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Pergamonmuseum Berlin, 2018. © Foto: David von Becker

© Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin / David von Becke/© Foto: David von Becker

Goodbye Ischtar-Tor: Babylonische Lesung im Pergamonmuseum zum Abschied auf Zeit

Eine vielsprachige Poesie-Lesung knüpft an die jahrtausendealte Geschichte des Publikumsmagneten an. Der irakische Dichter Ghareeb Iskander liest im Pergamonmuseum vor dem Ischtar-Tor.

Es ist ein besonderer Moment – der irakische Dichter Ghareeb Iskander liest im Pergamonmuseum vor dem Ischtar-Tor, das aus Babylon im heutigen Irak stammt, seine Poesie. Das Arabisch hallt sonor durch den Raum, erfüllt die Prozessionsstraße vor dem Tor, es dominiert ein melancholischer, leiser Ton. Die englische Übersetzung, vorgetragen vom dänischen Archäologen Sophus Helle, der gerade das Gilgamesch-Epos ins Englische übertragen hat, bestätigt den Eindruck.

Helle hat mit der syrischen Dichterin Aya Labanieh sowie Pinar Durgun und Giulia Russo vom Vorderasiatischen Museum VAM die Veranstaltung „GATE: Zwischen Babylon und Berlin“ organisiert, mit Künstlern aus Syrien, dem Irak und der Türkei, mit der sich das VAM allmählich verabschiedet. Ende Oktober schließt es wegen Umbaus.

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Alte Epen neu beleben im Pergamonmuseum

Das Ischtar-Tor wurde vor 2500 Jahren in Babylon erbaut, die erste Bauphase ist noch im Irak als Weltkulturerbe zu besichtigen. Das Berliner Tor kam in den 20er Jahren in Bruchstücken nach Berlin und wurde hier wieder zusammengesetzt, 80 Prozent der blauen Ziegel wurden für die Rekonstruktion in Töpferwerkstätten rund um Berlin hergestellt.

Das neu entstandene Ischtar-Tor legt eine Verbindung zu dem ersten Tor, das immer noch in Babylon steht, denn damals hat man einfach ein neues Tor auf das alte gebaut. „Gilgamesch / Er ist jetzt allein /Schnee bedeckt ihn / Er ist ganz auf dem Meer / Umgeben von Fülle / blickt er hilfesuchend auf das Gras des Lebens“ deklamiert Ghareeb Iskander auf Arabisch, die deutsche Übersetzung von Fleur Behrendt lässt sich auf dem Handzettel als „Untertitel“ nachlesen. Iskander versucht, die alten Epen, die fest im irakischen Gedächtnis verankert sind, heute neu zu beleben.

Kraft der Poesie

Auch die in Berlin lebende syrisch-kurdische Dichterin Widad Nabi schöpft aus den alten Epen. Sie widmet ihre „Gedichte, die den Durchgang durch Babylons Tore gewähren“ Enheduana, der ersten bekannten Schriftstellerin der Welt, die vor 4000 Jahren ihre Gedichte mit Keilschrift auf Tontafeln schrieb. „Ich bin die Dichterin / die Enkelin von Enheduana / Ischtars Priesterin. Ich sammle Lieder“.

Ihr Gedicht erzählt die schmerzlichen Erfahrungen von Krieg, Flucht und Exil, aber auch von der Kraft, die aus der Poesie wächst. „Dieser Ort ist mit dem Aleppo-Zimmer im Museum für Islamische Kunst mein Lieblingsort in Berlin“, erzählt sie nach der Lesung. „Ischtar war eine starke Frau, eine Göttin, die auch ,Nein‘ sagen konnte. Enheduana war die erste Schriftstellerin der Welt. Das sind starke Frauen, und dieses Erbe gibt mir Kraft“.

Babylonische Sprachvielfalt

Von Flucht und Grenzerfahrungen erzählt der syrisch-kurdische Dichter und Übersetzer Abdulkadir Musa, der seit 2008 in Berlin lebt, in seinem Gedicht „Der Kleine Schmuggler“. Wer genau hinhört, merkt, dass er Kurdisch liest, das ganz anders als Türkisch oder gar Arabisch klingt, auch wenn man die Sprachen an diesem babylonischen Abend nicht versteht.

Einen besonderen Ton setzt die syrische Dramatikerin, Dokumentarfilmerin, Dichterin und Bühnenbildnerin Liwaa Yazji, die seit 2016 in Berlin lebt. „Es herrscht Krieg!“, heißt die erste Zeile ihres beeindruckenden Gedichtes „Ein schwereloser Vogel“, ein Text, der die brutale Unmittelbarkeit des Wechsels von Frieden zum Krieg beschreibt. Wie der Alltag sich verändert, aber vor allem, wie man sich nicht beirren lässt, durchhält, weitermacht.

„Wenn du die Glasvase mitgenommen hast / wirst du den Himmel nicht mehr / im Zuhause verlieren.“ Atemberaubend sei es am Tor für sie gewesen, erzählt sie später, „ich so klein und das Tor so groß. Es kam in Stücken hierher, genau wie ich, und wurde wieder zusammengesetzt.“ Solchen Vielklang an Sprachen möchte man vor dem Tor in Zukunft öfter erleben.

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