zum Hauptinhalt
Zahlreiche Umwege bis zur Rückkehr nach Berlin. Dirigent Christian Thielemann.

© Rikimaru Hotta

Update

Neuer Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden: Christian Thielemann folgt auf Daniel Barenboim

Die Staatskapelle bekommt mit dem umstrittenen Dirigenten ihren Wunschkandidaten. Erste Reaktionen fallen teils euphorisch, teils skeptisch aus. Und Thielemann äußert sich erstmals zu alten Antisemitismus-Gerüchten.

Nun ist die Vermutung Gewissheit: Christian Thielemann soll, wie Berlins Kultursenator Joe Chialo bei einer Pressekonferenz am Mittwochmittag bekannt gab, der neue Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden werden. Er beerbt damit ab der Saison 2024/25 Daniel Barenboim, der sich aus gesundheitlichen Gründen Anfang Januar zurückgezogen hat, aber Chefdririgent auf Lebenszeit bleibt.

Der 1959 in Berlin-Wilmersdorf zur Welt gekommene, in Schlachtensee aufgewachsene und in Potsdam-Babelsberg lebende Thielemann kehrt damit in seine Geburtsstadt zurück, wo er von 1997 bis 2004 schon Generalmusikdirektor der Deutschen Oper war.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Thielemanns aktueller Vertrag bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden läuft noch bis zum Ende der Spielzeit 2023/24. In Dresden hat er auch eine Honorarprofessur an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber inne. Von 2013 bis 2022 war er überdies künstlerischer Leiter der Osterfestspiele Salzburg. Zwischen 2015 und 2020 hatte er den eigens für ihn geschaffenen Posten des Musikdirektors der Bayreuther Festspiele inne, wo er als Dirigent im Jahr 2000 mit den Meistersingern sein Debüt gegeben hatte. Regelmäßige Gastdirigate absolvierte er bei den Wiener und Berliner Philharmonikern.

Als Interpret der deutschen Klassik, von Romantik und Spätromantik genießt er einen herausragenden Ruf, ist in der Bandbreite seiner musikalischen Interessen und seinem Verständnis für die Gegenwart aber nicht halb so offen wie Daniel Barenboim. Dazu kommt ein zuweilen unbeherrschtes herrisches Auftreten, das ihn an vielen seiner bisherigen Wirkungsstätten Konflikte bescherte.

Elisabeth Sobotka, die designierte Staatsoper-Intendantin ab 2024, sprach bei der Bekanntgabe von einem „organischen und inspirierenden Übergang“. Auch Kultursenator Joe Chialo nannte Thielemann einen „logischen Nachfolger“. Er sei ein Garant dafür, so Sobotka, dass die große Tradition und die Qualität der Lindenoper die Basis bleiben, auf der die Weiterentwicklung des Hauses aufbauen kann.

Beim Pressetermin im Apollosaal der Staatsoper wurde auch ein Statement des 80-jährigen Barenboim verlesen. Er kenne Thielemann, seit dieser als 19-jähriger Junge sein Assistent an der Deutschen Oper war. Schon da sei sein außerordentliches Talent offensichtlich gewesen. Er sei sich sicher, dass die Staatsoper unter Thielemanns Leitung „ihre Ausnahmestellung im Berliner und internationalen Musikleben weiter halten und ausbauen“ werde, so Barenboim, der seinem Nachfolger und Sobotka das notwendige Glück und Geschick bei der Leitung des Hauses wünscht. „Ich bin voll Vorfreude auf das, was kommt!“

Thielemann war zuletzt mehrfach als Dirigent der Staatskapelle eingesprungen. Von Herbert Blomstedt übernahm er Anton Bruckners Siebte Symphonie, vom erkrankten Barenboim Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Dem Vernehmen nach soll sich Thielemann aber vor allem während einer Südkorea-Tournee der Staatskapelle im letzten Herbst, auf der unter anderem die vier Symphonien von Johannes Brahms auf dem Programm standen, der Sympathien des Orchesters versichert haben.

Erste Medienreaktionen fallen überwiegend positiv aus. Die „New York Times“ berichtet nüchtern, weist auf die lange Zeit schwierige, inzwischen aber gute Beziehung zwischen Barenboim und Thielemann hin, darauf, dass Letzterer sich lange rar machte in den USA. Im letzten Jahr habe er jedoch eine triumphale Rückkehr gefeiert, mit Bruckners Achter beim Chicago Symphony Orchestra.

Thielemann äußert sich zu alten Antisemitismus-Gerüchten

Die „Welt“ geht auf alte Gerüchte aus der Zeit ein, als Thielemann GMD an der Deutschen Oper war. Damals, Anfang der 2000er Jahre, wurde der Vorwurf laut, Thielemann habe sich antisemitisch über Barenboim geäußert, auch die „New York Times“ erinnert jetzt daran. Das Gerücht wurde nie erhärtet. In einem Interview mit Mathias Döpfner, das am Wochenende in voller Länge erscheint, nimmt Thielemann erstmals dazu Stellung, die Passage wurde von der „Welt“ vorab publiziert.

Daniel Barenboim l2022 im Großen Saal des Wiener Musikvereins.
Daniel Barenboim l2022 im Großen Saal des Wiener Musikvereins.

© dpa/DIETER NAGL

Krach zwischen ihm und Barenboim habe es „allenfalls um die Verteilung der Gelder für die Opernhäuser“, so der Dirigent. „Als ich anfing, hatte die Deutsche Oper noch die Berlin-Zulage, und die anderen hatten Ost-Tarife. Und da hat Barenboim sehr richtig – heute würde ich genauso argumentieren – gesagt: Wenn das so weitergeht, laufen mir die besten Musiker weg“. Eine kurze Zeit wären beide Orchester gleich bezahlt worden. „Aber plötzlich hieß es, es gäbe ein Kanzler-Geschenk für Daniel Barenboim. Das hat man natürlich an der Deutschen Oper sehr kritisch gesehen“, erinnert sich Thielemann. 

Es sei gut, dass man dem Zeitgeist nicht gefolgt sei, so die „Welt“ außerdem, Thielemanns Wahl sei alternativlos gewesen. Im RBB ist von einer glanzvollen Ernennung die Rede, und bezüglich des häufiger kritisierten schwierigen menschlichen Umgangs des Maestro von der Hoffnung auf diplomatischere Umgangsformen und eine „gewisse Altersweisheit“ des 64-Jährigen.

Scharfe kritische Töne schlägt die Münchner „Abendzeitung“ an. Deren Musikkritiker twitterte: „Natürlich ist Thielemann ein bedeutender Dirigent. Aber nun wirklich JEDER außerhalb von Berlin weiß, dass er in alles reinreden, aber sich um nichts kümmern wird. Erst große Euphorie. Und dann Krach.“ Das renommierte Klassikportal „Van“ meinte, das „An-die-Stirn-Hauen“ an Thielemanns früheren Wirkungsstätten München und Dresden sei bis nach Berlin zu hören. Gleichwohl hofft das Portal auf ein starkes, mäßigendes Team um den Dirigenten.

Kritik kommt auch von der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus. Daniela Billig, kulturpolitische Sprecherin der Bündnis-Grünen, spricht von einer „vertanen Chance für die Staatsoper und für einen echten Neuanfang“. Thielemann sei ein angesehener Künstler mit beachtlicher Karriere. „Dennoch steht er für altmodische, rückwärtsgewandte Strukturen. Sein autoritärer Führungsstil und seine Äußerungen passen nicht in das liberale, weltoffene und vielfältige Berlin.“ (Tsp)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false