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Der Schriftsteller Robert Seethaler.

© Urban Zintel/Ullstein

Robert Seethalers „Café ohne Namen“: Scheitern und Fortschritt

Der 1966 in Wien geborene Bestsellerautor kehrt mit seinem neuen Roman zurück an den Schauplatz seines vor elf Jahren veröffentlichten Erfolgsromans „Der Trafikant“.

Man soll sich, sagt die alte Kriegerwitwe, immer mehr Hoffnung als Sorgen machen, „Alles andere wäre doch blödsinnig, oder?“. Man kann den Satz auch als Motto von Robert Seethalers neuem Roman lesen, in dem es um Sehnsüchte, Zukunftsoptimismus, Illusion und Desillusion geht. „Das Café ohne Namen“, so der Titel, spielt im Wien der späten sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die österreichische Hauptstadt ist aus den Trümmern des Krieges auferstanden, die Baumaschinen knattern, die frisch geteerten Straßen dampfen.

Der 1966 in Wien geborene Bestsellerautor kehrt hier zurück an den Schauplatz seines Erfolgsromans „Der Trafikant“ (2012), der kurz vor dem Zweiten Weltkrieg spielt. Ein junger Mann kommt aus der Provinz nach Wien, um in der Stadt ein neues Leben zu beginnen, während der Nationalsozialismus immer mehr um sich greift. Auch im aktuellen Roman versucht die Hauptfigur, sich eine neue Existenz zu zimmern.

Ein schlichter Typ mit einem schlichten Namen, Robert Simon, Anfang 30. Natürlich ist es kein Zufall, dass er denselben Vornamen wie sein Schöpfer trägt, man kann das als augenzwinkernde Sympathiebekundung des Autors lesen. Robert Simon hat bei der Kriegerwitwe Martha Pohl ein Zimmer bezogen, die ihn in seiner Idee bestärkt, ein eigenes Café zu eröffnen.

Ein Roman wie ein Wimmelbild

Allerdings ist das Lokal auf dem Wiener Karmelitermarkt, das er gepachtet hat, stark heruntergekommen, voller winziger schwarzer Fliegen. Kein Ort, der eine goldene Zukunft verspricht. Doch Simon möchte dabei sein beim allgemeinen Aufbruch, der das Leben der Stadt bestimmt.

Mehrere Jahre ist er als Gelegenheitsarbeiter herumgetingelt, jetzt schrubbt er tagelang, malt die Wände neu, wienert den Boden, um seinem Ziel Stück für Stück näher zu kommen. Als er schließlich fertig ist, fehlt ihm nur noch ein Name. Das Naheliegende, „Café Simon“, findet der zurückhaltende Wirt „irgendwie selbstgefällig“. Damit bleibt sein Lokal „Das Café ohne Namen“.

Anders als im Roman „Der Trafikant“, in dem ein durchgehender Plot erzählt wird, ist das neue Buch eher handlungsarm. Ein Roman wie ein Wimmelbild mit vielen kleinen Porträts und Anekdoten. Es sind die einfachen Leute, die in Robert Simons Café ihr Bier trinken und dazu Schmalzstullen essen und die der Autor liebevoll ausleuchtet. Marktverkäufer, Fabrikarbeiter, Künstler, Alkoholiker, alte Frauen, die sich sehnsüchtig an ihre Jugend erinnern, junge Frauen, die sich eine Zukunft erträumen. Menschen, die sich durchs Leben jonglieren und vom Schicksal immer wieder Tritte abbekommen.

Da ist etwa Harald Blaha, ein frühpensionierter Gaswerkskassierer, der im Krieg durch einen Granatsplitter ein Auge verloren hat. Jetzt trägt er ein Glasauge, das er auch gern mal herausnimmt und über den Tisch rollen lässt, was andere Cafébesucher nicht witzig finden. Oder der Ringer und Sozialist René Wurm, der in seinen guten Zeiten im Ring seine Konkurrenten fertig gemacht hat, unter dem Gejohle des Publikums.

Jetzt ist er im Ring zum Verlierer geworden und betäubt seinen Frust mit Alkohol. Seine Frau Mila, die in Simons Café kellnert, hat bei der Geburt ihr Kind verloren und muss mit ihrer Traurigkeit klar kommen. Seethaler springt von einem Lebens- und Liebesdrama zum nächsten, als Leser wird man zum Voyeur, sitzt mit im Café und hört den Geschichten an diesem Ort der „verlorenen Seelen“, wie es im Buch heißt, zu.

Ein Mann ohne große Erwartungen

Auch Robert Simon ist kein Sonntagskind. Sein Vater ist im Krieg gefallen, die Mutter stirbt kurz danach an einer Blutvergiftung. Robert kommt in ein Heim für Kriegswaisen und verlässt mit 15 die Schule. Doch auch später, nachdem er sein Café erfolgreich eröffnet hat, grätscht ihm das Schicksal wieder einmal dazwischen: Im Keller des Cafés explodiert der Heizkessel, und er verliert dabei drei Finger.

Er jammert nicht, sondern arrangiert sich. Robert Simon ist ein Pragmatiker, ein Mann ohne große Erwartungen und Illusionen, der Enttäuschungen und Rückschläge gut verkraftet, weil die Fallhöhe zwischen seinen bescheidenen Wünschen und der Realität gering ist. Auch in der Liebe ist er eher glücklos, eine kurze Affäre mit einer jungen Frau, die aus Jugoslawien stammt, findet ein schnelles Ende. In seiner Genügsamkeit und Schicksalsergebenheit ist Robert Simon durchaus ein Bruder von Andreas Egger, Hauptfigur von Seethalers Bestseller „Ein ganzes Leben“ und ebenfalls Waise.

Robert Seethalers gelingt es, jede seiner Figuren mit ein paar Strichen so lebendig und nahbar zu machen, als würde er sie täglich in Simons Marktcafé treffen. Dabei schafft er Typen, aber keine Sterotypen. Doch diese scheinbar schlichten Gemüter sind nicht nur ihrer täglichen Mühsal verhaftet, einigen gelingt es, sich über ihren Alltag zu erheben und fast philosophischen Gedanken nachzuhängen. Robert Simon etwa muss sich eingestehen, dass er von seinen Gästen, die bei ihm täglich ein und aus gehen und die er zu kennt meint, im Grunde kaum etwas weiß. Eine Fremdheit, die er auch bei sich selbst wahrnimmt: „Vielleicht blieb man sich selbst stets das größte Rätsel“, überlegt er.

Unglaubwürdige Reflexionstiefe

An anderer Stelle räsoniert eine seiner Stammkundinnen, die Käsehändlerin Heide Bartholome, die gerade von ihrem Freund betrogen worden ist und keine Details über die Affäre wissen möchte: „Man muss nicht in jeden Abgrund schauen, um zu sehen, dass er bodenlos ist.“ Immer wieder zieht Seethaler eine zweite Ebene in seinen Roman ein, indem er Figuren Sätze im Stil von Lebensweisheiten unterschiebt. Man kann darüber streiten, ob die Reflexionstiefe, mit der er seine Figuren ausstattet, immer glaubwürdig ist. Doch Seethaler ist ein gewiefter Autor, der sich bewusst für diesen Dreh entschieden hat. Ein Kunstgriff, durch den der Roman, der vordergründig als Milieustudie daherkommt, eine reizvolle Doppelbödigkeit bekommt.

Seethaler schreibt in einer klaren, schnörkellosen Sprache, eine ausgesprochen kondensierte Prosa, in der kein Adjektiv zu viel und keines zu wenig ist. Glanzstücke des Erzählens sind die kurzen Kapitel, in denen er in Rollenprosa zwei alte Damen sprechen lässt und diese Passagen immer wieder mit einem feinen Humor unterlegt: „Als ich jung war, hat mir einer gesagt: Mein liebes Fräulein, ich weiß, Sie sind zu schön für mich, aber ich probiere es trotzdem, wollen Sie mit mir ins Kino gehen? So was Idiotisches. Hast du ihn weggeschickt? Nein, ich habe ihn geheiratet.“ Oder: „Die klugen Männer beginnen zu saufen und die dummen erzählen dir irgendwann, dass sie sich in den Mutterbauch zurücksehnen. Vielleicht ist es auch umgekehrt, ich habe den Überblick verloren. In jedem Fall ist es erbärmlich.“ Besser kann man seinen Figuren nicht aufs Maul schauen und dabei zwischen Limo und Salzgurken wunderbare Pointen erzeugen.

„Das Café ohne Namen“ ist nicht nur ein Buch über Aufbrüche, sondern auch über das Scheitern. Robert Simons Café wird untergehen, und der herzkranke Mann, der ihm sein Café verpachtet hat, bricht plötzlich auf einer wieder errichteten Wiener Brücke zusammen. Melancholie und Vergänglichkeit sind als Unterströmung in diesem Roman immer präsent. Der Fortschritt, so die Botschaft, ist ein höchst zweischneidiges Schwert. Auch heute, in unserer Zeit der komplett aus dem Ruder laufenden Beschleunigung und Umweltzerstörung, hat dieser Satz eine bemerkenswerte Aktualität.

Seethaler findet viele Bilder, die den Untergang illustrieren. Man kann es auch in den Worten der alten Café-Besucherin sagen: „Alles beginnt zu bröckeln und zu bröseln und zum Schluss bleibt nur ein Häufchen Staub.“ Am Ende bestellt sie bei Mila ein Achtel Rotwein, das, wie sie meint, so schön aussieht in der Sonne. Das Leben geht weiter.

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