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Und Tschüss. Don Giovanni (Ildebrando D'Arcangelo) ist abreisefertig – ebenso wie Intendant Alexander Pereira

© dpa

Salzburger Festspiele: Rock und Saum

Mit ihrer Neuinszenierung von Mozarts „Don Giovanni“ läuten Regisseur Sven-Eric Bechtolf und Dirigent Christoph Eschenbach das Ende der Intendanz von Alexander Pereira bei den Salzburger Festspielen ein.

Während die 94. Salzburger Festspiele mit einer Neuinszenierung von Mozarts „Don Giovanni“ offiziell beginnen, spürt man an der Salzach den Drang, zunächst mit einem anderen Wüstling abzurechnen. Es ist Alexander Pereiras letzter Sommer als Intendant. Nach nur drei Jahren ist Schluss für ihn, der durch seine ausufernden Programm- und Budgetgelüste in Dauerreibung mit dem Festivalkomitee lag. Pereira beschwor seine ausschließliche Liebe zu Salzburg – und bewarb sich dann hinterrücks bei der Scala in Mailand. Wer so schnell verlassen wird, sollte nicht lange traurig sein, kommentieren die Salzburger Nachrichten und kommen zu dem Schluss: Ein Gschpusi waren die Festspiele für Pereira nicht mehr.

Zumindest um das finanzielle Auskommen seiner Affäre hat sich der scheidende Intendant durchaus Gedanken gemacht. Er gab den Festspielen, was ihren traditionellen Kern ausmacht: Mozart, Strauss, Zeitgenössisches – und davon mehr als je zuvor. Pereiras Wachstumsdrang fußt auf der Annahme beständig schrumpfender öffentlicher Subventionen bei steigenden Kosten. Damit hat er nicht ganz unrecht, doch einen für die Kultur auch schmerzhaften Strukturwandel zur ungehemmten Selbstinszenierung zu nutzen, löste selbst in Salzburg Befremden aus. Zumal Pereiras künstlerische Weitsicht davon durchaus nicht ungetrübt scheint.

Womit wir fast bei Mozarts unbelehrbarem Dauerverführer angekommen wären. Nach Pereiras Willen sollte Don Giovanni inmitten eines neugeschaffenen Salzburger Mozart-Ensembles den Rockschößen hinterherjagen. Damit wollte der Intendant traditionsbewusst an die Gründergeneration anknüpfen, verstrickte sich aber unheilvoll in selbstherrlichem Pragmatismus: Den neuen Da- Ponte-Zyklus sollten Kräfte stemmen, die sich daran bereits unter Pereira am Zürcher Opernhaus versuchten, Sven-Eric Bechtolf als Regisseur, Franz Welser-Möst als Musikchef. Letzterer sagte gleich wieder ab, weil man sich angeblich nicht darüber einigen konnte, wie viel Ruhezeit zwischen den Dirigaten nötig sei. Christoph Eschenbach sprang ein und brachte es zum Auftakt im vergangenen Jahr zu einer bescheidenen „Così“ am Pult der Wiener Philharmoniker. Heuer dirigiert er „Don Giovanni“, „Le Nozze di Figaro“ allerdings wurde 2015 in die Hände von Dan Ettinger gelegt. Wenn der Zyklus 2016 komplett aufgeführt wird, werden gar drei Dirigenten am Start sein, neben Eschenbach und Ettinger tritt dann auch Alain Altinoglu ans Philharmoniker-Pult. Ein Akt von künstlerischer Schadensbegrenzung, aber sicher nicht die Geburtsstunde eines neuen Mozart-Ensembles.

Höllenfahrten sind in Salzburg Routine: Die diesjährige Eröffnungspremiere vermerken Statistiker als 206. „Don Giovanni“-Aufführung in der Geschichte der Festspiele. Ein dunkler Wiederholungszwang verbindet die Titelgestalt und ihr Publikum, das könnte Thema einer heutigen Inszenierung sein. Doch Bechtolf, der Salzburger Schauspielleiter sowie Interims-Intendant 2015 und 2016, findet wenig Aufregendes an der Gegenwart.

Schon sein schmaler einleitender Text zur Produktion verrät mangelnde Orientierung. Oder kann es wirklich ernst gemeint sein, wenn man als Fixpunkt eines „Heutzutage“ beständig auf Pornografie rekurriert und diese dann als Ausdruck von Liberalität wertet? Wenn man aus einer „schamlosen Zeit“ auf die Aufklärung als „einst dringend geboten“ zurückblickt wie in einen Museumssaal? Bechtolf scheint sich sicher: „Die Oper Don Giovanni ist auf der Bühne auf eine Welt angewiesen, die der Sexualität ihren Respekt wenigstens durch Unterdrückung erweist.“ Und da der Regisseur dergleichen im Heutzutage nicht entdecken mag, geht es auf der Szene irgendwie rückwärts, in ein Grand Hotel ohne jegliche Gebrauchsspuren (Bühne wie einst in Zürich: Rolf Glittenberg).

Alle leben zwischen den Koffern, das ganze Etablissement döst, oder der Leibhaftige kommt vorbei und schenkt an der Bar einen Schnaps aus. Das verströmt leider weder Marthaler’sche Lakonie noch den skurrilen Charme eines „Grand Budapest Hotel“. Kein Wunder, dass Don Giovanni sich hier langweilt und den Stubenmädchen nachspringt – allerdings nicht ohne zuvor Donna Anna samt ihrem gezückten Messer in Papas Brust bugsiert zu haben.

Das bleibt der einzig erstzunehmende Kniff des Abends, und auch er vergeht vor der Idiotie eines Finales, das den Wüstling nach Höllensturz samt Teufelschor einfach aufspringen lässt, ins Publikum zwinkern und – na klar – einem Röckchen folgen lässt. Ungelenker Slapstick auf der Flucht vor Relevanz bleibt eine schale Nummer.

Auch Christoph Eschenbach landet zumindest einen Effekt: Die ersten Takte der Ouvertüre dringen aus dem Dunkel in den Saal. Ihre offensichtliche Dramatik liegt dem Dirigenten noch am ehesten. Ansonsten kann er das Potential, das ihm die exzellente Raumakustik und der edel mattierte Klang der Wiener Philharmoniker anbieten, nur recht handfest nutzen. Geheimnisse, schwankender Grund, verzweifelte Herzenssuche – das alles bleibt dem Abend fern. Manch einer, der nicht allein aus Prestigegründen zur Auftaktpremiere gekommen ist, erzählt leise, wie ergreifend der Auftritt von Nikolaus Harnoncourt mit den drei letzten Mozart-Sinfonien kürzlich gewesen sei.

Die Sänger, die Pereiras neues Mozart-Ensemble hätten bilden sollen, geben alles andere als ein einheitliches Bild ab. Ildebrando D'Arcangelo ist längst ein routiniert eingespielter Giovanni; ohne Widerstände markiert er einen unbekümmerten Latin Lover, dem es auch nicht schadet, wenn die Stimme mal leicht heiser klingt. Luca Pisaroni gibt als Leporello zu sehr den jungen Hund, um auch mal einen Punkt setzen zu können. Annett Fritsch, die als Fiordiligi aus Michael Hanekes „Così fan tutte“ in Madrid bekannt wurde, riskiert auch ohne echte Rückendeckung alles, tourt dabei aber in einen Bereich hoch, wo sich zartere Herzen sicherheitshalber zu schließen beginnen.

„Was die Liebe betrifft“, räumt Regisseur Bechtolf ein, „ist diese Oper ein Rätsel.“ Wer es lösen will, muss schon Fragen stellen wollen.

Weitere Vorstellungen: 30. Juli sowie 3., 6., 12., 15. und 18. August.

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