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Der Literaturkritiker Denis Scheck

© picture alliance / Rolf Vennenbe / Rolf Vennenbernd

Für die Katz schreiben: Denis Scheck bespricht die erfolgreichsten Romane

Die Urteile des Literaturkritikers sind gefürchtet. Von Büchern der Stunde und großartigen Geschichten bis zu überflüssig und albern – so bewertet er die aktuelle „Spiegel“-Bestsellerliste.

10.) Giuliano da Empoli: Der Magier im Kreml (Deutsch von Michaela Messmer, C.H. Beck, 265 S., 25 €.)

Wie sich Putins Paranoia in Terror auf den Schlachtfeldern in Tschetschenien, Georgien, Syrien und jetzt in der Ukraine übersetzt, aus diesem Buch lässt es sich erfahren. Das steht zwar alles schon besser in Shakespeares Königsdramen, aber diese Aktualisierung in Form eines süffigen und wirklich spannenden Schlüsselromans aus der Feder des italienischen Politikberaters Giuliano da Empoli über Vladimir Putins Spindoktor und Putins Weg an die Macht und zum Morden ist das Buch der Stunde.

9.) Trude Teige: Als Großmutter im Regen tanzte (Deutsch von Günther Frauenlob, S. Fischer, 384 S., 22 €.)

Tekla liebt Otto. Aber Tekla ist Norwegerin, Otto ein deutscher Besatzungssoldat im Zweiten Weltkrieg, und Teklas Mutter will nichts von den Beteuerungen ihrer Tochter wissen, wonach Otto ein anständiger Mann und wirklich nett ist. „Es gibt keine netten Deutschen!“ sagt sie. Nett ist aber bekanntlich die kleine Schwester von scheiße, und so ist das vernichtendste Urteil über diesen zu betulichen Roman über ein sogenanntes Deutschenmädchen und drei Frauengenerationen in Norwegen denn auch: Er ist einfach zu nett.

8.) Marianne Leky: Kummer aller Art (DuMont, 176 S., 22 €.)

Wie man mit seinen Schrullen leben lernt, wie man mit sich selber besser auskommt und was sich gegen die gröbsten Hirnrissigkeiten unternehmen läßt: aus dieser vergnüglichen Kolumnensammlung aus „Psychologie heute“ läßt es sich erfahren.

7.) Julia Schoch: Das Liebespaar des Jahrhunderts (dtv, 192 S., 22 €.)

Viele von Julia Schochs Romanen handeln vom Verschwinden eines Staats, dem Untergang der DDR. Ihr neues Projekt, die Romantrilogie „Biographie einer Frau“, hat den Untergang sicher geglaubter Gewohnheiten zum Gegenstand. „Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich.“ Mit diesem Hammersatz beginnt Julia Schoch ihren neuen Roman über eine Frau, die seit dreißig Jahren mit ihrem Mann zusammen ist. Dabei begann doch alles ganz anders: Man fühlte sich als „Das Liebespaar des Jahrhunderts“. Die Kinder sind aus dem Haus, alle Schlachten einer Ehe durchfochten, die Liebe längst erloschen. Vor der finalen Konsequenz hält die Erzählerin Rückschau: Was stand am Beginn der Beziehung? Wie wandelte sich Ekstase in Ernüchterung? Und: Wie prägen politische Ideen unsere Vorstellungen von Liebe? Das beste Buch auf dieser Liste.

6.)  Dörte Hansen: Zur See (Penguin, 256 S., 24 €)

Lust und Leid des Lebens auf einer deutschen Nordseeinsel sind das Thema dieses gleichermaßen einsichtsreichen wie beobachtungsstarken Romans. Dörte Hansen schildert den wenig idyllischen Inselalltag, aber auch die Aussteigerphantasien der Zugezogenen: „Ein Haus am Meer gekauft. Das Luftschloss festgemacht mit Backstein, Rosenhecke und Alarmanlage. Und dann ernüchtert festgestellt, dass es nicht schwebt.“

5.) Jochen Gutsch und Maxim Leo: Frankie (Penguin, 192 S., 22 €.)

Tier macht Sachen, in diesem Fall einem Lebensmüden mit Strick um den Hals neuen Lebensmut spenden. Ein gutes Beispiel, warum deutscher Humor international gefürchtet ist – und ein Beleg dafür, dass man gleichzeitig über und für die Katz schreiben kann.

4.) Ewald Arenz: Die Liebe an miesen Tagen (DuMont, 384 S. , 24 €.)

Was für ein Genuss, diese endlich mal klug erzählte romantische Liebesgeschichte über erwachsene Menschen mit all den Problemen, die erwachsene Menschen nun mal so mit sich rumschleppen: demente Mütter, Kinder aus früheren Beziehungen, Jobverlust und Selbstzweifel. Ein Extralob verdient Ewald Arenz‘ präzise Sprache, die dieser Geschichte einer amour fou den nötigen Drive verleiht.

3.) Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie (Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Piper, 464 S., 22 €.)

Garmus Debütroman über eine Chemikerin, die es in den 60er Jahren als Moderatorin einer Kochsendung zum Fernsehstar bringt, ist ein feministischer Unterhaltungsroman, der einen abwechselnd fuchsteufelswild über die himmelschreienden Ungerechtigkeiten der Vergangenheit werden lässt, einen dann von Herzen froh stimmt über das bislang Erreichte, und einem schließlich Mut macht für die in Sachen Geschlechtergerechtigkeit noch auszutragenden Kämpfe. Was will man mehr?

Echt schmale Kost

2.) Jojo Moyes: Mein Leben in deinem (Deutsch von Karolina Fell, Wunderlich, 512 S., 25 €.)

Jojo Moyes erzählt Mark Twains „Prinz und Bettelknabe“ neu in einer Version mit zwei Frauen namens Sam und Nisha. Eine im Fitnessstudio vertauschte Tasche sorgt dafür, dass die eine sich unverhofft mit Christian-Louboutin-Schuhen ausgestattet sieht, die andere hingegen auf abgelatschten Pumps durch die Trümmer ihrer Luxusehe stapft. Literarisch hat mich dieser Roman hingegen eher an den Latschen erinnert, den Charlie Chaplin in „Goldrausch“ zu verzehren versucht: echt schmale Kost!

1.) Juli Zeh und Simon Urban: Zwischenwelten (Luchterhand, 448 S., 25 €.)

„Eine Art schriftliche Konfrontationstherapie“ inszenieren Juli Zeh und Simon Urban in ihrem Roman „Zwischen Welten“: eine Biobäuerin und ein woker Journalist diskutieren per Email die Schmerzpunkte unserer Gegenwart, vom Klimawandel über Cancel Culture und den Ukrainekrieg bis zur Agrarpolitik. Soviel Gegenwart war selten in der deutschen Literatur – und seit Honore de Balzacs „Verlorene Illusionen“ ließ sich aus der Literatur nicht mehr so viel über die Spielregeln des Journalismus erfahren.

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