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Eckensteher. Die Leader der Band, Sänger Florian Pühs (links) und Gitarrist Philipp Lippitz, posieren hier recht ungeniert an einer anderen Weggabelung in Mitte. Die urban-sensible Stimmung ihrer Musik fängt das Bild dennoch ein.

© Doris Spiekermann-Klaas

Ecke Schönhauser: Liebeskummer lohnt sich doch!

Zwei Männer wurden verlassen. Daraufhin gründeten sie die Band Ecke Schönhauser, um über ihre Leiden singen zu können. Jetzt erscheint ihr Debüt, klingt ein bisschen nach den frühen Blumfeld - und beweist: Verlassenwerden kann einen großen Wert für die Kunst haben.

Die Kamera fährt auf die Hochbahntrasse zu, lugt in die Kastanienallee und Danziger Straße hinein. So beginnt der 55 Jahre alte Film „Berlin – Ecke Schönhauser“. Nun aber gibt es auch eine Band namens Ecke Schönhauser. Bei denen stirbt niemand. Nur die Liebe, die ist mausetot im Werk der fünf Herren von der Ecke.

Denn eigentlich existiert die Band ja nur, weil Sänger Florian Pühs und Gitarrist Philipp Lippitz verlassen wurden. „Wir haben ein paar Break-up-Songs zusammen geschrieben“, sagt Pühs, „aus diesen Liedern ist dann die Band entstanden.“ Seit Ende Oktober ist das Debütalbum „Input“ auf dem Markt – und atmet Trennungsschmerz. „Wie fang ich das bitte an? Wie arbeite ich dich bitte auf?“, stellen die Zurückgelassenen in „Neue Ordnung“ die Grundfrage des Albums. Die Antwort lautet dann in etwa: indem ich ganz viele alte Blumfeld-Platten höre und darüber nachsinne, was das Wesen der Liebe ist. Denn „Input“ handelt von Männern, denen nicht nur die Liebe, sondern gleichzeitig auch der Glaube an die Welt als solche abhanden gekommen ist. Man kann sich die beiden gut vorstellen, wie sie in der Mammut-Bar, der Kneipe von Lippitz, sitzen und ihren Verflossenen nachweinen. Und wie sie dann Bier auf Bier trinken, Kippe nach Kippe rauchen, dazu traurige Lieder hören und ein Sittenbild des urbanen Jammers abgeben. Ein bisschen transportiert „Input“ ein solches Bild tatsächlich, die Realität ist dann aber wohl doch eine Nummer kleiner: „Kein Mensch ist so dramatisch wie ein Popsong, und ich bin auch nicht so dramatisch wie die Ecke-Schönhauser-Lieder. Das wäre ja furchtbar“, erklärt Pühs.

Er und seine vier Mitstreiter drücken aber nicht nur auf die Tränendrüse. Sie haben eine Punksozialisation hinter sich, da spielt man auch mal eine schräge, akustische Stooges-Coverversion („I Wanna Be Your Dog“) ein. Dass das trotzdem irgendwie passt, liegt daran, dass Ecke-Schönhauser-Songs eher Anklage- als Klagelieder sind. Die erzählen vom Leben: wie man sich an der Ecke Schönhauser traf und verliebte, wie man an der Ecke Schönhauser auseinanderging und sich wieder trennte: „Wir haben zu der Zeit, als das passierte, alle dort gewohnt.“

„Zu der Zeit“ – das war in etwa das Jahr 2010, als Pühs, damals Sänger der Neopunkband Herpes, auf sich aufmerksam machte. Damals rockten er und seine schwedische Freundin Anna Who, die bei Herpes die Tasten bediente, noch gemeinsam. Jetzt ist ihr das Album gewidmet. Das tragische Liebesleben des gebürtigen Ibbenbüreners lässt sich an seinen Bands verfolgen. „Das kommt vom Küssen“, hieß damals das erste Album von Herpes. Nun, mit Ecke Schönhauser, würde er die Mundinfektion für ein neues Liebesglück vielleicht wieder in Kauf nehmen. Und damals, mit seiner allerersten Combo, der Punkband Surf Nazis Must Die, stellte er fest: „I’m not anti-girls, girls are anti-me.“

„Die Songs sind heute dreimal so langsam wie damals“, sagt er, „sonst aber gibt es auch viele Parallelen.“ Etwa, dass die Stücke schnell bei einem der Bandmitglieder im Wohnzimmer geschrieben werden. Oder dass sie einfach strukturiert sind. Nur schrammeln heute Indie-Gitarren, die nach Sonic Youth und Hamburger Schule klingen, und Pühs singt dazu wie Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen. „Eigentlich hab’ ich aber die Art zu singen eher von The Fall geklaut“, sagt der 27-jährige.

Und dann ist da eben noch ganz viel Blumfeld. Passagenweise erreichen Pühs’ Texte das Niveau deren früher Jahre: „Der trostloseste Tropf in meinem Zimmer / streicht die Teufel an der Wand über“, dichtet er. In „Mixtape“, dem letzten Stück, kumuliert das Ganze. Noisegitarren drehen sich im Kreis, produzieren Feedback. Die Nervenfasern liegen blank, und ebenso offen liegen Wut, Angst, Unsicherheit und Hass. Und trotzdem: „Mädchen, ich brauch’ deinen Input.“

Zum Thema Trennung haben Pühs und Lippitz damit vorerst alles gesagt. Das Gute: Erfreulichere Themen sollen folgen, man will nicht als reine Trennungsband in die Annalen der Musikgeschichte eingehen. Und überhaupt: „Mir fehlt in meiner musikalischen Karriere noch ein Album, mit dem ich hundertprozentig zufrieden bin“, erzählt Pühs, der mit der Band bereits an neuen Stücken arbeitet. Mit dem Hamburger Label Tapete Records, bei dem auch das Debüt erschienen ist, will die Band noch zwei weitere Platten veröffentlichen. 2013 soll es, nach einigen Einzelkonzerten in diesem Jahr, zudem die erste längere Tour geben.

Berlin wollen die Herren dabei treu bleiben. „Ich bin in dieser Stadt erwachsen geworden und ich weiß hier, was ich habe“, so Pühs. Selbst seinem viel gescholtenen Kiez rund um die Ecke Schönhauser kann er noch etwas abgewinnen. „Ich fühle mich hier ganz wohl in meinem spießigen Kleinbürgertum. Wenn man aus Westfalen kommt, fühlt man sich da fast zu Hause.“, sagt er – und klingt dabei kein bisschen ironisch.

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