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Staatsoper Hannover

© imago/Future Image/imago stock

Opernland Deutschland: Arien für alle

Nirgendwo gibt es so viele Opernhäuser wie in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist ein historischer Glücksfall - und staatliche Förderung macht es möglich, dass Musiktheater hierzulande wirklich für jeden zugänglich ist.

Die Geschichte des deutschen Stadttheaters beginnt im Jahr 1678 am Hamburger Gänsemarkt. Dort bauten sich reiche Hanseaten ein Opernhaus, mit dem sie die bis dahin feudale Kunstform in die in die eigenen, bürgerlichen Hände nahmen. Die teuerste der darstellenden Künste sollte nicht mehr den Fürstenhöfen vorbehalten sein, nun wollten auch Kaufleute ihr Geld zu Repräsentations- und Unterhaltungszwecken aus dem Fenster werfen.

Denn profitabel war die Oper nie. Diese Erfahrung haben vorher schon die Wittelsbacher gemacht, die am Münchner Salvatorplatz das erste öffentlich zugängliche Opernhaus in Deutschland errichteten, und es sollten ihnen noch viele Theaterunternehmer bis heute folgen. Die erste Hamburger Oper hatte angeblich etwa 2000 Plätze und kämpfte sehr bald mit Auslastungsproblemen. Schließlich wurde das baufällige Haus im Jahr 1764 abgerissen, lebt aber in der Erinnerung auch der heutigen Hamburgischen Staatsoper in der Dammtorstraße weiter.

Blick in den Zuschauerraum der Staatsoper Hamburg
Blick in den Zuschauerraum der Staatsoper Hamburg

© Niklas Marc Heinecke

Denn dort sehen sich der aktuelle Intendant Georges Delnon sowie sein Nachfolger, der Regisseur Tobias Kratzer, in der Nachfolge dieser Bürgerbühne. Wer heute im Zuschauerraum von 1957 sitzt, bemerkt vielleicht das verhältnismäßig kleine und unproportionierte Bühnenportal. Das Bühnenhaus blieb nämlich von den Flächenbombardements des Zweiten Weltkriegs verschont, so dass der Architekt Gerhard Weber einen modernen Saal mit knapp 1700 Plätzen an den Altbau klebte, der zu groß ausfiel für das kleine Portal. Vor einigen Jahren wurde die schlichte Ästhetik der fünfziger Jahre zudem mit einer neuen Garderobe und Marmorböden mächtig aufgemöbelt und macht nun einen noch buntscheckigeren Eindruck.

Profitabel war das Genre nie

Dieses Schicksal teilt das Haus mit der Staatsoper Hannover. Dort hatte der Hofarchitekt Georg Laves ein spätklassizistisches Opernhaus auf die ehemaligen Verteidigungsanlagen am damaligen Stadtrand gebaut, dessen äußere Hülle noch immer steht. Nach dem Krieg entwarf Werner Kallmorgen eine kühl-elegante Innenausstattung, von der jedoch nur die Treppenhäuser und Foyers übrig sind, weil Mitte der achtziger Jahre ein düsterer Zuschauerraum eingebaut wurde, der den Charme einer klobigen Sparkassenfiliale verströmt. Intendantin Laura Berman und der Generalmusikdirektor Stephan Zilias lassen sich aber vom dunkelbraunen Saal nicht einschüchtern und bringen erfolgreich ein politisch engagiertes Programm auf die riesige Bühne, das auch musikalisch höchsten Ansprüchen genügt.

Deutsche Oper Berlin
Deutsche Oper Berlin

© Anja Steinmann

Der übergroße Reichtum Deutschlands an Staatstheatern beruht auf einer historischen Anomalie. Statt wie beispielweise in England in prunkvolle Landsitze zu investieren, leisteten sich unsere Adelsfamilien in barocker Tradition große Festhäuser. Die Theater dienten auch als prunkvoller Rahmen für Hofbälle und große Feste der Ständegesellschaft.

Glanz in der Provinz

Deshalb hat auch das kleine norddeutsche Städtchen Oldenburg einen Kunsttempel, dessen Zuschauerraum seit dem Brand des Vorgängerbaus mit neobarockem Prunk beeindruckt. Ein kompakter Musentempel mit Säulenportikus, in dem der Großherzog seinen Untertanen den Kunstgottesdienst in der moralischen Anstalt ermöglichte. Zuletzt beeindruckte das Oldenburgische Staatstheater mit Wagners „Ring des Nibelungen“ als alpenländische Saga mit Gamsbart und Dirndl unter der musikalischen Leitung von Hendrik Vestmann mit einer rundum überzeugenden Ensembleleistung.

Oldenburgisches Staatstheater am Theaterwall in der Innenstadt
Oldenburgisches Staatstheater am Theaterwall in der Innenstadt

© picture alliance / Hauke-Christian Dittrich/Hauke-Christian Dittrich

Als eines der ersten kleineren Opernhäuser widmete sich das Landestheater Detmold Wagners „Ring“. In seinem Buch „Walküre in Detmold“ hat Ralph Bollmann dieser wagemutigen Großtat ein Denkmal gesetzt. Damals wurde in dem kleinen Theater mit der klobigen Hofloge eigens der Orchestergraben erweitert. Der reicht nun ebenso weit unter die Bühne wie in den Zuschauerraum und ermöglicht seitdem auch Aufführungen der großformatigen Werke des spätromantischen Repertoires. Schräg gegenüber wohnt Stephan Prinz zu Lippe im Detmolder Schloss, hat aber mit der Finanzierung des ehemaligen Hoftheaters seiner Vorfahren nichts mehr zu tun.

Enorme stilistische Bandbreite

Auch hier war der Vorgängerbau abgebrannt, das heutige Theater zwar noch in der Monarchie geplant, aber erst 1919 eröffnet. Heute gilt das Vierspartentheater als größte Reisebühne Europas, denn die Hälfte der etwa 600 Aufführungen pro Jahr finden in den umliegenden Städten ohne eigenes Ensemble statt. Dafür beteiligen sich die Städte, Kreise und das Land Nordrhein-Westfalen an den Kosten. Von Puccinis „Madam Butterfly“ über Händels „Xerxes“ bis zu Linckes „Frau Luna“ reicht die stilistische Bandbreite der Alleskönner zwischen Bielefeld und Paderborn.

Problemfall Oper Köln am Offenbachplatz
Problemfall Oper Köln am Offenbachplatz

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Besonders wählerisch in Sachen Spielstätten können die Bühnenkünstler nicht sein, denn nicht jede Stadt verfügt über dieselben technischen Voraussetzungen. An diese Widrigkeiten müssen sich die vielen Opernkompanien erst gewöhnen, die in Ausweichspielstätten die Renovierungszeit ihrer Stammhäuser überbrücken müssen.

In Berlin erinnert man sich mit Grausen an die Skandalbaustelle der Lindenoper – und hofft darauf, dass die verantwortlichen Senatsstellen ihre Lektion gelernt haben für die anstehende Sanierung und Erweiterung der Komischen Oper. Einen klugen Mittelweg hat die Deutsche Oper beschritten: Das 1961 eröffnete Haus an der Bismarckstraße wird bei laufendem Spielbetrieb Schritt für Schritt fit gemacht für die Zukunft, zuletzt war die Modernisierung des Orchestergrabens dran.

Landestheater Detmold
Landestheater Detmold

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Künstlerisch glänzen derzeit alle drei Opernhäuser der Hauptstadt: Vergessen sind die quälenden Spardebatten wie auch die Konkurrenzkämpfe der Bühnen untereinander. Nach der Coronazeit strömt das Publikum wieder, die Stimmung in den Sälen ist gut. Und das nicht nur bei den medial viel beachteten Premieren. Auch im Alltag die Qualität zu garantieren, beliebte Produktionen, die teilweise seit Jahrzehnten auf dem Spielplan stehen, frisch zu halten, das ist fast noch eine größere Herausforderung für die Häuser mit breitem Repertoire.

In keiner Stadt der Welt ist das Musiktheaterangebot so vielfältig in wie Berlin, wenn man das Angebot der Deutschen Oper, der Staatsoper und der Komischen Oper zusammen betrachtet. Ein Traum für Musiktheaterfans.

Das Sanierungsdrama von Köln

Harte Zeiten erlebt dagegen die Kölner Oper, die wegen der Sanierung ihres Stammhauses schon seit Jahren und noch auf absehbare Zeit in einer Messehalle auf ungeliebten rechten Rheinseite spielen muss. Hier lässt sich mustergültig eine Reihe von Fehlentscheidungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ablesen.

Ende des 19. Jahrhunderts hatten die stolzen Kölner am Rudolfplatz eins der größten und prunkvollsten Opernhäuser Deutschlands eingeweiht. Nach dem Krieg war wilhelminische Architektur so gründlich außer Mode, dass man das verhältnismäßig leicht beschädigte Gebäude abriss und ein deutlich kleineres Haus näher am Dom baute.

Das Theater Freiberg in Sachsen
Das Theater Freiberg in Sachsen

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Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung der Bausubstanz wurde eine grundlegende Sanierung des originellen Baus fällig, die jedoch dilettantisch geplant und unzureichend überwacht wurde. Niemand weiß im Moment, wie lange mit dem Gürzenich-Orchester eins der besten Opernorchester des Landes die Sänger in einer ehemaligen Messehalle begleiten muss.

Allerdings lässt sich an der Kölner Oper auch beobachten, dass ein ambitionierter Spielplan auch unter widrigen Umständen bravourös auf die Behelfsbühne gebracht werden kann. Dennoch besteht die Gefahr, dass eine Oper an der Peripherie aus dem Bewusstsein der Stadtgesellschaft verschwindet.

Berlin glänzt – Meiningen auch

Ein Problem, das die Kulturpolitiker in Frankfurt, Bonn oder Stuttgart gründlich erörtern sollten, wenn die millionen- oder gar milliardenschweren Erneuerungen bei ihren Opernhäusern anstehen. Glücklich kann sich schätzen, wer diese Umbauten hinter sich hat, wie das Staatstheater Meiningen an der Repräsentationsstraße der ehemaligen Kleinstaatshauptstadt. Dort wurde vor einigen Jahren sogar die Rückwand abgesägt und versetzt, um mehr Bühnentiefe zu erreichen als der legendäre Theaterherzog Georg bei seinem Neubau Anfang des 20. Jahrhunderts konzipierte.

Staatstheater Meiningen
Staatstheater Meiningen

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Im Theatermuseum des knapp 25.000 Einwohner zählenden Städtchens können Besucher der großen Zeit des Schauspielensembles mit naturalistisch gemalten Kulissen nachträumen, während im Empire-geprägten Theatersaal selten gespielte Opern wie „Santa Chiara“ des komponierenden Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha aufgeführt werden.

Fruchtbares Nachwuchsbiotop

Das älteste durchgehend bespielte Stadttheater des Landes steht jedoch in der Silberstadt Freiberg im Erzgebirge. Am Buttermarkt begann nicht nur der Bariton Hans-Joachim Ketelsen seine Karriere, die ihn bis an die New Yorker Met brachte, auch die unvergessene Inge Keller stand dort zum ersten Mal auf der Bühne.

In dem umgebauten Bürgerhaus machte Carl Maria von Weber seine ersten Schritte als Opernkomponist. Erfolglos übrigens. Das hat seiner Laufbahn nicht geschadet. Denn schon damals galt, was sich viele hoffnungsvolle Eleven sagen, wenn sie an kleinen Bühnen neue Rollen ausprobieren: Wenn es gut geht, spricht es sich rum. Wenn es schlecht läuft, hat es kaum jemand mitbekommen.

In diesem Möglichkeits- und Entdeckungsraum besteht vor allem anderen der Reichtum der deutschen Opernlandschaft. Wenn im Sparfuror der Haushaltspolitiker nur noch die großen Opernhäuser in München, Hamburg und Berlin übrig bleiben, verlieren wir nicht nur das Nachwuchsbiotop für junge Musiker, sondern auch ein riesiges Experimentierfeld für die Oper der Zukunft.

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