später „Black Celebration“ weltberühmt wurden, den achtziger Jahren, nicht einmal U2.

Die Depeche-Mode-Mischung: Zugewandtheit, Kälte und Melancholie

Warum das so ist, weiß im Grunde niemand so recht. Es mag an dem Zusammenspiel und der Spannung zwischen Martin Gore und Dave Gahan liegen: dem eher introvertierten ewigen Songschreiber und dem extrovertierten Sänger (der sich in den letzten Jahren aber auch mit eigenen Songs hervortat). Es mag die Mischung aus Zugewandtheit, Kälte und Melancholie sein, die Depeche-Mode-Stücke auszeichnet, die Erkenntnis, dass vorwiegend elektronisch generierte Musik Rock’n’Roll sein kann (was die Band nach ihren Synthie-Pop-Anfängen mit der Hinwendung zu einer Art maschinengesteuerten Industrial-Rock forcierte); ja, dass man auch mit so einem Sound seinen Gefühlshaushalt gut einrichten und ausstaffieren kann. Die Begeisterung für die Band könnte auch damit zu tun haben, dass ihre Musik noch immer suggeriert, explizit kein Mainstream-Pop zu sein, was bei den bei jeder Tour ausverkauften Stadien überall auf der Welt natürlich ein Widerspruch in sich ist.

Und, nicht zu vergessen: Gore und Gahan, sind schon länger auch Rock’n’Roll-Überlebende, nach Drogenexzessen und im Fall von Gahan auch einer Blasenkrebsoperation. Die harten Zeiten sieht man beiden an diesem Abend auch an, gerade dem ebenso gespenstisch-zerfurcht wie gerührt wirkenden Gore, aber bei all seiner Agilität und Fitness auch Gahan. Der bestimmt dann das Geschehen auf der Bühne, der Dritte im Bunde, Andrew Fletcher hinter seinen Gerätschaften wirkt da wie ein Statist - genau wie der Schlagzeuger und ein weiterer Keyboarder. Gahan wieselt hier und dort hin, schwingt den Mikroständer, wohin es nur geht, bei „A Question Of Time“ etwa in rasantesten Drehungen um sich selbst. Er predigt einerseits, spielt den Märtyrer andererseits, und das Publikum lässt sich entweder die Messe lesen oder empfindet Mitleid mit dem Gekreuzigten.

Doch, es ist schon ein furioses Konzert, dass Depeche Mode geben, eines, das mit vielen alten Hits die Erinnerungskaskaden und die Verloren-Zeit-Suche beim Publikum gezielt in Gang zu setzen vermag. Die Stücken vom neuen Album „Delta Machine“ fallen nicht weiter auf, außer durch eine etwas härtere Gangart, sie sind über den gesamten Set verstreut. Im Vergleich geht ihnen das Hitpotenzial (noch?) ab.

Vielleicht ist „Delta Machine“ einfach nur das Album, das der Band die Berechtigung gibt, wieder auf große Tour zu gehen. Depeche Mode empfinden sich schon noch als kreativ. Wichtiger ist es ihnen wohl, vor allem den Superstar- und Pop-Klassikerstatus zu bestätigen, Wie es sich gehört, kommt der Zugabenblock ohne neue Stücke aus. Am beeindruckendsten ist vielleicht „Just Can´t Get Enough“, ein Uralt-Hit von "Speak and Spell". Den spielen sie so dünn und klapprig und klar wie ehedem, zudem beweist er vielleicht aufs Beste, wie gut der Sound an diesem Abend ist. Ein Depeche-Mode-Konzert sei eine „Herzensangelegenheit“ sagt später in der S-Bahn eine junge Frau aus Düsseldorf (die sich natürlich auch nicht das noch anstehende Düsseldorfer Konzert entgehen lässt). Depeche Mode dürften in Berlin wieder sehr viele Herzen gestärkt haben.

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