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Kultur: Londons Sonderweg

Thomas Kielinger erklärt in seiner Biografie von Elizabeth II., wie die Briten auf Europa und den Rest blicken.

Der Ärmelkanal scheint ein Stück breiter geworden zu sein seit dem jüngsten EU-Gipfel. Wurde in den vergangenen Monaten der europäischen Staatsschuldenkrise immer wieder eine Isolierung Deutschlands beklagt, so zeichnet sich nun ein britischer Sonderweg innerhalb der Europäischen Union ab – wieder einmal. Was bewegt dieses letzte alles andere als gallisch wirkend wollende Dorf zu seinem isolationistischen Kurs? Wie denkt das englische Inselvolk, dessen geografische Lage immer schon für Sonderrollen geradezu prädestiniert war? Wer in das Herz der stolzen britischen Nation blicken will, der sollte zu den Werken von Thomas Kielinger greifen. Erst vor zwei Jahren hat der London-Korrespondent der „Welt“ für die Reihe „Die Deutschen und ihre Nachbarn“ einen zurecht hochgelobten Band zu Großbritannien verfasst. Nun läutet er das nächstes Jahr anstehende 60. Thronjubiläum von Elizabeth II. mit einer brillant komponierten Biografie ein und stößt über die jüngere Geschichte der britischen Monarchie erneut zu den für Kontinentaleuropäer oft nur schwer verständlichen Eigenarten Großbritanniens vor.

Vor dem Hintergrund des jüngsten britischen Ausscherens aus der von Deutschland und Frankreich angeführten Phalanx von zu weiteren Integrationsschritten bereiten EU-Mitgliedern erscheinen Kielingers Passagen zum Europabild der Queen genau zur richtigen Zeit. Denn in den offiziellen Reden von Elizabeth II. kommt ein wichtiges politisches Datum immer wieder zur Sprache: 1975. Damals hatten sich die Briten in einer Volksabstimmung für ihren Verbleib in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ausgesprochen, der sie 1973 zusammen mit Irland und Dänemark beigetreten waren. Somit konnten die Bundesrepublik und Großbritannien endgültig als Mitglieder desselben Clubs miteinander umgehen, was die Queen als bedeutende Zäsur bei ihren Deutschlandbesuchen zu würdigen nicht müde wurde. Zumindest gab dies die Sprachregelung des Außenministeriums vor, dessen Sprachrohr das britische Staatsoberhaupt auf derlei Reisen ist.

Doch wie steht Elizabeth II. wirklich zu Europa, zu Brüssel, aus dem Entscheidungen vor allem im juristischen Bereich wie etwa in der Menschenrechtsgesetzgebung kommen, die zu Einschränkungen auch der Souveränität von „Her Majesty’s Government“ und damit der Krone führen? Kielinger räumt ein, dass sich diese Frage kaum beantworten ließe, gäbe es nicht die Erinnerungen von Roy Jenkins („European Diary“, 1989), Präsident der EU-Kommission von 1977 bis 1981. Kielinger zitiert Jenkins Betrachtungen zur Antrittsaudienz bei der Monarchin gleich nach seiner Ernennung: „Ihre europafreundliche Einstellung bedeutete nicht, dass sie unkritisch war gegenüber führenden europäischen Politikern. Giscard ordnete sie einigermaßen korrekt ein, dagegen unterschätzte sie Helmut Schmidt, wahrscheinlich zu stark beeinflusst davon, dass Schmidt einmal seine Zigarettenstummel überall auf den Tellern im Buckingham Palast ausgedrückt hatte. Nichtsdestoweniger glaubte ich bei ihr ein starkes Europa-Engagement zu sehen, und als ich den Gedanken vortrug, sie könnte doch der Kommission einen Besuch abstatten, reagierte sie geradezu enthusiastisch und schlug vor, so etwas müsste im kommenden Jahr möglich sein.“

Kielingers Schilderung dieses königlichen Besuchs in Brüssel, zu dem es dann tatsächlich drei Jahre nach Jenkins’ Unterredung im November 1980 kam, liest sich aus heutiger Sicht wie ein Vorspiel zum Auftritt von Premierminister David Cameron beim jüngsten EU-Gipfel. So ist es Tradition im Hauptquartier der Kommission, dass besuchende Staatsoberhäupter auch Fragen an die Kommissare richten dürfen. Doch Elizabeths Privatsekretär winkte ab – dies sei nicht die Art Ihrer Majestät. Daraufhin schlug Brüssel Prinz Philip vor. „Genau das, was wir befürchten“, lautete die britische Antwort. Denn der Herzog von Edinburgh folgt der proeuropäischen Linie seiner Frau mitnichten, ebenso wenig wie Prinz Charles, der sich bereits mehrfach öffentlich kritisch geäußert hat über die Erweiterung der Kompetenzen der EU über nationale Gesetzgebungen hinweg und über die Erosion der Souveränität Großbritanniens, die damit einhergehe.

Zu einer „EU-treuen Dienerin“ will Kielinger die Queen demgegenüber aber nicht erklären. Dafür habe die englische Insel seit dem 16. Jahrhundert ihre Distanz zu Europa zu stark gepflegt. Er erinnert daran, dass Europa oft lediglich ein Terrain für britisches „balance-of-power“-Denken war – man mischte sich in europäische Angelegenheiten nur ein, um das Emporkommen einer dominanten Macht auf dem Kontinent zu verhindern. Ansonsten war die britische Politik auf Übersee ausgerichtet, auf den Aufbau des Empire. Und bis heute schränkt sein legitimer Erbe, das „Commonwealth of Nations“, das Interesse auch der Queen an den europäischen Institutionen nach Kielingers Beobachtung stark ein. So widmete Elizabeth II. bereits 1972, in dem Jahr, in dem die britische Regierung den EWG-Beitritt beschloss, wie zum Kontrast ihre Weihnachtsansprache ausdrücklich dem Commonwealth, um Sorgen zu zerstreuen, der Schwenk nach Europa könne Englands traditionelle Rolle in Übersee schmälern: „Die neuen Verbindungen zu Europa werden die mit dem Commonwealth nicht ablösen. Sie können nichts an unserer historischen und persönlichen Zuneigung zu unseren Verwandten und Freunden in Übersee ändern. Alte Freunde werden nicht verloren gehen.“

Dieser Weihnachtswunsch – zurück an London gerichtet – dürfte angesichts des erneuten britischen Sonderwegs in Europa nun viele Hauptstädte auf dem Kontinent erfüllen. Damit hat Kielinger nicht nur zum 60. Thronjubiläum der Queen am 6. Februar 2012, sondern auch mit Blick auf die Zukunft Europas die ideale Lektüre verfasst.









– Thomas Kielinger:
Elizabeth II. Das Leben der Queen. Verlag C.H. Beck, München 2011. 288 Seiten, 19,95 Euro.

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