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Free Rainer Moritz Bleibtreu

© Kinowelt/promo

Kino: Alle Menschen sind besser

Lustspiel oder Lehrstück: Hans Weingartners Mediensatire „Free Rainer“ startet im Kino. Moritz Bleibtreu spielt darin einen erfolgsverwöhnten TV-Produzenten. Eine brisante Abrechnung.

Eine Revolution, das wäre doch was. „Die Quotenrevolution geht weiter“, steht im Tagesspiegel, und die Leser freuen sich wie verrückt, weil die Deutschen im Fernsehen keinen Trash mehr gucken, sondern Reportagen, Fassbinder-Filme und Kultursendungen. Tolle Neuigkeit, die da in einer Szene von „Free Rainer“ in unserem Blatt nachzulesen ist. Auch andere Zeitungen verkünden in großen Lettern das Ende des TV-Terrors. „Deutschland schaltet ab“ oder „Hirn an, Glotze aus!“ lauten die Schlagzeilen.

Ach ja, schön wär’s. War man doch erst am Wochenende wieder bei „Wetten, dass. .?“ hängen geblieben und hatte dem Mann zugeschaut, der den Eimer schneller auszuschlabbern versuchte als sein Hund. Was für ein Müll! Aber geguckt hat man’s doch, halb belustigt, halb konsterniert, und hat hinterher überlegt, ob man den Feierabend nicht mal wieder mit einem guten Buch zubringen sollte ...

Hans Weingartner hat also schon recht, wenn er in „Free Rainer – Dein Fernseher lügt“ den Quotenterror geißelt und dazu die sich tot amüsierende TV-Republik. Allein die Shows: „Hol dir das Superbaby“ mit Sperma-Wettrennen! Oder die Kreuzfahrt-Soap mit echtem Schiffeversenken: „Titanic“ meets „Big Brother“! Rainer heißt der für solchen Schrott verantwortliche Berliner TV-Produzent, Moritz Bleibtreu spielt ihn mit großer Lust am miesen Charakter. Mit Koks in der Nase und dröhnendem Brutalo-Rap rast der Unsympath die Leipziger Straße lang, bis ihn ein paar Skins ausbremsen – und er den eigenen Jaguar mit dem Baseballschläger zertrümmert. Macht kaputt, was euch kaputt macht – Wahnsinnstyp, rasanter Beginn.

Aber Weingartner will mehr als die Karikatur eines Medienfuzzis. Für den 37-jährigen Österreicher mit Wohnsitz in Berlin ist Filmemachen ein Akt der Befreiung. In seinem grandiosen Debüt „Das weiße Rauschen“ hatte er den schizophrenen Helden vom Stigma der Krankheit befreit, in „Die fetten Jahre sind vorbei“ (2004) befreite ein Rebellentrio die Welt vom Kapitalismus. Und nun, dritter Streich, befreit ein ähnliches Trio (zwei Männer, eine Frau, jetzt ohne „Jules und Jim“-Touch) die Fernsehnation von der Diktatur des Flachsinns.

Also muss sich Rainer nach einem weiteren Crash samt Nahtod vom Saulus zum Paulus mausern. Mit der jungen Pegah (überfordert: Elsa Sophie Gambard), deren Opa wegen eines rufmörderischen TV-Berichts Selbstmord beging, und dem Verschwörungstheoretiker Philip (wunderbar wuschig: Milan Peschel) sagt er dem Quotendruck den Kampf an. In einer aufwendigen Guerilla-Aktion wollen die drei enthüllen, dass die Quoten manipuliert sind. Sind sie aber gar nicht, wie sich herausstellt, also manipulieren sie die Quoten kurzerhand selbst. Motto: Wenn man die Leute derart an Dreck gewöhnen kann, dass sie nur noch Dreck sehen wollen, kann man sie auch an Gutes gewöhnen, indem man nur noch Gutes zeigt.

Das Problem von „Free Rainer“ ist der Widerspruch zwischen Mittel und Zweck. Der diplomierte Hirnforscher, Naturfreak, Anarcho-Moralist und sympathische Kindskopf Hans Weingartner will den Geist befreien, gängelt ihn aber. Hält er sein Publikum etwa selber für blöd? Jedenfalls verwirft er die Möglichkeit, dass auch Lachen erkenntnisfördernd sein kann. Immer wieder kippt die Mediensatire ins Lehrstück, ins Melodram oder ins Gutmenschen-Utopia, wenn am Ende alle Rentner turnen gehen und auch die Jugend nicht mehr vor der Glotze abhängt, sondern vorm realen Sonnenuntergang. „Du kannst mich unmöglich mehr hassen als ich mich selbst“, haucht Rainer im Krankenhaus der ebenfalls genesenden Pegah zu, unterlegt von einer Klavierkitschmelodie – Beginn einer zarten Liebesgeschichte. Nichts gegen wilde Genremischungen und den häufigen Wechsel von Tonart und Tempo. Aber wer die Verhältnisse zum Tanzen bringen will, braucht Rhythmusgefühl.

Die Fernsehbosse und ihre Blondinen: Für Momente immerhin wird Weingartners Film ironisch und bitterböse. Aber vor der zwerchfellerschütternden Schärfe von „Schtonk“ oder dem schrillen Surrealismus der „Truman Show“ scheut er zurück. Die totale Manipulation, die ganze Wahrheit: Alles will wortreich – und simplifizierend – erklärt sein. Weshalb der Plot krude bleibt, Moritz Bleibtreu seinen Designer-Flachbildschirm schön symbolisch von der Dachterrasse wirft und obendrein den Volkshochschullehrer geben muss. Als er die faschistoiden Grundzüge der Mediengesellschaft erläutert, scheut er auch vor einem Zitat aus Hitlers „Mein Kampf“ nicht zurück. Das Kino, eine Besserungsanstalt.

Wenigstens gibt es die Quotenkillerbande. Zwecks Zugriff auf die in 5500 deutschen Haushalten installierten Quotenboxen engagiert das Trio eine Arbeitslosencombo, bestehend aus einem Inder, einem Bankräuber, einem Pyrotechniker, einem Religionsfanatiker und einem Alkoholiker: die reinste Gurkentruppe. Und siehe da, wenn Weingartner eben jene „Unterschicht“ zeigt, die vom Fernsehen angeblich für dumm verkauft wird, entwickelt er komödiantisches Talent. „Fassbinder?“, fragt einer beim Studium der TV-Zeitschrift, „ist das ein Lehrberuf?“

Schade, dass Weingartner sich seinen Spieltrieb immer wieder verbietet und auch sein Chaos-Quotenbox-Club ein vorgestanztes Typenkabinett bleibt, trotz mancher Pointe. Filme befreien den Kopf. Aber eine Revolution im Namen des heiligen Ernstes ist keine.

Ab Donnerstag in 12 Berliner Kinos

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