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Das monetäre Zeitalter: Anzeigetafel im Handelssaal der Wertpapierbörse in Frankfurt.

© dpa

DEUTSCHE LITERATUR: Gut im Geschäft

Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur ignoriert die harten Themen? Rainald Goetz, Nora Bossong, Sibylle Berg, Kristof Magnusson oder Martin Suter beweisen das Gegenteil. Sie schreiben über Bosse, Macht und Geld.

Vor zwei Jahren beklagte der Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler in einem Interview, dass Macht, Geld und das stete Streben des Menschen danach keine Rolle in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur spielen würden: „Die Machtworte und die großen Zahlen kommen in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen vor, aber nicht in den Romanen. (...) Alle Menschen haben Probleme mit den Themen Macht und Geld, aber die Literatur ignoriert das.“ Händler hat gut reden: Als einer der sehr wenigen zeitgenössischen Schriftsteller war er selbst jahrelang Unternehmer. Er leitete einen seiner Familie gehörenden Betrieb in der metallverarbeitenden Industrie.

Die Erfahrungen, die er dabei machte, verarbeitete er literarisch: 1997 in dem experimentellen, unter anderem Thomas Bernhards „Auslöschung“ fortschreibenden Roman „Fall“. Der erzählt davon, wie ein ebenfalls schriftstellernder Unternehmer von seiner Familie aus einer Firma gedrängt wird. Und 2002 in „Wenn wir sterben“. Dieser Roman schildert vor dem Hintergrund der Intrigen und Kämpfe dreier Managerinnen eines mittelständischen Betriebes, wie Banken und Wirtschaft das Leben der Menschen dominieren: „Was ist der Mensch? Ein Haufen Fleisch, in Geld eingewickelt.“

Händler wird deshalb stets als vorbildliche Ausnahme genannt, wenn die fehlende Reaktion der deutschsprachigen Literatur auf die seit Jahren allgegenwärtige Finanzkrise beklagt wird, überhaupt die spärliche literarische Auseinandersetzung mit der Welt der Wirtschaft.

In diesem Herbst jedoch ist an der Behebung dieses Mangels intensiv gearbeitet worden. Rainald Goetz hat mit „Johann Holtrop“ einen Roman veröffentlicht, der sich liest, als hätte er die Vorgaben Händlers eins zu eins umsetzen wollen: Macht, Geld, Gier und der „Abriss der Gesellschaft“ (so der Untertitel), alles drin.  Goetz’ Roman ist eine zornige Abrechnung mit dem Kapitalismus, mit dem „Phantasma der totalen Herrschaft des Kapitals über den Menschen“, mit den Menschen, die dieses Phantasma real werden lassen.

Auch Nora Bossong und Sibylle Berg sind in ihren neuen Romanen den Mechanismen des Wirtschaftslebens und ihres Einflusses auf die menschlichen Beziehungen auf der Spur. Bossong, macht das in „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ mit einer Mischung aus Familien- und Unternehmerroman, inklusive Globalisierungsproblematik. Berg, hat eine böse, traurige Untergangsgeschichte geschrieben, in der einer vom Regen des Sozialismus in die Traufe des Kapitalismus kommt: „Menschengewöhnen sich an alles“, heißt es einmal, selbst an den Tod.

Nicht vergessen darf man den Schweizer Schriftsteller Martin Suter. Der hat mit „Abschalten“ gerade neue „Geschichten aus der Business Class“ vorgelegt. Die Business Class macht Ferien, sie versucht es zumindest. Denn eine solche Auszeit passt nicht zu ihrem typischen „Weiter-mehr-und-immer-weiter“–Gehabe: „Wenn nämlich einer auf Widmanns Ebene kein Workaholic ist, gerät er leicht in den Verdacht, nicht überlastet zu sein. Überlastung ist jedoch das untrüglichste Anzeichen für Unersetzlichkeit. Jemand, der nicht überlastet ist, macht einen Job, den auch andere erledigen können.“

Seit 1999 schreibt Suter diese auf einer Kolumne in der Schweizer „Weltwoche“ basierenden Miniaturen über das Leben des mittleren und gehobenen Management. Suter hat nicht den Anspruch, Literatur und Kapitalismus formal miteinander abzugleichen. Er erzählt realistisch, auf Pointen bedacht, wie es sich für eine Kolumne gehört, und begibt sich trotzdem glaubhaft in eine Welt, die die meisten nicht einmal aus der Ferne kennen.

Die Geschichten aus der Business Class sind ein erfolgreicher Dauerbrenner, sechs Bände gibt es inzwischen. Sie verweisen darauf, dass Händler vielleicht nur eine Verdachtsdiagnose gestellt hat. Denn es gibt einige Schriftsteller, die der Ökonomie viel Raum geben. Allen voran Martin Walser. Anfang der neunziger Jahre schrieb Walser in einem Essay, dass alle seine Figuren Geld verdienen müssten und einen Beruf bräuchten. Und dass es noch nie eine Gesellschaft gegeben habe, „in der nicht Macht ausgeübt wird in kränkendem Ausmaß. Und Machtausübung verdirbt immer beide: den Ausübenden und den, über den sie ausgeübt wird.“

Walser hat sich in seinen Romanen in der Regel auf die Machtlosen, die kleinen und mittleren Angestellten konzentriert. 2006 wechselte er in „Angstblüte“ die Seiten. Der Held Karl von Kahn ist ein siebzig Jahre alter ehemaliger Banker, der inzwischen als Vermögensverwalter auf renditestarke Anlagen für sich und seine Kunden achtet. Den Wert des Geldes weiß er auch anderweitig zu schätzen: „Unabhängigkeit war ein Wort, das ihm im Vergleich zur Freiheit unmißbrauchbar vorkam.“ Allerdings ist Unabhängigkeit nurmehr eine Chimäre, wenn es um Liebe geht, um die Abhängigkeit von einem alternden Körper, um das Fortschreiten der Zeit. Damit schlägt sich von Kahn primär herum. Als heimliche Hauptfigur jedoch spielt das Geld und wie es sich vermehren lässt in „Angstblüte“ eine gewichtige Rolle.

Das Problem, das Schriftsteller naturgemäß haben, wenn sie nicht in ein Familienunternehmen hineingeboren werden oder leiten: Sie müssen sich einarbeiten, recherchieren und verstehen, was selbst Finanzfachleute oft nicht verstehen. Und wenn sie das so wacker tun wie Rainald Goetz, sich aber in einem Werk der Literatur legitime Unschärfen und Freiheiten erlauben, laufen sie Gefahr, die rote Kelle vorgehalten zu bekommen. Die „Zeit“ flankierte ihre „Johann-Holtrop“–Rezension allen Ernstes mit dem Text eines Wirtschaftsexperten. Der attestierte Goetz, wer hätte das gedacht, mit Halbwahrheiten zu arbeiten, sich nicht auszukennen.

Ob Thomas Mann das seinerzeit auch mit den „Buddenbrooks“ widerfahren ist? Die Buddenbrooks erzählen vom „Zerfall einer Familie“. Mann schließt diesen Zerfall bekanntlich mit dem Untergang des Familienunternehmens „Johann Buddenbrook“ kurz. Zum Teil mit recht allgemeinen Sätzen: „Das Leben war hart, und das Geschäftsleben war in seinem rücksichtslosen und unsentimentalen Verlauf ein Abbild des großen und ganzen Lebens.“ Oder ob ein Hermann Burger den Wirtschaftsteil der Zeitungen genau studiert hat, als er 1989 den Roman „Brenner“ schrieb? Hauptfigur ist ein „Abkömmling der berühmten Cigarren-Dynastie Brenner Söhne AG“. Brenner erörtert zunächst die Krise der Branche – und zitiert seinen das Unternehmen leitenden Cousin, dass „der Untergang der Buddenbrooks mit dem Senatorenamt von Thomas Buddenbrook verknüpft sei, hier wie dort sei die dritte die kritische Generation.“

Wenn in der Literatur die Gegenwart von ihrer ökonomischen Seite durchdrungen wird, geht es zumeist um Untergänge, Zerfälle, den zerstörerischen Charakter von Macht und Geld. Goetz kennt für seinen Medientycoon nur eine Richtung: nach unten, in die Leere. Holtrop, „dessen Existenz bisher komplett von außen stabil gehalten worden war“, wird aussortiert. Bei Bossong ist es tatsächlich die kritische dritte Generation, die Untergeherqualitäten zeigt: Kurt Tietjen, der in die Textilienfirma seiner Vorfahren hereinwächst, ein Wiedergänger von Thomas Buddenbrook, nur ein von Anfang an schwacher, lustloser, „hatte sich in die Gegebenheiten gefügt, still, wie er seit je war, beherrscht und müde.“ Er verschwindet nach New York, „um loszuwerden, was vor ihm gewesen war“ – in den Tod. Offen bleibt, ob es seiner Tochter Luise gelingt, den Firmenkarren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Martin Suters Manager wiederum sind zwar keine Untergeher, aber höchst lächerliche Figuren: Workaholics, Burnout-Opfer, dem Fitnesswahn verfallene Dickbäucher, die alles können, nur eben nicht abschalten.

Gut, dass es bei all diesen Kaputtheiten und Deformationen Figuren in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gibt, die nicht gleich an den Gepflogenheiten der Banken-und Börsenwelt zerbrechen. In Kristof Magnussons 2010 veröffentlichten Unterhaltungsroman „Das war ich nicht“ verliert sich der junge, in Chicago tätige Banker Jasper Lüdemann derart in der Abstraktheit der Zahlen und des Geldes, dass er kurzzeitig gar als Verursacher der beginnenden Finanzkrise gehalten wird.  „Zwischen dreißig und vierzig musste man brennen“ aber heißt seine Devise. Und in Konstantin Richters „Bettermann“ (2007) arbeitet der 30-Jährige Alex Oswald als Wirtschaftsjournalist für die Frankfurter Dependance einer New Yorker Nachrichtenagentur. In seiner neuen Welt geht es nur um „Umsatz, Aufwendungen, Abschreibungen und Gewinn“. Für ihn ein kleineres Problem als seine privaten Verwicklungen; „Bettermann“ ist Coming-Of-Age-Geschichte und Finanzroman zugleich.

Das gilt auch für Ronald Rengs Roman „Fremdgänger“ von 2005. Dessen Hauptfigur Tobias Linderoth, ein deutscher Investmentbanker, schwärmt selbst nach sieben Jahren in Londons Finanzwelt noch vom „buzz“: „dem Stress, dem Rausch; dem elektrischen Summen und Brummen der City, das allen hier den Kopf verdreht. Manchen verschafft die City unglaubliche Macht und gigantischen Reichtum. Sehr vielen verhilft sie zur Illusion, mächtig und reich zu sein.“ Die Macht der Liebe aber treibt Linderoth in die Ukraine. Am Ende, bei dem Versuch, diese Liebe zu leben, beschäftigt ihn vor allem die Frage nach dem „Glück in der Unvollkommenheit“ – was ihn aber nie an seinem Beruf zweifeln lässt. Nicht immer müssen sich die ökonomischen Strukturen negativ im Bewusstsein des Einzelnen durchschlagen. Selbst im entfesseltsten Kapitalismus gibt es die Chance auf ein bisschen privates Lebensglück – und die von Ernst-Wilhelm Händler so gescholtene deutschsprachige Literatur darf zurecht die Frage stellen: Ignoranz? Welche Ignoranz?

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