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Legendär. Die Pressekonferenz, auf der „Stern“-Reporter Gerd Heidemann die vermeintlichen Hitler-Tagebücher 1983 präsentierte.

© dpa/A2677 CHRIS POHLERT

„Reschke Fernsehen“ im Ersten: Hitler geht immer

Die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher ist ein kleiner Scoop. Doch die Vorwürfe gegen den „Stern“ gehen zu weit.

Eine Kolumne von Kurt Sagatz

Das Format „Reschke Fernsehen“ wurde unschwer erkennbar als Konkurrenzprodukt der ARD zu Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ konzipiert. Im Visier die jüngere Zielgruppe, die sonst eher nicht das Erste guckt. An diesem Donnerstag mischten sich bei Moderatorin Anja Reschke Ironie und Investigation, ergänzt durch eine unterhaltsame Geschichtsstunde. Einen Scoop gab’ es obendrauf: Die Veröffentlichung der „Kujau-Kladden“, besser bekannt als die von Konrad Kujau gefälschten Hitler-Tagebücher. 1983 glaubte der „Stern“, dass nun die „Biografie des Diktators und die Geschichte des Dritten Reichs in großen Teilen umgeschrieben“ werden muss.

Bekanntlich wurde die Veröffentlichung zum größten Medienskandal der alten Bundesrepublik. In Sachen Skandale ist die ARD seither auch nicht untätig geblieben. Aber das ist sicherlich nicht der Grund, warum der NDR nun die Tagebücher im Internet veröffentlicht, nachdem der „Stern“ dies wegen angeblicher Sorgen um das Missbrauchspotenzial 40 Jahre lang unterlassen hat. Übrigens bringt der März-Verlag die kommentierten Tagebuch-Fälschungen in Buchform heraus.

NDR: Geschichte der Tagebücher müsse neu geschrieben werden

Nach Ansicht des NDR muss nun aber die Geschichte des Tagebuch-Skandals neu geschrieben werden. Sicher: Man kann den damaligen „Stern“-Chefs viel vorwerfen: Sensationslust, Profitgier, Unprofessionalität. Warum sonst wurden elementare Echtheitsprüfungen unterlassen? „Reschke Fernsehen“ erkennt noch eine viel schlimmere Absicht.

Abgeleitet auch daraus, dass sich in Kujaus Führer-Diary 77 Stellen zu Magenleiden und 58 zu Schlafstörungen finden, aber kein einziges Mal die Begriffe Konzentrationslager oder Auschwitz auftauchen, wird ein anderer Vorwurf erhoben: Das Magazin habe in vollem Bewusstsein mithelfen wollen, Hitler und Nazi-Deutschland reinzuwaschen. Dem „Stern“ aktive Unterstützung bei der Holocaust-Leugnung zu unterstellen, geht indes zu weit. Immerhin: Bertelsmann lässt den Skandal nun wissenschaftlich aufarbeiten.

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