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Bakary (Omar Sy) will seinen Sohn Thierno (Alassane Diong) an der Front beschützen.

© dpa/--

„Mein Sohn, der Soldat“ im Kino: Kolonialpolitik auf dem Schlachtfeld

Im Ersten Weltkrieg rekrutierte Frankreich junge Männer aus Afrika – gegen ihren Willen. Omar Sy spielt in „Mein Sohn, der Soldat“ einen Vater, der seinen Jungen an der Front beschützen will.

Von Andreas Busche

Der „unbekannte Soldat“, der unter dem Arc de Triomphe begraben liegt, hat keine Hautfarbe. Das Grabmal des unbekannten Soldaten ist ein symbolischer Ort, der an die Kriegstoten erinnert, die namenlos auf den Schlachtfeldern starben. „Erinnert euch an mich“, sagt die Stimme des senegalesischen Hirten Bakary über die Bilder aus dem Paris der Gegenwart. „Erinnert euch an uns.“

1920 wurden die Knochen von acht gefallenen französischen Soldaten auf dem Schlachtfeld von Verdun exhumiert, einer von ihnen liegt heute unter dem Triumphbogen. Der „Große Krieg“ weckt in Frankreich immer noch Nationalstolz, auch wenn viele unrühmliche Geschichten über ein Jahrhundert verdrängt wurden.

Gewaltsam für den Krieg rekrutiert

Solche wie die des fiktiven Bakary. Ganz am Ende von „Mein Sohn, der Soldat“ stellt der Regisseur Mathieu Vadepied die Möglichkeit in den Raum, dass die Hautfarbe des unbekannten Soldaten auf dem Place Charles de Gaulle nicht weiß, sondern schwarz gewesen sein könnte.

Bakary, gespielt von Omar Sy, ist 1917 nicht freiwillig in Europa. Er hat sich zum Kriegsdienst gemeldet und seine Familie in der senegalesischen Heimat zurückgelassen, um den Sohn zu beschützen. Das französische Militär hat den 17-jährigen Thierno (Alassane Diong) eingezogen, die Soldaten sind in das kleine Dorf regelrecht eingefallen und haben die Jugendlichen gewaltsam verschleppt. Bakary kann sich gerade noch unter die Männer mischen und lässt sich für den Krieg in Europa rekrutieren.

Kanonenfutter für Frankreich

Die Rolle der afrikanischen Soldaten aus den französischen Kolonien im Ersten Weltkrieg ist in den Geschichtsbüchern lange unterschlagen worden. Die Tirailleurs, so auch der Originaltitel, gehörten zur Infanterie, bewegten sich aber frei vor den angreifenden Bataillonen. Es war eine Art Kamikaze-Einsatz: Die Tirailleure bildeten, mit Gewehren bewaffnet, die Vorhut, waren aber auch leichtes Kanonenfutter. Rekrutiert wurden sie überwiegend in den Kolonien, vor allem dem Senegal und Algerien: viele von ihnen gegen ihren Willen.

Der langjährige Kameramann Vadepied und Sy, die sich 2011 bei den Dreharbeiten von „Ziemlich beste Freunde“ kennenlernten, haben „Mein Sohn, der Soldat“ gemeinsam über viele Jahre entwickelt. Der „Lupin“-Star hat längst den internationalen Status, solche Filmprojekte anzustoßen, seine Familie stammt aus dem Senegal.

Ehrenvoll sterben fürs Vaterland: Die Soldaten aus Frankreichs Kolonien haben im „Großen Krieg“ nichts zu gewinnen.
Ehrenvoll sterben fürs Vaterland: Die Soldaten aus Frankreichs Kolonien haben im „Großen Krieg“ nichts zu gewinnen.

© UNITÉ / KOROKORO / GAUMONT / FRANCE 3 CINMA / MILLESOLEILS / SYPOSSIBLE AFRICA

In Frankreich wurde das dunkle Kapitel der „Senegalschützen“ – und der Umgang mit ihnen – lange ignoriert. Sie gingen unter in der nationalen Kriegserinnerung an die unbekannten Soldaten – auch weil sich in ihrer Geschichte die Kolonialvergangenheit bruchlos fortsetzte.

Den Tirailleuren wird die Teilhabe an der Grande Nation versprochen. Eine Illusion, auf die auch der unerschrockene Thierno hereinfällt, der nach einer heroischen Tat plötzlich zum Vorgesetzten seines Vaters wird. Hier bahnt sich in „Mein Sohn, der Soldat“ ein interessanter Generationenkonflikt an, auch als koloniale Gegenerzählung zum deutschen Westfront-Erfolg „Im Westen nichts Neues“.

In Edward Bergers Netflix-Produktion sind es die Jungen, die mit schreckgeweiteten Augen in die menschengemachte Hölle starren. Bakary ist von der Kolonialherrschaft gezeichnet, er weiß im Gegensatz zu seinem Sohn, dass für seine Leute im Krieg der Franzosen nichts zu gewinnen ist.

Diese Untertöne hätte Vadepied in „Mein Sohn, der Soldat“ etwas selbstbewusster herausarbeiten können. Stattdessen steht ein autoritärer Vater-Sohn-Konflikt mit emotionalen „Der Soldat Ryan“-Motiven im Mittelpunkt. „Auch wenn ich unter dem Vergessen leide“, spricht der Geist von Bakary zu seinem Sohn, „bin ich das Blut, das in deinen Adern fließt.“ Das Blut, das auf den Schlachtfeldern Frankreichs unschuldig vergossen wurde.

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