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Charlie (Joe Locke) und Nick (Kit Connor) sind verliebt.

© Netflix

Netflix-Serie „Heartstopper“: Ein perfektes Coming-out für meinen Liebsten

Charmant und einfühlsam erzählt Alice Oseman die Teenagerliebe von Charlie und Nick in der zweiten Staffel weiter. Besonders gelungen ist dabei die Zeichnung der Nebenfiguren.

Von Patrick Heidmann

Wenn einem erst mit Ende 20 klar wird, dass man schwul ist, verpasst man all die wunderschönen Erfahrungen, die queere Teenager machen. Dieser Satz, sehnsüchtig-melancholisch ausgesprochen von einer erwachsenen Lehrkraft, ist in gewisser Weise das Motto für die mit viel Vorfreude erwartete zweite Staffel der Netflix-Serie „Heartstopper“, die ab dem 3. August zu sehen ist. Nicht nur, weil er ein Beispiel dafür ist, mit wie viel Hingabe und Zärtlichkeit hier auch auf die Nebenfiguren geschaut wird. Sondern vor allem, weil die wundervolle Momente jungen, queeren Glücks hier tatsächlich im Überfluss in Szene gesetzt werden.

Die neuen acht Folgen, abermals sämtlich von Alice Oseman, der Schöpferin der zugrunde liegenden Comics, geschrieben und von Euros Lyn inszeniert, setzen kurz nach dem Ende der ersten Staffel ein. Der schwule Schüler Charlie (Joe Locke) ist weiterhin verliebt in seinen Mitschüler Nick (Kit Connor), und weil dieser realisiert hat, dass er ein begeisterter Rugby-Spieler und trotzdem bisexuell sein kann, sind die beiden inzwischen ein glückliches Pärchen, das jede freie Minute miteinander verbringt.

Größtenteils heimlich, doch das soll sich ändern. Denn Charlie, immer noch geprägt von seinem eigenen, unfreiwilligen und von viel Bullying begleiteten Outing, will alles daransetzen, Nick dabei zu helfen, das eigene Coming-out so perfekt und harmonisch wie möglich zu gestalten. Und so das gemeinsame Glück endlich mit allen in ihrem Umfeld zu teilen.

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Leichter gesagt als getan, natürlich, selbst wenn die fiktive britische Vorort-Welt von „Heartstopper“ über weite Strecken ein absolutes Idyll der Queerness ist, eine Wunschvorstellung. So sehr die Frage nach dem Öffentlich-Machen der sexuellen Identität und der ersten große Liebe eine ist, die junge Menschen wie Charlie und Nick selbstverständlich umtreibt, so sehr erweisen sich viele Sorgen, die die beiden sich machen, im Alltag oft als sehr viel weniger dramatisch als befürchtet. Der Großteil der Erwachsenen im Leben der Jungs entpuppt sich – ähnlich wie Nicks abermals von der wunderbaren Olivia Colman gespielte Mutter – entweder als empathisch und verständnisvoll oder ist wie die eingangs erwähnte Lehrkraft selbst queer.

Auch innerhalb ihrer Clique, die im Laufe der ersten Staffel zu einer eingeschworenen Gemeinschaft zusammenwuchs und dieses Mal gemeinsam auf schulübergreifende Klassenfahrt nach Paris gehen darf, ist eine ganze Bandbreite des LGBTQIA-Spektrums abgedeckt.

Elle (Yasmin Finney), die im Bewerbungsprozess an der Kunsthochschule auf Gleichgesinnte stößt, und der sensible Tao (William Gao) entdecken weiter ihre Gefühle für einander, Darcy (Kizzy Edgell) und Tara (Corinna Brown) sind vermeintlich unzertrennlich wie eh und je, und auch der stille Bücherwurm Isaac (Tobie Donovan) oder die immer wieder unglücklich verliebte Imogen (Rhea Norwood) gewinnen deutlich an Kontur.

Tara (Corrina Brown) und Darcy (Kizzy Edgell) auf der Klassenreise.
Tara (Corrina Brown) und Darcy (Kizzy Edgell) auf der Klassenreise.

© Teddy Cavendish/Netflix

Es ist eine große Freude, wie viel Raum die neuen Folgen all diesen unterschiedlichen, als Freundeskreis aber stets glaubwürdigen und durch die Bank hinreißend verkörperten Nebenfiguren einräumt, ohne sich zu verzetteln oder das Paar im Zentrum aus dem Auge zu verlieren.

Dass in dieser auf entzückende, nie klebrige Weise süßen und abermals von bunten Emotions-Animationen durchzogenen Welt praktisch kein Platz ist für Sex, wurde innerhalb der queeren Community schon moniert. Anders als für die offen zu ihrer Asexualität stehende Oseman gehört für viele das Aufwachsen als schwuler oder bisexueller Jugendlicher untrennbar auch mit unkontrollierbaren Hormonen und sexuellem Experimentieren zusammen.

Noch nicht bereit für mehr als Küssen

Ob das in der Realität tatsächlich immer zwingend so ist, sei dahingestellt, doch auf Realismus zielt „Heartstopper“ ohnehin ebenso wenig wie „Euphoria“ am anderen, krasseren Ende der Schulzeit-Serien-Skala. Charlie und Nick jedenfalls thematisieren ganz direkt, dass sie sich noch nicht bereit fühlen für viel mehr als Küssen und Knutschflecke, und innerhalb der Logik dieser rein auf emotionale Wahrhaftigkeit setzenden Geschichte macht das durchaus Sinn.

Zur Wahrhaftigkeit gehört natürlich auch, dass nicht immer nur alles rosig und heiter läuft auf der jugendlichen Achterbahn der Gefühle. Die Kids in „Heartstopper“ haben Ängste, Sorgen und Selbstzweifel wie sie in diesem Alter üblich und oft schneller vorbei sind, als man sich den Kopf darüber zerbrechen kann. Deshalb stört es auch kaum, dass einige Konflikte und Schwierigkeiten kaum mehr als zwei Folgen präsent sind.

Nur Charlies verinnerlichte Traumata sowie das angerissene Thema Essstörungen werden vielleicht allzu leichtfertig verhandelt und nicht tief genug ausgelotet. Doch das kann ja in der bereits bestellten dritten Staffel noch intensiviert werden. Bis dahin darf man sich einfach freuen über eine ebenso charmante wie einfühlsame Serie, die die Erfahrungen schwuler, queerer oder trans Jugendlicher nicht nur als ausschließlich schmerzhaft und tragisch, sondern größtenteils voller Euphorie, Freude und Ausgelassenheit zeigt.

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