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Der Philosoph Peter Sloterdijk

© dpa

Frankfurter Buchmesse: Peter Sloterdijk im Galopp der Dinosaurier

Abseits der Frankfurter Buchmesse widmet man sich Realem und Surealem. Peter Sloterdijk erzählt im Suhrkamp-Haus von seinen eigenen Welten.

Von Gregor Dotzauer

Viele Wege führen zur Frankfurter Buchmesse, doch noch mehr führen von ihr weg. Selbst die Angebote der ITB nehmen sich gegen die intergalaktischen Reiseangebote am Main bescheiden aus. Wirkliche Welten kann jeder, mögliche und unmögliche gibt es nur hier. Start in der Klettenbergstraße. Suhrkamp-Empfang im Siegfried-Unseld-Haus. Ein Geisterhaus, eine Zeitmaschine. Peter Sloterdijk liest aus seinem ersten Roman „Der Schelling-Effekt“, einem Brief- und E-Mail-Austausch unter Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen. Sonst lässt sich schwer sagen, worum es geht. Lange Einführungen, sagt er, habe er in jüngeren Jahren gehalten. Ab in medias res! Die Zuhörer stehen im Wald.

Wer hier wem schreibt, wer überhaupt sich an der Korrespondenz beteiligt, ist vielleicht sogar unwichtig, weil es sehr nach verteilten Stimmen in einem riesigen Monolog klingt. Immerhin lässt sich sagen: Es geht um alles. Sloterdijk eilt im Dinosauriergalopp durch die paläoontologische Geschichte, auf der Suche nach Evas Rippe, dem Geheimnis des Weiblichen und der anthropologisch-genetischsoziologischen Totaltheorie. Die Gender-Polizei kriegt eins übergebraten; man wird sehen, wie weit das Ganze über Altmännerfantasien hinausgeht.

Literatur ist Blutaustausch!

Sloterdijk ist Deutschlandmeister im kühnen Denken. Leider ist er auch Weltmeister im Nuscheln. Ein Spitzenplatz gebührt ihm auch in dr ungeschickten Wahl von Schauplätzen. Kann man Briefe über Eros und Sexus aus dem Grand Hyatt am Potsdamer Platz abschicken? Das Berliner Hotel ist ein typischer non-lieu, wie Marc Augé die gesichtslosen Transitzonen genannt hat, die sich in Gestalt von austauschbaren Coffee Lounges und Flughäfen ausbreiten. Schnell zurück zur wunderlichen Rabbit Hole in der Klettenbergstraße.

Vor vierzig Jahren, sagt ein Archaeopteryx, der dabei war, als hier noch Max Frisch, Peter Weiss und Jurek Becker ein- und ausgingen, standen hier völlig andere Gestalten. Und wen haben wir jetzt Albert Ostermaier. Trösten müsste man ihn, dass im Nachhinein immer alles größer aussieht. Literatur ist Blutaustausch! Hirnzellenverbrennung im kosmischen Maßstab! Asche zum Düngen ungeborener Dichter! Und in tausend Jahren finden Außerirdische hier die Skelette von Rainald Goetz und Clemens J. Setz und sagen: Sie waren fast wie wir.

Und jetzt ab zu den irdischen Wundern. Morgen Seoul mit einem Besuch bei Hwang Tong-gyu, dem Dichter, dem man in der Asienhalle nicht entkommt. Kleiner Umweg über Nairobi, wo es literarisch so heiß zugeht wie in Lagos. Und dann eine Tasse Oolong-Tee in Taipeh, wo eine Kaiserin von China ihr Lächeln in so unendliche Fernen schickt, dass auch Peter Sloterdijk sofort von seinen Mama-Afrika-Träumen abrücken würde.

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