zum Hauptinhalt
Manchmal gab es Luftalarm. Voller Zuschauerränge beim Sunny Bunny Festival im Kiewer Kino Schowten.

© Sunny Bunny Festival)

Queeres Filmfestival in Kiew: Mut machen, mitten im Krieg

Das erste Sunny Bunny Festival in Kiew brachte mehr als 60 queere Filme in die ukrainische Hauptstadt. Seine Premiere setzte auch ein Zeichen gegen die russische Aggression.

Sie können es selbst noch nicht ganz glauben, als sie nach der Preisverleihung auf der Bühne des Filmtheaters Schowten im Kiewer Szeneviertel Podil stehen: Die Organisatoren des ersten queeren ukrainischen Film Festivals, Sunny Bunny. Eine solche Premiere mitten in Kriegszeiten über die Bühne zu bringen, ist ein Erfolg für sich.

Emotional zeigt sich auch Andrii Kokura, Leiter des größten internationalen Filmfestivals, Molodist, bei dem Sunny Bunny als eigene Rubrik seit 2014 beheimatet war: „Russland ist in allem aggressiv – sie sind aggressiv in ihrer Propaganda, sie sind aggressiv in ihrer Homophobie, sie wollen die Welt ins Mittelalter zurückversetzen und ich bin wirklich froh, dass wir zeigen können, wie sehr die Ukraine nicht Russland und wir Teil der europäischen Familie sind.“

Der Zeitpunkt für die Festivalpremiere sei genau richtig, sagt Festivalchef Bohdan Zhuk, als eine der marginalisierten Gruppen hätten es queere Menschen während des Krieges noch schwerer.

„Eines unserer Hauptziele ist es daher, zu betonen, dass Menschenrechte zu jeder Zeit aktuell sind - ganz besonders während des Krieges - und darüber gesprochen werden sollte.“ Trotz einiger Unterbrechungen wegen Luftalarm zeigte sich, dass das Sicherheitskonzept funktionierte.

Über 60 Filme waren auf dem Sunny Bunny zu sehen - als eigenständiges Festival hat es sein Programm somit verdreifacht. Unter dem Dach des Molodist-Festivals waren nur bis zu 20 Filme.

Das Sicherheitskonzept funktionierte

Für die erste Ausgabe des Sunny Bunny wählten Zhuk und sein Team elf Filme für den Wettbewerb, darunter „Drifter“ des deutschen Regisseurs Hannes Hirsch und „Mutt“ vom US-Regisseur Luk Lungulov-Klotz.

Unter den Wettbewerbsfilmen war allerdings kein einziger ukrainischer. „In der Ukraine wurden noch nicht viele ukrainische LGBT-Filme in Feature-Länge produziert, um ehrlich zu sein, sondern hauptsächlich Kurzfilme“, sagt Zhuk. Zum Festivalgewinner kürte die Jury den Film „My Emptiness and I“ des spanischen Regisseurs Adrian Silvestre, der vom Prozess der Transition von Raphi, einer trans Frau handelt.

„Mit Mut und Echtheit, Charme und Glamour, anatomischer Präzision und poetischer Sensibilität haben der Regisseur und die Schauspielerin Raphaëlle Pérez gezeigt, dass man, wenn man will, ein echtes Mädchen mit oder ohne Vagina sein kann”, so die Begründung.

Besondere Erwähnung fanden „Follow the Protocol“ von Fabio Leal und „Lobo e Cao“ („Wolf und Hund“) von Claudia Varejao. Publikumsliebling war der Film „The Blue Caftan“ der marokkanischen Regisseurin Maryam Touzani.

LGBTI beim Militär

Der Krieg und die Generalmobilmachung betreffen weite Teile der Bevölkerung, queere Menschen dienen wie alle Ukrainer an der Front - und werden dort zunehmend wahrgenommen. Die Hilfsorganisation „Ukrainian LGBT+ Military Personnel For Equal Rights“, die seit 2018 existiert, erhält Zulauf. Sie setzt sich dafür ein, dass queere Menschen, die an der Front ihr Leben riskieren, die gleichen Rechte wie alle haben. Unter fordert vom Verteidigungsministerium eine offene Diskussion um Diskriminierung beim Militär.

So gab es beim Festival neben dem Wettbewerb und den Sektionen Panorama, Dokumentarfilm, Kurzfilm, ukrainischer Kurzfilm auch eine Rubrik, die das Thema Queerness im Militär aufgriff. Gezeigt wurden die Dokumentarfime „Ukrainian Queer Fighters for Freedom“ und „Rebel Queers: Ukraine’s Queer Resistance” der ukrainischen LGBT-Aktivisten Angelika Ustymenko (they/them).

Für den ersten Film hat Ustymenko die Reflexionen queerer Soldat:innen gesammelt, wie sie den Start des russischen Angriffskriegs erlebten und wie sie die Entscheidung trafen, als Soldat:innen oder Freiwillige Helfer an der Front zu dienen. Der zweite Film trifft die Protagonisten nach einem Jahr Krieg wieder und erweitert den Fokus auf andere Formen des queeren Widerstands zu Kriegszeiten.

Da sagt Mark, ein schwarzer Ukrainer und DJ im zivilen Leben: „Ich habe das Bedürfnis zu kämpfen, um unser Recht zu schützen, weiter das zu tun, was wir getan haben.” Regisseurin Ustymenko, reflektiert im zweiten Film die Rolle von queerem Aktivismus im Krieg: „Jetzt haben wir einen größeren Feind, die Russen. Sie würden mich wahrscheinlich sofort umbringen. Jetzt kämpfen wir alle dafür, wir selbst sein zu dürfen.”

Queerness im Krieg

Doch die Protagonist:innen haben das Gefühl, gleichzeitig an zwei Fronten „dienen” zu müssen: Gegen Russland und gegen Homophobie und Sexismus in den eigenen Reihen. „Wir Frauen kämpfen an zwei Fronten”, sagt Daria, früher queere Aktivistin aus Charkiw. Eine andere Person sagt: „Es gibt sexuelle Gewalt, auch in meiner Kompanie. Ich fühle mich einsam und isoliert.” Andere, wie Andrii, haben mehr Glück: „Ich fühle mich wie eine Zelle eines riesigen Organismus, der einen Marathon läuft.”

Kann der Krieg ein Katalysator des sozialen Wandels sein? „Der Wandel in der ukrainischen Gesellschaft ist wirklich sichtbar”, sagt Maxim Potapovych vom „Ukrainian LGBT+ Military Personnel For Equal Rights”. Nach einer aktuellen Umfrage zeigten sich 62 Prozent der Ukrainer der LGBT-Community gegenüber „positiv oder neutral eingestellt“. Im Jahr 2016 waren es nur 30 Prozent.

Ein Grund dafüür sei, so Potapovych, ie Sichtbarkeit der queeren Soldat:innen. „Die LGBTQ-Militärbewegung begann vor fünf Jahren und ist mittlerweile stark gewachsen. Dieser Prozess hat definitiv zur Akzeptanz beigetragen”, glaubt Festivalleiter Zhuk.

„Der Krieg hat die Denkweise vieler Menschen verändert, weil wir jetzt einen gemeinsamen Feind haben. Ich denke, dass die Ukrainer heute allen Menschen, die hier in der Ukraine leben, mehr Akzeptanz entgegenbringen.“ Ich hoffe, dass auch Molodist- und andere kulturelle Veranstaltungen dazu beigetragen haben.“

Zum Abschluss der Preisverleihung lief die Komödie „Captain Faggotron Saves the Universe“ von Harvey Rabbit. Der Film endet mit der Parole „Hab keine Angst!”.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false