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Georg Baselitz wurde am 23. Januar 1938 im sächsischen Kamenz als Hans-Georg Kern geboren.

© Peter Knaup, Berlin

Jahrhundertkünstler Georg Baselitz wird 80: „Ohne Widerspruch kein Erfolg“

Der Maler, Bildhauer und Grafiker Georg Baselitz wird 80 Jahre alt. Ein Gespräch über Karriere im Gegenwind, den Nachwuchs – und Deutschland.

Herr Baselitz, zum Geburtstag am Dienstag werden Sie mit zahlreichen Ausstellungen geehrt – in Berlin, Basel, demnächst Paris und in den USA. Wird es mit dem Alter immer besser für Sie?
Wie meinen Sie das: Was ich mache oder die Reaktionen auf mich?

Beides: sowohl das Interesse an Ihrem Werk als auch Ihr Schaffen selbst, das Malen im Alter.
Die Wahrnehmung meiner Kunst hat sich über die Jahre enorm verändert. Heinz Ohff (Kunstkritiker und Feuilletonchef des Tagesspiegels, d. Red.) wollte mich anfangs noch vom Boden werfen. Inzwischen kann ich darüber lachen, aber damals war es bitterer Ernst. Insofern ist es angenehmer geworden. Die Aggression ist raus, und man kann besser miteinander darüber reden, was ich mache. Der 80. Geburtstag ist zwar ein besonderer Jahrestag, aber Ausstellungen mache ich unentwegt. Jetzt gibt es sogar noch eine Gedächtnis-Ausstellung in Berlin, eine Hommage, in einer kleinen Galerie. Das finde ich zauberhaft. Ich bin einigermaßen gut drauf.

Für Sie läuft es doch geradezu hervorragend, die Ausstellungen werden immer mehr und immer größer.
Für mich ist wichtiger, dass in den jüngsten Ausstellungen in Paris, London, New York und Salzburg auch aktuelle Werke zu sehen waren, die frisch aus dem Atelier kamen, nicht nur die alten Bilder. Ich freue mich vor allem, dass auch jüngere Künstler positiv darauf reagieren.

Ihr Werk war immer wieder von Stilwechseln geprägt. Anfang der 60er Jahre begannen Sie Ihre Motive auf dem Kopf zu malen. Vor 13 Jahren haben Sie erneut einen erfolgreichen Wandel vollzogen mit Ihren Remix-Bildern, einer Neuinterpretation Ihrer Werke aus den 60er Jahren. Was ändert sich mit dem Alterswerk?

80 Jahre alt zu werden, ist keine Kleinigkeit. Und wenn man fleißig ist, wie ich es war, dann kann man auf 60 Jahre Arbeit und eine Menge Bilder zurückblicken. Ich habe nie ein Wasserglas gemalt, sondern immer schon die verschiedensten Dinge ausprobiert, verschiedene Methoden und mehrere abgeschlossene Arbeitsphasen hinter mir gelassen, wie zum Beispiel die Serie der „Helden“-Bilder. Natürlich frage ich mich, wie es jetzt im Alter weitergeht – mit dem physischen Schwächerwerden, vielleicht auch dem geistigen. Ich habe mich deshalb mit dem Alterswerk anderer Künstler beschäftigt und die Schwierigkeiten erkannt, die da lauern. Dem versuche ich aus dem Wege zu gehen.

Bei wem haben Sie solche Schwierigkeiten entdeckt?
Bei Otto Dix zum Beispiel, der eigentlich ein Held für mich ist, lief es im Alter nicht so glücklich. Bei ihm muss man zwar die Zeitumstände berücksichtigen, aber für mich sieht es verheerend aus, wie sein Werk nach dem Zweiten Weltkrieg endete. Eine andere Falle im Alter: Man wird berühmt und faul. Früher porträtierten dann die berühmten Maler berühmte Zeitgenossen. Das gibt es heute zum Glück nicht mehr.

Welche Veränderungen beobachten Sie in Ihrem eigenen Werk?
Meine Inhalte – Porträt, Figur, Landschaft, Stillleben – haben sich nicht verändert. Ich mache die ganzen 60 Jahre eigentlich immer das Gleiche. Ich male in der Mitte der Leinwand irgendetwas drauf. Nur die Methoden haben sich verändert, auch was das Format und die Farbe betrifft, ob gestrichelt, gepünktelt, gespritzt. Ich habe einfach viel ausprobiert und damit gute Ergebnisse erzielt. Diese Auseinandersetzung geschieht auch vor einem kunsthistorischen Hintergrund.

Sie arbeiten sich also an anderen Malern ab. Wer war neben Otto Dix noch für Sie wichtig?
Zum Beispiel der Amerikaner Philip Guston, dessen abstrakte Bilder ich 1958 in Berlin in einer großen Ausstellung in der Hochschule der Künste am Hardenbergplatz gesehen habe, wo ich damals studierte. Diese Ausstellung war mein Erweckungserlebnis und gleichzeitig niederschmetternd. Ich wurde konfrontiert mit einer Kunst, die fantastisch war. Mit Dix und Guston, diesen großartigen Künstlern, habe ich mich mein Leben lang beschäftigt. Wenn ich Bilder von ihnen sehe, dann fühle ich mich zu Hause. Damals nach dem Besuch der Ausstellung „Die neue amerikanische Malerei“ – da war ich 20 Jahre alt – habe ich allerdings erst einmal kehrtgemacht und mir gesagt: „Das ist gelaufen. So also malen die Gewinner.“

Haben Sie sich also als Besiegter gefühlt, auch in der Kunst?
Nein, aber ich habe gespürt, dass diese Kunst nichts mit Deutschland zu tun hat. Es war, als würde ich von einem höheren Wesen den Hinweis bekommen: „Junge, pass auf, bleib bei der Stange!“ Ich habe dann angefangen, in deutscher Vergangenheit rumzuwühlen. Dabei bin ich auf Otto Dix gestoßen, der 1957 eine große Ausstellung in Ost-Berlin hatte, wo ich damals noch studierte. Ich habe also mehrere Schritte rückwärts gemacht und mich aus dem Mainstream, dem Akademiebetrieb ausgeklinkt. Zu dieser Zeit wurde abstrakt gemalt, erst französisch, dann amerikanisch und dann kam die Pop-Art. All dies habe ich nur noch aus der Ferne beobachtet und mir meinen eigenen Weg gesucht.

Und Sie haben noch etwas gemacht, um sich als Künstlerpersönlichkeit zu etablieren: Sie haben provoziert, einen handfesten Skandal verursacht, indem ihr Bild „Die große Nacht im Eimer“ mit der Darstellung eines onanierenden Jungen 1963 während einer Ausstellung vom Staatsanwalt konfisziert wurde. Würden Sie jungen Künstlern diese Strategie heute ebenfalls empfehlen?

Egal welche Künstlerbiografie Sie betrachten, der Start ist eigentlich immer ähnlich. Der Künstler macht etwas Unerwartetes, das es weder zeitgleich noch zuvor gab. Diese Werke werden dann meist mit den immer gleichen Vokabeln belegt: „Kleckserei!“ oder „Das kann meine Tochter auch!“. Auch mir ist das damals in Berlin passiert, auch durch Ihre Zeitung. Damals wollte niemand begreifen, dass es neben dem Imperialen, der amerikanischen Malerei, noch etwas anderes in der Kunst geben kann, etwas Nationales. Mein Auftritt 1963 in der Galerie Werner & Katz war natürlich heftig. Aber das war beabsichtigt. Die vom Staatsanwalt beanstandeten Bilder gab es allerdings bereits früher, sie standen schon ein Jahr bei mir im Atelier rum. Zum Skandal kam es, weil ein Artikel über die Ausstellung auf der falschen Zeitungsseite stand und das falsche Publikum kam, Menschen, die dachten, sie würde etwas Pornografisches zu sehen bekommen. Der Prozess um die konfiszierten Bilder war also eigentlich durch eine Fehlsteuerung ausgelöst. In dieser Zeit, auch in den nächsten zehn Jahren, gab es in den Zeitungen keine einzige positive Reaktion auf meine Kunst. Das war schon ziemlich harsch.

Da muss man schon gutes Stehvermögen haben, um weiterzuarbeiten.
Das ist nicht schwierig, denn als junger Künstler hasst man ohnehin die ganze Gesellschaft, vielleicht sogar die ganze Welt. In einer solchen Verfassung fällt es leicht, sich in dieser verqueren Position zu halten.

Wie stark treibt Sie das Deutsche, das Nationale immer noch um?
Das ist natürlich mein Thema, überhaupt das große Thema meiner Generation. Wir versuchen damit einigermaßen zurechtzukommen, aber wirklich schaffen wir es nicht. Eine Karriere beginnt meist damit, dass man Probleme mit seinem Vater oder seiner Mutter hat. Sind diese Probleme auch noch politisch motiviert, weil die Eltern sichtbar etwas falsch gemacht haben, dann wird es schlimm. Das ist typisch für meine Generation. Wir mussten uns abgrenzen. Bei den deutschen Emigranten – Frank Auerbach, Lucian Freud, Leon Kossoff – stellt sich das anders dar. Sie sind nach England gegangen und haben dort etwas weitergemacht, wovon sie noch dunkle Erinnerungen hatten. Das war uns Malern in Deutschland nicht möglich. Wir konnten nicht an Otto Nagel, Beckmann oder Picasso anknüpfen, sondern mussten etwas malen, was tiefer ging und ungesehen war bis dahin. Zu Beginn war mir das selbst nicht ganz klar. Das passierte eher instinktiv. Erst rückblickend lassen sich diese Hintergründe erkennen.

Wie erleben Sie heute das Schaffen einer jüngeren Generation an Malern?
Künstler sind dazu aufgerufen, immer hinter den Vorhang zu gucken. Aber inzwischen sehe ich die junge Generation nur in Einklang mit dem, was in Deutschland passiert. Das ist erschreckend. Dabei kommt nur Konformkunst heraus. Alle denken, sie würden im deutschen Pavillon in Venedig oder anderswo etwas Kritisches machen, das ist ein Irrtum. Die sogenannten Förderungen und Subventionen haben nur dazu geführt, dass die Künstler faul geworden sind und die Gesellschaft wie früher als Hofschranzen bedienen. Niemand bekommt mehr eine drüber wie wir damals. Da kann etwas nicht stimmen.

Gehört also der Widerstand zur Entwicklung eines Werks?
Wir waren damals eine Gruppe um die Galerie Werner herum. Zwei leben nicht mehr, Penck und Immendorff, die anderen sind noch einigermaßen da. Wie bei d'Artagnan – jeder für sich, einer für alle – haben wir versucht etwas durchzusetzen, von dem wir alle meinten, das wär's. Am Ende hat sich erwiesen, dass richtig war, was wir machten. Das war ein leidenschaftlicher Kampf, den wir eigentlich immer noch kämpfen. Nichts anderes haben auch Philip Guston oder de Kooning gemacht.

Sie haben in einem Interview vor fünf Jahren erklärt, Frauen malen weniger gut als Männer. Das sei Fakt. Würden Sie das so wiederholen?
(Lacht.) Nein, ich will keine weiteren Missverständnisse mehr.

Wie sieht es dann aus mit der Gleichberechtigung in der Kunst?
Ich habe 35 Jahre lang an der Hochschule gelehrt. Die meisten Studenten in meiner Klasse waren Frauen. Bildungshindernisse können also kein Grund sein. Das Angebot galt für alle und wurde von den Frauen im Wesentlichen besser aufgenommen.

Die Frage ist nur, wie es weitergeht: ob die Chancengleichheit auch später noch gilt.
Es gibt doch viele Frauen, die Deutschland vertreten, etwa bei der Biennale in Venedig. Leider fehlt, wofür man als Künstler Mut braucht: zu widersprechen. Ohne Widerspruch kein Erfolg. Sie müssen die Marken brechen. Wenn einer 10 Sekunden läuft, dann müssen Sie 9 Sekunden laufen. Um nichts anderes geht es.

Geburtstagsausstellungen:

Basel: Die große Übersichtsausstellung in der Fondation Beyeler (21.1. – 29.4.) zeigt die wichtigsten Gemälde und Skulpturen aus sechs Jahrzehnten. Parallel dazu stellt das Kupferstichkabinett des Kunstmuseum Basel hundert Arbeiten auf Papier (21.1. – 29.4.) aus.

Berlin: Die Galerie Contemporary Fine Arts widmet dem Künstler eine Hommage mit Leihgaben von Berliner Privatsammlern, der Berlinischen Galerie und der Kunsthalle Bielefeld (23.1. – 3.3., Grolmannstraße 32/33, Charlottenburg).

München: Dort zeigt die Staatliche Graphische Sammlung in der Pinakothek der Moderne Meisterblätter aus zwei herausragenden Werkgruppen seines Schaffens, der „Helden“-Serie und dem Künstlerbuch „Malelade“ (23.1. – 18.2.).

Kamenz: Der Künstler stammt aus dem Ortsteil Deutschbaselitz, nach dem er sich genannt hat. Die Stadt feiert den 80. Geburtstag mit einem Festprogramm: zwei über das Jahr verteilten Ausstellungen, Vorträgen und einer Buchpremiere.

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