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Debora Antmann

© Privat

Kolumne Schlamasseltov: Ein Moment intersektionaler Magie

Viel zu oft werden Minderheiten nur über ein Merkmal definiert und Mehrfachdiskriminierung aus dem Blick verloren. Um so schöner, wenn Trennung einmal überwunden wird.

Eine Kolumne von Debora Antmann

Es gibt diese Momente, in denen man das Gefühl hat, man war dabei, als etwas grundsätzlich Gutes, etwas Wichtiges, etwas Einsichtiges passiert ist. In diese Kategorie würde ich den letzten Donnerstag im Kino Toni zählen. Monika Flores, die (Anti-)Antisemitismus- und Antidiskriminierungsbeauftrage von Pankow hat zu einer Veranstaltung anlässlich des 150. Gründungsjahres der israelischen Taubstummen-Anstalt in Berlin geladen.

Grußworte, ein Vortrag von Mark Zaurov, Vorführung des Films „Verkannte Menschen“ von 1932 und anschließend Podiumsdiskussion. Ich war Teil dieses Podiums – gemeinsam mit Olga Pollex und Mark Zaurov, moderiert von Stephanie Raith-Kaudelka. Soviel zu den Fakten eines wirklich gelungenen Abends.

Die Magie passierte während und nach der Diskussion und gipfelte darin, dass Sigmount Königsberg, der (Anti-)Antisemitismusbeauftragte der jüdischen Gemeinde Berlin, sich entschuldigte und Helmut Vogel, der Präsident des Deutschen Gehörlosenbundes sich bedankte. Beide bei Mark Zaurov. Zwei Communitys übernehmen Verantwortung für ihre gemeinsame Geschichte.

Mark Zaurov kämpft seit Jahrzehnten hartnäckig für die Sichtbarkeit der Geschichte tauber Jüd_innen in Deutschland. Insbesondere des Schicksals tauber Jüd*innen im Nationalsozialismus. Die Frustration, die damit einhergeht, kann ich spüren und ich erkenne sie wieder. Das Wandeln zwischen den Welten, immer nur mit einem Teil des eigenen Anliegens gehört zu werden, das andere wird bei anderen verortet. Nicht in der eigenen Community. Taube jüdische Geschichte ist zu 100 Prozent jüdische Geschichte, genauso wie sie 100 Prozent taube Geschichte ist. Es lässt sich nicht ausdifferenzieren, was wohin gehört.

Das gleiche gilt für jede andere Form intersektionaler Historie. Die Erfahrung, den Frust, dass mehrperspektivische Geschichte immer nur als Zusatz dient und oft nur an Jahrestagen, Themenmonaten und Pride-Wochen rausgeholt wird, kennen viele von uns. Ein Phänomen, das durch die säuberlich getrennten Kategorien der Erinnerungsarbeit potenziert wird. Menschen, die etwa in der NS-Zeit verfolgt wurden, werden als entweder jüdisch oder behindert oder queer gesehen. So funktionieren Denkmäler, Mahnmäler und Gedenkstätten, Fördergelder, Geschichtsnarrative.

Deswegen ist es ein besonderer Moment, wenn sich zwei wichtige Figuren zwei unterschiedlicher Communitys am gleichen Abend, nach dem gleichen Event angesprochen fühlen und in der Verantwortung sehen zu reagieren. Besonders in Berlin, wo einst ein wichtiger Teil der Care-Infrastruktur jüdisch war.

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