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Die Glasdächer des Pergamonmuseums sind Konstruktionskunstwerke.

© euroluftbild.de/Robert Grahn/euroluftbild.de/Robert Grahn

Konstruktionskunst in Berlin: Wo Ingenieure herrschen

Nikolaus Bernau begeistert sich für die Konstruktion hinter bekannten Bauten. Und hat einen überraschenden Architekturführer entdeckt.

Ein Kommentar von Nikolaus Bernau

Die Städte müssen, darüber herrscht inzwischen weitgehende Einigkeit, in den kommenden Jahren und Jahrzehnten grundlegend umgestaltet werden, gleichzeitig aber ihre Bausubstanz so weit als irgend möglich weiter nutzen. Nur mit einer solchen neuen Bescheidenheit können die fatalen Folgen des Klimawandels möglicher Weise abgepuffert werden.

Aber wie sieht diese bestehende Stadt eigentlich aus, wenn wir einmal hinter die Fassaden sehen? Nehmen wir ein Buch zur Hand, das zwar schon vor zweieinhalb Jahren erschienen ist, aber der Covid-19-Pandemie wegen viel zu wenig beachtet wurde: den „Ingenieurbauführer Berlin“, herausgegeben im Michael Imhof-Verlag von Helmut Lorenz, Roland May und der Denkmalpfleger Hubert Staroste unter Mitarbeit von Ines Prokop (29 Euro).

Deutlich wird mit vielen gut ausgewählten Fotos und Konstruktionszeichnungen: Wie aus Holz, Ziegeln, Eisen, Stahl oder Beton gebaut wird, ist viel weniger von den Notwendigkeiten eines Baus abhängig – auch von ihnen, aber eben nicht nur – als vielmehr von den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Interessen einer Gesellschaft. Und das, was steht, ist eine wertvolle Ressource, ästhetisch, kulturell und energetisch, aber auch als Anregung für neue Ideen.

Kanalisation und Straßenbau, Hafenanlagen, die einst so schlanken und heute so massig schweren Brücken der Hochbahn, der mittelalterliche Dachstuhl der St. Nikolai-Kirche in Spandau, die als Musterbau der Ziegelindustrie unvermeidliche Bauakademie, Markthallen, Straßenbahndepots, die Glasdächer des Pergamonmuseums – wer ahnt schon, was für grandiose Konstruktionskunstwerke hoch über den antiken Kunstwerken schweben? – das weitgespannte Betondach des Erika-Hess-Eisstadions, das zierliche „Wohnregal“ in der Admiralstraße mit seinen Selbst-Ausbauwohnungen: Hier wird ein Berlin verständlich gemacht, das oft sogar unsichtbar ist. Und das Ganze in einer Sprache, die auch Nicht-Ingenieuren und Nicht-Architekten die Begeisterung für Nieten und Kugelgasbehälter vermitteln kann, für Holzstäbe vor der Landesvertretung Baden-Württembergs oder die Festungsmauern in Spandau.

Und dann gibt es am Ende des Bandes noch die Vorschläge für Stadtwanderungen. Vier Stunden durch die Konstruktionsgeschichte Kreuzbergs, oder einen Rundgang vom Alexanderplatz bis zur West-Berliner Kongresshalle. Ein schlechthin großartiges Buch, das man mitnehmen möchte. Wenn es nur nicht schon jetzt so heiß wäre. Dabei hat der Sommer kalendarisch noch gar nicht begonnen.

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