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Die Beatles 1968. zwei Jahre vor ihrer Trennung. George Harrison, John Lennon, Ringo Starr und Paul McCartney (von links nach rechts).

© dpa/-

„Now and Then“: Ein letzter Song der Beatles

53 Jahre nach der Trennung der Fab Four erscheint eine mit Hilfe Künstlicher Intelligenz vom verrauschten Demo zum perfekten Studioprodukt aufpolierte Single.

Von Gregor Dotzauer

Was ist das? Ein sensationeller Fund? Eine dreiste Erfindung? Ein technisches Wunder oder reine Augenwischerei? „Now and Then“, der Song, der 53 Jahre nach der Trennung der Beatles nun als letzter gemeinsamer Song das Licht der Welt erblickt, ist zumindest nicht vom Himmel gefallen. Das nach wie vor hörbare Gerüst findet sich auf einer Demokassette, die John Lennon bereits 1979, ein Jahr vor seiner Ermordung, in seiner Wohnung im New Yorker Dakota Building am Klavier einspielte.

Lennons Witwe Yoko Ono überließ die Aufnahmen mit vier unveröffentlichten Stücken 1994 den Rest-Beatles. George Harrisons Gitarre kam 1995, sechs Jahre vor seinem Tod, dazu, als er mit Paul McCartney und Ringo Starr ins Studio ging, um einige unvollendete Songs studiogerecht aufzupolieren. Aus der Session ging unter anderem „Free as a Bird“ hervor, das damals als erster neuer Beatles-Titel nach einem Vierteljahrhundert vermarktet wurde.

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„Now and Then“ aber blieb liegen. Weder ließen sich Lennons Stimme und sein Klavier ordentlich separieren, noch wollte ein Brummen weichen, das über dem Ganzen lag. Das Kunststück vollbrachte erst Peter Jackson. Der australische Regisseur setzte für seine Dokumentarserie „Get Back“ (2021) eine KI-basierte Restaurierungstechnik ein, die es erlaubte, jedes noch so unvollkommen archivierte Stück bis auf die Grundfesten abzutragen und in bester Qualität neu zusammenzusetzen. Von da an hieß es: Now or never!

Und da ist nun „Now and Then“. Ein Stück sympathisch altmodischer Popmusik, das sich noch ein kurzes Intro leistet und nicht gleich loslegt, wie es die Streaming-Kultur mit ihrer Wegklickangst verlangt. Ein Stück auch, das nach der ersten, von A-Moll brav nach E-Dur hinabsteigenden Strophe und dem nachfolgenden Refrain, eine echte Bridge bietet. Sting hat in einem Interview mit Rick Beato einmal beklagt, dass sie längst nicht mehr zum Goldstandard anspruchsvollen Songschreibens gehöre: Inzwischen werde oft ein Akkordschema unerbittlich von vorn bis hinten durchgezogen.

Aber ach, wer die neue Single mit dem ursprünglichen Lennon-Demo vergleicht, wird nicht nur feststellen, dass das Intro um einige Sekunden kürzer ausgefallen ist, auch die erwähnte Bridge ist gegenüber dem Original und dessen unvermuteten Modulationen, die den Reiz vieler Beatles-Lieder ausmachen, harmonisch begradigt.

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Zusammen mit dem unspezifischen Streicherteppich im Hintergrund und einem nachträglichen eingefügten Steelguitar-Solo wirkt das alles doch sehr ranschmeißerisch und geglättet: Das durchdringend Melancholische des Entwurfs ist weg, und auch Lennons Klagestimme hat bei zunehmender Deutlichkeit und Sauberkeit im Vordergrund an charismatischer Schärfe verloren.

Ein Text von großer Schlichtheit

Der Text des eigentlich Sprachbegabtesten aller Beatles ist ohnehin von großer Schlichtheit: „I know it’s true / It’s all because of you / And if I make it through / It’s all because of you.“ Und im Refrain: „And now and then / If we must start again / Well, we will know for sure / That I love you.“ Starke Lyrics, von denen diese Band einige zu bieten hat, sind nicht alles, aber wenn sie sich mit einer Musik paaren, die sich selbst um einen Teil ihrer einst intendierten Wirkung bringt, reicht das zwar für einen weiteren Ohrwurm, bei Weitem aber nicht aber für einen Platz unter den unverzichtbaren Songs der vier.

Ein Witz dieser Ausgrabung besteht darin, dass er das Authentische, das „Now and Then“ zugrunde liegt, letztlich nicht mehr strapaziert, als es die mehr oder weniger frei imaginierten Beatles-Songs tun, die auf YouTube mit KI-generierten Stimmen der Fab Four aufwarten. Auch ihr musikalischer Wert mag in der Regel gering sein, weil sie nichts als ein digitaler Aufguss vertrauter Harmonieschemata und Arrangements sind. Mit mehr Fantasie ließen sich durchaus Wunderwerke herstellen. Die Authentifizierung von „Now and Then“ geschieht allerdings einzig und allein in Form der Promo-Maschinerie, die den Song als ideelles Eigentum der Erben ausweist.

Einblicke ins Rohmaterial

Das Pendel der postumen Veröffentlichungen hat in zwei Richtungen ausgeschlagen. Zum einen ist in der „Anthology“-Reihe, für die damals erste Lennon-Bearbeitungen entstanden, oder in den EMI Studio Sessions eine Vielzahl von Demos, frühen Versionen und Alternate Takes erschienen.

Als Rohmaterial der im Studio von George Martin aufwendig produzierten Stücke offerieren sie wertvolle Einblicke in die Entstehungsgeschichte von Songs, die seinerzeit mit sehr viel bescheideneren technischen Mitteln, aber einem Höchstmaß an Fantasie veredelt wurden. Zum anderen hat zuletzt schon Giles Martin, sein Sohn, das 1966 entstandene Album „Revolver“ mit Hilfe Künstlicher Intelligenz technisch überholt und neu abgemischt. Liebhaber haben überdies Gelegenheit, die wiederveröffentlichten Monoalben auf Vinyl zu kaufen.

Es hat bei alledem nicht erst die allerjüngsten Entwicklungen Künstlicher Intelligenz gebraucht, um solche Bastelarbeiten herzustellen. Das Zusammenfügen einzelner Spuren aus unterschiedlichen Quellen ist seit dem Aufkommen von Digital Audio Workstations wie Ableton oder Logic gang und gäbe.

Statt in Reisen und teure Studios zu investieren, schicken sich Musiker gegenseitig Dateien zu, die am heimischen Computer montiert werden, oder spielen Soli über fertige Tracks. Die Virtualisierung ist Alltag geworden, wird allerdings auch vom Bewusstsein getragen, das Retortenprodukt auf der Bühne jederzeit aufleben lassen zu können.

The Last Beatles Song? Wer sich die 12-minütige Dokumentation zur Rekonstruktion des Songs ansieht, die ihrerseits die Zeiten, Schichten und Perspektiven aus Jahrzehnten mit höchster Suggestionskraft zu einer einzigen, sich nach allen Richtungen ausdehnenden Gegenwart zusammenschießen lässt, hört den Erzähler und geschäftlich aktivsten aller Beatles, Paul McCartney, gegen Ende ein verräterisches Wort sagen. Probably. Da kann man für die Zukunft glatt noch auf Besseres, weil Ungeschöntes, hoffen.

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