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Nicht zu viel und nicht zu wenig: Eine Besucherin bei Sprüth Magers vor einer Bildsequenz von Bernd und Hilla Becher.

© Timo Ohler

Neuer Blick auf die Ikonen: Bernd und Hilla Becher in Berlin

Die Galerie Sprüth Magers eröffnet zur Art Week mit einer Ausstellung des Fotografenpaares Bernd und Hilla Becher. Ein Treffen mit ihrem Sohn Max in der Ausstellung.

Von Hilka Dirks

Bescheiden wirken die Formate im Raum, ungewohnt klein für Fotografien, doch können die akribischen Architekturaufnahmen gegen die Weite des White Cubes in Sprüth Magers großen Hallen fraglos bestehen. Alle sind sie da. Weiß gerahmt sitzen die Motive im Passepartout: Wassertürme, Kohlebunker, Fördertürme, Kühltürme, Kornspeicher. Sogar ein Hochspannungsmast ist dabei. Auch wenn Bernd und Hilla Becher diesen nicht mochten. „Nicht genug Masse“, erklärt der Sohn Max Becher: „Ich hoffe sie nehmen es mir nicht übel, dass wir diesen mal zeigen.“

Max Becher verwaltet das Estate des Fotografenpaars und half bei der Konzeption der ersten Einzelausstellung mit der Galerie. Keiner kennt die Arbeiten so gut wie er, der seine Eltern unzählige Male und in allen möglichen Ländern bei ihren Aufnahmen begleitete. Doch auch er lerne bei der Arbeit mit dem Nachlass immer noch dazu. Die Ausstellung zeigt einen Querschnitt durch das mehr als fünf Jahrzehnte umspannende Lebenswerk der Bechers, die ihr Wirken seit den frühen 1960er-Jahren ganz der Dokumentation und Katalogisierung großer Industrieanlagen und -architekturen widmeten und so die „Düsseldorfer Schule“ begründeten.

Verwinkelte Stahlgerüste, verschlungene Rohre

Mit wissenschaftlicher Präzision legten die Bechers visuelle Sammlungen der Architekturen der Schwerindustrie an. Festgehalten auf großen Plattenkameras, bildeten sie die Industriebauten der Nachkriegszeit ab, sortierten, kontrastierten und verglichen sie.

Ich wollte doch noch ein bisschen weitermachen.

Bernd Becher. Den Satz soll der Fotokünstler einen Tag vor seinem Tod gesagt haben.

„Sie fanden die Objekte am interessantesten, die sich selbst zeigen. Durch die man hindurchsehen kann, sie dadurch richtig versteht. Nicht nur die Haut, sondern auch, wie sie gebaut sind, ihre Statik, wie die Teile aufeinandersitzen. Als Fotograf kann man stets nur die Oberfläche zeigen, aber wenn es ein Objekt ist, das sich selbst präsentiert, bekommt man all die anderen Dinge dazu. Die Funktionen, Größen und Proportionen.“

 Bernd & Hilla Becher, Winding Tower, Fosse Noeux No. 13, Sains-en-Gohelle, F, 1972

© © Estate Bernd & Hilla Becher, represented by Max Becher , Courtesy Sprueth Magers , Photo: Mareike Tocha

Gleich im ersten Raum wird dies an einer sogenannten „Abwicklung“ deutlich. Eine vierteilige Bildsequenz zeigt ein hageres Holzgerüst. Spirrelig reckt sich die Konstruktion in den monochromen Himmel, trotzig stemmen sich Holzplanken in den Boden. Es ist ein Förderturm für Lasten, Kohle und Personen, wie er während der Weltwirtschaftskrise häufig illegal von arbeitslos gewordenen Bergleuten errichtet und betrieben wurde. Die Fotos sind 1975 im amerikanischen Pennsylvania aufgenommen worden. Das gleiche Motiv aus vier verschiedenen Perspektiven. Es ist die genau richtige Anzahl Bilder, um die schlichte Architektur zu begreifen. Jede weitere Abbildung wäre unnötig. Ein Prinzip, welches sich durch den gesamten Werkkörper der Bechers zieht. Wie viel kann weggelassen werden, ohne die Essenz der Gestalt zu beschneiden? Wie viel muss man vereinheitlichen, um Vergleichbarkeit zu ermöglichen?

„Anonyme Skulpturen“ nannten die Bechers ihre Sujets. „Jedes Objekt besitzt eine eigene Identität, eine Art Geist und so haben meine Eltern es auch verstanden. Es ging darum, diesen festzuhalten, zu porträtieren. Von innen heraus.“ Dies gelang. Meist singulär stehen die Gebäude im Format. Erhaben in ihrer Reinheit des Funktionalen. Simpel wirken die Bilder, klar und stolz. Dabei sind die Motive komplex: Verwinkelte Stahlgerüste, verschlungene Rohre, eigenwillige Schornsteine. „Es ging um die Wissenschaft. Und um die Frage: Warum unterscheidet sich die Form bei gleichem Zweck?“

Objektiv, sachlich, stringent

Bernd Becher wird 1931 in Siegen geboren, wächst als Sohn eines Dekorationsmalers in einer Handwerkerfamilie auf. Nach einer Lehre im väterlichen Betrieb studiert er an der staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und der Düsseldorfer Kunstakademie. In Düsseldorf lernt er 1957 in einer Werbeagentur Hilla Wobeser kennen. Auch sie hatte nach ihrer Lehre beim Fotografen Walter Eichgrün an der dortigen Akademie studiert, ab 1976 wird Bernd Becher dort zum Professor berufen werden, ein Lehrstuhl, den sie als gemeinsamen begreifen. Hilla Wobeser und Bernd Becher beginnen miteinander zu arbeiten und heiraten 1961, 1964 kommt der einzige Sohn Max zur Welt.

In früheren Interviews erwähnen die Bechers häufig ihre Einflüsse. Die industriellen Motive Albert Renger-Patzschs, die Naturaufnahmen Karl Blossfeldts, die Portrait-Studien August Sanders. Deutlich sind sie zu erkennen. Sowohl in ihren gemeinsamen Arbeiten als auch in den jeweiligen früheren Einzelwerken. Und doch steht das Werk der Bechers ganz für sich. Bewusst wandten sie sich vom bis in die 50er-Jahre verbreiteten ästhetischen Ideal heroisch-idealisierter Landschaftsaufnahmen ab, von Romantik, Dramatik und Propaganda. Objektiv sollten die Aufnahmen sein. Sachlich und stringent. Als Neue Sachlichkeit wurde das fotografische Genre später kanonisiert, für welches sie heute wie keine anderen stehen.

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