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Die Schriftstellerin Sabine Gruber.

© Karl-Heinz Ströhle

Sabine Grubers „Die Dauer der Liebe“: Trauer und Neuanfang

Die österreichische Schriftstellerin erzählt in ihrem neuen Roman von einer Frau, die einen geliebten Menschen verliert - und danach zurück ins Leben kommt.

Es ist das, was man niemandem wünscht, am wenigsten sich selbst: Von einem Augenblick zum anderen den geliebten Menschen zu verlieren, aus dem Nichts und zurückgelassen zu werden mit seiner Fassungslosigkeit, die unermesslicher Trauer weicht. Die österreichische Schriftstellerin Sabine Gruber hat diesen Schockmoment an den Anfang ihres neuen Romans „Die Dauer der Liebe“ gestellt: Konrad, Renata Spazianis jahrzehntelanger Lebensgefährte, ein Architekt mit fotokünstlerischen Ambitionen, ist plötzlich auf der Autobahn zusammengebrochen und gestorben.

Für die Übersetzerin, die wie die 1963 in Meran geborene Gruber italienische Wurzeln hat, bricht eine Welt zusammen. Zumal sie feststellen muss, dass das Testament, das sie mit Konrad aufgesetzt hat, nicht rechtsgültig ist. Unverheiratet und ohne Kinder ist Renata völlig rechtlos und muss miterleben, wie die widerliche und habgierige Herkunftsfamilie sich nicht nur den gesamten Besitz unter den Nagel reißt und ihn ohne Sinn für Wert und Erinnerung teilweise im Netz vertickt.

Auch auf die künstlerischen Hinterlassenschaften Konrads hat Renata keinen Zugriff mehr. „Selbst schuld“, schleudert ihr der nichtsnutzige Bruder Marcel ins Gesicht. Man möchte ihn und seine übergriffige Mutter Henriette immer wieder nehmen und sie in die Pontinischen Sümpfe schicken, über die Konrad so viel wusste.

Sich selbst austrinken

Die eigentlich lebensfrohe und toughe Frau, die mit Konrad so etwas wie eine Idealbeziehung geführt hat, fällt in eine Trauer, der Gruber in der ihr eigenen distanzierten Art unmittelbarer Teilhabe folgt. „Gleich trinke ich mich selbst aus“, beschreibt sie das Gefühl, sich selbst entkommen zu wollen, einfach weg zu sein, wo doch der wichtigste Teil des Lebens verloren gegangen ist.

Renata fällt in eine Starre, die es verhindert, der infamen Familie Konrads, die ihr das gemeinsam erworbene Landhäuschen stiehlt und ihr sogar die Rechnung für die Kerze im Aufbewahrungsraum schickt, etwas entgegenzusetzen. Renata treibt durch die schlimmen Tage und noch schlimmeren Nächte, erinnert sich an den Geliebten, hebt ihn auf ihren Liebesthron, lässt ihre gemeinsame Zeit, die Reisen nach Italien, Revue passieren. Denn Konrads Leidenschaft waren die faschistische Architektur der 1930er Jahre in Italien und die Städte in den trockengelegten Sümpfen der Pontinischen Ebene, città nuove oder Sabauda im heutigen Latinum, wo Mussolini die Idee der neuen Stadt realisieren wollte. In seinen Fotozeichnungen setzte sich Konrad mit dem Kern der modernistisch grundierten Bauten auseinander, interessiert begleitet von Renata, die sich bei der Durchsicht der Bilder noch einmal mit ihnen befasst und damit eine zweite Ebene in die Handlung einzieht. Wie schon in anderen genau recherchierten Romanen zeigt sich die Schriftstellerin thematisch höchst informiert, auch wenn die Architekturgeschichte den eigentlichen Handlungsstrang gelegentlich dominiert.

„Du hast Angst, daß sich deine glückliche Beziehung mit Konrad nachträglich als Illusion erweist“, hält ihr Freund Bruno vor, als sie auf Zettel stößt, die sie an Konrads Treue zweifeln lassen. Gab es da eine Frau in Italien, hatte der angeblich zeugungsunfähige Mann vielleicht sogar ein Kind? „Ein einziger Buchstabe, denkt Renata, „zerstört unser Lebens-, unser Liebesalphabet.“

Bruno, dem unsteten alternden Kriegsfotograf, ist man bei Gruber übrigens schon in ihrem Roman „Daldossi oder das Leben des Augenblicks“ (2016) begegnet, wie auch Marianne, die schwerkranke Freundin, ihren Auftritt hatte in „Die Zumutung“ (2003). Dort steht auch der schöne Satz: „Man muss den Tod in ein Gespräch verwickeln, ihn ablenken. Er arbeitet weniger schnell, wenn man mit ihm spricht.“ Ablenken ist auch das Stichwort für Renata, wenn sie beginnt, von ihren Freunden bestärkt, sich auf Dating-Plattformen umzusehen und beim Lästern über die abturnenden Männerfotografien, denen sie dort begegnet, etwas von ihrem Humor und ihrer Lebenszugewandtheit zurückgewinnt.

Grubers Kunst besteht darin, dass sich der Sog der erklärtermaßen auch autobiografisch durchlebten Trauer und Renatas mühevolles, allmähliches Wiederherantasten ans Leben unmittelbar auf die Leserin überträgt. Vorsichtig und immer von Abstürzen begleitet, robbt sie sich an rettende Haltepunkte, die erste überstandene Party, das erste One-Night-Standing, der erste ernsthafte Flirt. Er sei froh, sagt Bruno, dass sie wieder Geschichten erzähle, sogar eine Liebesgeschichte. Eine Liebesgeschichte, erklärte Gruber in einem Interview, habe sie auch schreiben wollen. Es ist eine nicht mehr einholbare, im erinnernden Rückblick geworden, von schmerzhaften Gefühlen und klugen Einsichten durchsetzt, aber nicht minder anfassend.

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