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Ein Highlight des Lollapalooza Festivals war der Auftritt des Rappers Casper.

© IMAGO/Jan Huebner

Rummel, Rap und Rosa Wolken: So war das Lollapalooza Festival in Berlin

Gute Laune und am Ende sogar gutes Wetter beim Lollapalooza Festival: 100.000 Menschen feierten zu Musik von Kraftklub, Machine Gun Kelly, Casper, Nina Chuba und Seeed.

Schade eigentlich, dass sich Volkan Yaman nicht in die Winnetou-Debatte eingeschaltet hat. Der in Mannheim geborene Rapper und Sänger ist als Apache 207 bekannt geworden und hätte dem Team „Ich-häng-an-meinen-Stereotypen“ vielleicht ein paar interessante Argumente liefern können.

Vielleicht aber auch nicht, denn er hat einfach den Spitznamen verwendet, den ihm seine Mutter als Kind gab, und zur besseren Googlebarkeit noch eine Zahl drangehängt. Die Mama – Apache 207 besingt sie oft in seinen Hits – scheint von den alten Karl-May-Verfilmungen im Fernsehen inspiriert worden zu sein. Denn ihren Sohn hätte man dafür tatsächlich gut als Statist casten können. Seine langen schwarzen Haare sind neben der Sonnenbrille sein Markenzeichen.

An diesem frühen Abend des ersten Lollapalooza-Tages trägt der Zweimetermann sie zunächst in einem Knoten und setzt auf Tarnung: Er hat eine der roten Ordner-Westen mit dem Logo des Festivals übergestreift, mit der man ihn tatsächlich für einen Mitarbeiter halten könnte. „Ich muss noch schnell meine Schicht zu Ende machen“, sagt er als er sich von vorne auf die Bühne gewuchtet hat – und demonstriert so gleich mal sein Klassenbewusstsein und seinen Humor.

Zwei prägende Elemente seiner Apache 207-Persona, die auch bei diesem Auftritt auf dem Olympiagelände präsent sind. So verweist die Sozialbau-Kulisse auf die prekären Verhältnisse, in denen er aufwuchs. Inzwischen ist er mit seinen Popsongs, die nur noch Spurenelemente von Rap enthalten, längst Millionär geworden. Was er natürlich ebenfalls ausgiebig feiert.

Fans vor Perry’s Stage beim Lollapalooza.

© imago/Jan Huebner / IMAGO/Daniel Lakomski

Die Refrains von Liedern wie „200 KMH“ oder „Apache bleibt gleich“ schallen ihm aus dem Publikum tausendfach entgegen. Einige Fans sind noch Kinder und verfolgen das Konzert mit Ohrenschützern auf den elterlichen Schultern. Was bei ihnen wohl hängen bleibt von den frauenverachtende Zeilen, die der Mann im weißen Unterhemd immer mal wieder einfließen lässt? Hoffentlich nicht allzu viel. Die Betonung liegt ohnehin mehr auf Spaß und Unterhaltung.

Den Song „Boot“ singt Apache 207 in einem Holzboot, das auf ein Metallgestell montiert ist. Er fährt damit langsam durch die Menge und lässt sie schließlich „My Heart Will Go On“ von Céline Dion singen – auf so ein quatschiges „Titanic“-Zitat muss man erstmal kommen.

Apache 207 ist der erste große Star, der bei der sechsten Lollapalooza-Ausgabe in Berlin auftritt. Und er macht die Wiese vor der nördlichen Hauptbühne erstmals richtig voll, seit das Festival vor zwei Jahren in die Corona-Pause musste. Jetzt ist es zurück, allerdings mit deutlich verschobenem Schwerpunkt. Traten einst Größen wie Radiohead, Kings of Leon oder The Weeknd bei dem Festival auf, besteht das Line-Up diesmal vor allem aus deutschen Acts. Das liegt unter anderem an dem späten Termin – viele internationale Künstler*innen haben ihre Festivalsaison bereits beendet.

Die Lolla-Fans nehmen die neue Ausrichtung gut an und strömen ab Samstagnachmittag immer zahlreicher auf das Gelände. 100.000 Menschen sollen laut Veranstalter an den beiden Tagen gekommen sein. Es bilden sich bald überall lange Schlangen. Vor allem der so genannte Food Court besteht zum größten Teil aus geduldig wartenden Menschenreihen vor den Buden mit Pommes, Döner, Churros oder Crepes.

Sehr beliebt sind auch die Glitzer-Applikationsstellen, die diverse Stände an der Längsseite des Olympiastadions anbieten. Hier sind zudem allerlei Publikumsbespaßer*innen unterwegs: Stelzengeher*innen in spektakulären Spiegelkostümen, Clowns, Cabaretdamen und sogar eine kleine Bimmelbahn mit Flugzeugsitzen, die von einem Pseudo-Pilot gesteuert und von einer Fake-Stewardess betreut wird.

Ein Publikumsbespaßer es Festivals.

© IMAGO/Bernd Elmenthaler / IMAGO/Bernd Elmenthaler

Der Rummelplatzcharakter, zu dem auch ein Riesenrad beiträgt, ist seit jeher stark ausgeprägt beim Lollapalooza-Festival. Hinzu kommt sehr viel Markenwerbung. Die Musik scheint nur eine von vielen Attraktionen zu sein – ganz anders als beim neuen Tempelhof Sounds Festival, das im Juni erstmals stattfand und fast völlig auf Neben-Klimbim verzichtete. Das erzeugte eine konzentriertere, wertschätzendere Atmosphäre.

Gemein ist beiden Festivals die mangelnde Diversität des Line-Ups. Konnte Tempelhof mit Florence + The Machine immerhin einen weiblichen Headliner aufbieten, geben beim Lollapallooza nach 19 Uhr traditionell (weiße) Männer den Ton auf den großen Bühnen an.

Dass es insgesamt auf 47 Prozent weibliche Acts kommt, liegt auch an der kleinsten Bühne: Der Weingarten ist allein FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nicht-binären, trans und agender Personen) vorbehalten. Das führt zwar zu Mini-Highlights wie dem sympathischen und empowernden Auftritt von Becks mit ihrer Band, doch es sendet letztlich auch die Botschaft: Für die Hauptbühnen sind Menschen aus dieser Gruppe noch nicht bereit. Dabei beweisen große Festivals wie Primavera oder Roskilde längst das Gegenteil.

Zoe Wees beim Auftritt auf dem Lollapalooza Festival.

© snapshot-photography / snapshot-photography/B.Niehaus

Die Hamburger Sängerin Zoe Wees darf immerhin die Alternative Stage bespielen und macht das mit großer Souveränität. Ihre fulminante Stimme steht im Zentrum eines Sets, das durch die vierköpfige Band eine etwas rockigere Anmutung bekommt als man es von ihren Aufnahmen kennt.

Wees stellt ihr neue Ballade „Daddy’s Eyes“ vor, die von ihrem Aufwachsen ohne Vater erzählt. Die 20-Jährige ist für ihre persönlichen Texte bekannt, vor allem durch ihren Hit „Control“. Als sie ihn zum Abschluss singt, hat sie neben ihren beiden Backgroundsängerinnen beim langgezogenen „Oooooo“ im Refrain auch noch einen großen Publikumschor an ihrer Seite.

Auf der südlichen Hauptbühne beginnt derweil Machine Gun Kelly seinen Auftritt. Der US-Amerikaner ist der einzige internationale Act des Abendprogramms, und er legt sich derart ins Zeug, als gälte es drei Shows in einer zu spielen. Ununterbrochen werden Feuerfontänen gezündet, der Schlagzeuger scheint sich in einem Dauer-Battle mit sich selbst zu befinden, ständig spielt eine der drei E-Gitarren ein Solo, dazu heult der einstige Rapper und jetzige Pop-Punkrocker seine Leidenstexte – es ist der totale Overkill. Ach ja, ein Hubschrauber steht auch noch herum.

Erholsam, danach zur anderen Hauptbühne rüberzugehen, wo AnnenMayKantereit einfach nur ein paar Stoffbahnen in den Hintergrund gehängt haben und eine Regenbogenfahne ans E-Piano. Die in Köln gegründete Gruppe wärmt ab dem Eröffnungsstück „Marie“ die Herzen der Menschen, die sich vom einsetzenden Nieselregen nicht beeindrucken lassen.

Henning May von AnnenMayKantereit.

© imago/Jan Huebner / IMAGO/Daniel Lakomski

Sänger Henning May sagt, dass die Band drei Jahre auf diesen Moment gewartet habe und man merkt ihm an, wie sehr er es genießen, nun endlich vor dieser riesigen Menge zu spielen. Als Überraschung bittet er erst eine Bläsersektion und dann noch vier Streicherinnen zu sich, wodurch das Klangbild wunderbar sanft an Weite gewinnt.

Der alte Hit „Oft gefragt“ erweist sich als weiterhin anrührend – und „Pocahontas“ als weiterhin miese Titelwahl. Wahrscheinlich haben AnnenMayKantereit bei den Winnetou-Debatten auch nicht hingehört.

Ihr Auftritt überzeugt trotzdem in seiner Mischung aus freundlichen Grooves, melancholischen und liebevollen Momenten. Das Kölsch bei den Zugaben haben sie sich auf jeden Fall verdient.

Felix Brummer von der Band Kraftklub.

© imago/Jan Huebner / IMAGO/Daniel Lakomski

Nochmal richtig krachen lassen es anschließend Kraftklub. Weil am Tag zuvor ihr neues Album „Kargo“ erschienen ist, sagt Frontmann Felix Brummer zur Begrüßung: „Willkommen auf unserer Record-Release-Party“. Natürlich spielen die Chemnitzer neben neuen Songs wie „Blaues Licht“ und „Ein Song reicht“ auch viele alte.

Ähnlich wie AnnenMayKantereit erhöhen Kraftklub durch Gäste die Frauenquote auf der Bühne. So singt bei „Fahr mit mir (4x4)“ Blond-Drummerin Lotta Kummer mit, die Schwester von Felix. Später kommt sie mit der Band Power Plush nochmal zurück, um das Icona-Pop-Cover „I Love It“ zu spielen.

Unter einem riesigen leuchtenden K spielen Kraftklub ein druckvolles Rock-Rap-Set, dessen Schwung mitunter von Felix Brummers länglichen Ansagen abgebremst wird. Wobei sein Redebedarf nach den vielen Pausen verständlich ist. Auch, dass die Band, deren Look mitunter irritierend wirkt, nochmal klarstellen will, wo sie steht. Also spricht sich Brummer gegen Faschos und die AfD aus. Und findet man sollte ruhig mal „radikaler werden“.

Sagt sich natürlich leicht umgeben von tausenden Gleichgesinnten. Es wirkt ein wenig ironisch, dass Kraftklub gerade noch gesungen haben: „Und Nazis raus ruft es sich leichter/ Da wo es keine Nazis gibt/ Doch Wittenberg ist nicht Paris“. Party und Politik gehen munter durcheinander. Aber „Nazis raus“ kann man eigentlich nicht oft genug sagen. Zumal an einem Ort, den das nationalsozialistische Regime einst zu seiner Selbstüberhöhung errichtet hat.

Der Sonntag: Rosige Aussichten mit Casper, Nina Chuba und Badmomzjay

Das Riesenrad bietet die typische Lollapalooza-Kulisse.

© IMAGO/Votos-Roland Owsnitzki

Am zweiten Tag des Lollapalooza-Festivals, dem Sonntag, zeigt sich das Wetter gnädiger als tags zuvor – und sorgt damit für etwas entspanntere Festivalstimmung. Am Nachmittag sitzen viele Besucher:innen auf Decken oder Jacken auf dem Rasen und lassen sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Auf einer der beiden Mainstages spielt Drangsal, der sich musikalisch irgendwo zwischen Falco und The Smiths bewegt, in violetter Satinhose und mit blauem Glitzerliedschatten. Die Sitzenden wippen ein bisschen mit, die Stehenden beschränken sich auf den Bereich vor dem ersten Wellenbrecher.

Drangsal beim Lollapalooza in Berlin

© IMAGO/Jan Huebner

So entsteht beim nachfolgenden Konzert von Nina Chuba auf der deutlich kleineren Alternative-Stage der Eindruck, dass hier die falschen Bühnen vergeben wurden: Bei der 23-jährigen Berliner Rap-Künstlerin drängen sich die jungen Festivalbesucher:innen nicht nur bis ganz nach hinten, wo man Chuba quasi nicht mehr sehen kann, sondern auch auf den angrenzenden Tribünen und Treppen des Stadiongebäudes. Als sie ihren Song „Wildberry Lillet“ performt – einer der großen Sommerhits dieses Jahres, der über die Plattform Tiktok bereits vor seiner offiziellen Veröffentlichung bekannt wurde – singen alle euphorisch mit („Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel/ Zum Frühstück Canapés und ein Wildberry-Lillet“) mit, als sei er bereits eine Hymne ihrer Generation.

Nina Chuba spielte beim Lollapalooza auf einer zu kleinen Bühne.

© IMAGO/Just Pictures

Auf den beiden Mainstages sowie auf der EDM-Bühne im Stadion dürfen derweil mit Clairo, Anne-Marie, Loredana und Lari Luke zumindest am späten Nachmittag Frauen ein breites Publikum bespielen.

Bei Casper, der als erster großer Abend-Act um 18.15 Uhr spielt, dürfen sie zumindest mit auf der Bühne stehen, als Teil seiner Band. Und auch das Bühnenbild des als „Emo-Rapper“ bekannt gewordenen Künstlers aus Bielefeld ist alles andere als streng maskulin: ein Meer aus Blumen rahmt ihn und seine Band ein, dazu färbt sich, wie bestellt, der Abendhimmel im Hintergrund rosa und taucht die Zehntausenden von Fans in warmes Licht, die zu alten („Hinterland“, „Adrenalin“) und neuen („Alles war schön und nichts tat weh“) Hits springen und tanzen. Und auch singen darf das Publikum: Casper feiert an diesem Tag seinen 40. Geburtstag und bekommt vom Publikum ein Ständchen.

Rapper Casper im Blumenmeer auf dem Lollapalooza

© IMAGO/Christian Spicker

Rap ist am zweiten Lollapalooza-Tag das dominierende Genre, und damit geht es auch auf der anderen Mainstage sowie auf der Alternative-Stage weiter. Das ältere Publikum (und dessen Nachwuchs) feiert die Fantastischen Vier auf der großen Bühne, das jüngere Badmómzjay auf der kleineren. Das Markenzeichen der Berliner Rapperin sind ihre grell rot gefärbten Haare – und ihr aggressiver Rapstil: Sie eröffnet mit dem Song „Badmómz“, in dem sie ihren Aufstieg von ganz unten bis an die Spitze der Charts besingt. Diese im Hip-Hop beliebte Erzählung kennt man sonst vor allem von den männlichen Kollegen.

Dass dabei auch Ausdrücke wie „Hurensohn von einem Manager“ nicht fehlen, geschenkt – wenn man sich die vielen jungen Frauen im Publikum anschaut, die selbstbewusst mitrappen und sich offenbar von einer weiblichen Künstlerin in diesem männlich dominierten Genre empowert fühlen. Außerdem bringt Badmomzjay (bürgerlich Jordan Napieray) ein bisschen Queerness auf die Bühne: Sie hat Tänzer:innen von „The Company“ dabei, die alle, männlich wie weiblich, pinke Corsagen und Strapse tragen – und sogar ein paar Minuten alleinige Performancezeit bekommen.

Den Abschluss machen Seeed auf der Mainstage mit einem gemischten Publikum, während auf der Weingarten- bzw Flinta*-Bühne die junge Berliner Künstlerin Paula Hartmann ein verhältnismäßig großes Publikum vor sich versammelt. Mit ihr darf am Ende auch Casper noch mal auf die Bühne – für ein zweites Geburtstagsständchen und eine Premiere. Die beiden spielen ihren gemeinsamen Song „Kein Happy End“ zum ersten mal gemeinsam live. Und liefern damit dann doch das Gegenteil: ein sehr schönes Ende.

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