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Kultur: Frust schieben Mut proben

Drei Jahre nach seinem Bestseller „Generation Golf“ legt der Berliner Journalist Florian Illies nun eine Fortsetzung vor: „Generation Golf zwei“ beschreibt Deutschlands Dreißigjährige, ernüchtert von Börsenchrash, 11. September und Irak-Krieg. Private Schmollfibel oder Zeit-Dokument? Eine Kontroverse zur „GG zwei“

Der junge Mittelschichtler in der Hauptstadt sitzt am Tage wie am Abend reglos auf einem Caféstuhl und wartet, da ihn weder Wunder noch Spektakel aus der Ruhe zu bringen vermögen, auf gleichgesinnte Kommunikationskamikazes: Nun endlich kann man ihn, den nicht teilnehmenden Beobachter, einer Gruppe zuschlagen. Es fehlt zwar ein Tischwimpel in den Farben eines Skatvereins, dafür liegen selbst im Spätherbst Sonnenbrillen nebst Handys mit neonblauen Displays auf dem Rundtisch. Vielleicht stößt bald eine Frau dazu, die unüberhörbar verkündet, sie habe nicht vor, ihren Krampfaderverödungstermin wahrzunehmen. Sie bestellt eine Weinschorle, verschickt ein paar Kurzmeldungen und starrt geradeaus. Wenn die jungen Leute Glück haben, werden sie von westdeutschen Touristen für echte Berliner gehalten. Im ungünstigsten Fall setzt sich Florian Illies, der nimmermüde Fortsetzungschronist, zu den Dreißigjährigen und erklärt sie kurzerhand zu Idealtypen einer Generation. Er muss es wissen, schließlich versteht er sich als Sozialpädagoge – heute spricht man wohl eher von einem Trendbarometer. Nun hat er eine neue Fleißarbeit vorgelegt, in der er die Erschöpfungsdepression seiner Altersgenossen phänomenologisch zu erfassen versucht: „Generation Golf zwei“.

Am Anfang steht die Lebensmittelnostalgie: Es ploppt, wenn man den Finger in die Verschlussfolie einer Nutelladose bohrt. Doch die Bilder einer Kindheit, die sich mit jedem Plopp heraufbeschwören lassen, reichen zum Trost nicht mehr aus. Es gab eine Zeit, da dachte der junge Mann, Konsum sei die Zärtlichkeit der Völker. Er glaubt nicht mehr daran, dass Mode mobil macht. Es braucht schon mehr als ein Existenzgründungsdarlehen, um jenen Schwung zu holen, der ihn aus der Igelstellung erlöst. Unzählige Fristen sind verstrichen, und der junge Mann hat sich auf einem hohen Niveau stabilisiert. Nur der Wille zum banalen Moment, wie er total harmonisierten Biedermännern eignet, ist ihm geblieben.

Florian Illies will es in seinem Buch nicht bei einer Zustandsbeschreibung bewenden lassen. Er verlegt sich auf eine Methode, die man am besten als Sozio-Visagismus bezeichnen kann: Ein Missstand ist ein Missstand, und die Verzweiflung lässt sich beim besten Willen nicht wegschwätzen. Man kommt dem Übel eher bei, wenn man es mit einem richtigen Fachbegriff belegt. Ein Mann um die dreißig, eingeklemmt zwischen zwei Barhockern, in chronisch lustloser Verfassung, kann beispielsweise für sich in Anspruch nehmen, er leide an der quarterlife crisis. Seine Eltern sind natürlich schuld, er durfte alles, und dass Mama und Papa ihm jeden Schmarren haben durchgehen lassen, hat ihn zu dem gemacht, was er in Wirklichkeit ist: eine Niete.

Illies reüssiert als Polit-Masseur, wenn er hinzufügt: Das Konsenssystem Bundesrepublik deformiere uns, weil wir unbequeme Wahrheiten nicht mehr aussprechen dürften. Er sucht einen Superstar und findet ihn in der Figur eines Schlagersängers, und Dieter Bohlen ist erklärtermaßen nicht Dieter Teresa. Er sagt jedem armen Schwein, wo es lang geht, nämlich bis hierhin und nicht weiter. Florian Illies wäre gut beraten gewesen, hätte er einfach nur einen Kalenderspruch beherzigt: Man ist ein schlechter Klempner des Glücks, wenn man sich die Hände nicht schmutzig machen möchte.

Schon im ersten Kapitel legt der Verfasser einen Drei-Phasen-Reinigungsplan an, der Apathie, Paranoia und Halluzination vorsieht. Die Mittelstand-typische Statusangst verklärt er zur Starre einer ganzen Generation. Wenn sogar die erste Sexanbahnung nicht mal mehr an den Eltern scheitert, muss man Schäden fürs spätere Leben davontragen. Den Emotionalsozialismus gilt es seither zu bekämpfen. Sogar ein Wolfgang Thierse ist nicht davor gefeit, barbiert zu werden. Illies wirft ihm vor, er habe so lange gequengelt, bis der Ältestenrat einschritt und der Reichstag nur noch „Plenarbereich Reichstagsgebäude“ heißen durfte. Armes Deutschland – die Macht geht also doch von linken Hegemonialpolitikern aus. Soviel ist sicher: Wenn man den letzten Bolschewisten vom Spielfeld trägt, wird eine Olawelle durch die Fanreihen wogen.

Blass ist die Farbe der Saison. Also hält der zugezogene Hauptstadtbewohner Illies Ausschau nach Trendwenden. In den Wellness-Bereichen des Lebens lässt sich aber nur stumpfen Sinnes räsonieren. Die Kultur der Wertschöpfung und Vermögensbildung begünstigt Parvenüs mit Viertelbildung, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, noch die banalste Alltagsverrichtung zu verrätseln. Der Kleinbürger will gern den Preis dafür bezahlen, dass er sich an einer heroischen Geste in einem Schauraum verschwende. Ein Dorfdoktor würde so einem Deliranten kalte Wadenwickel verschreiben.

Illies hält den Schwatz der Talkrunden für eine Schadstellenanalyse. Da er das Pseudo-Tiefgründige gegen jeden wirklichen Gedanken anführt, ist er, der ambitionierte Kompetenzphraseur, bald mit seinem Schullatein am Ende. „Das Leben“, schreibt er, „hat seine Tiefen, das Wohnen höchstens einen höhenverstellbaren Sitz“. Nun kann er, durch diese Einsicht frei gemacht, endlich den Salon-Contraguerillero abgeben. Nussnougatcreme hin, Spießeridylle her: Ein autoritärer Charakter lässt sich nicht von Luxusnippes und Nostalgieramsch verführen. Dabei haben wir es natürlich schon die ganze Zeit vermutet – sein Angstgegner ist der 68er, und es tut Illies ganz doll weh, dass die Männer der Protestgeneration den Jüngeren die schönen Frauen ausspannen. Einen richtigen 68er erkennt er am handgetöpferten Türschild, er trinkt Tee, er ist ein fieser Nacktbader und Duzer, und er beschwert sich darüber, dass er mit seinem 30-jährigen Sohn Steuermodelle durchkonjugieren muss. Eine Ex-Revolutionsmami füllt Weckgläser mit selbstgemachter Johannisbeermarmelade und engagiert sich im SPD-Ortsverein.

Die passiv-aggressive Haltung, die Illies beim Abklatschen von Nichtkonservativen bislang einnahm, schlägt um in offene Feindschaft. Er geriert sich als Reformist der harten Hand und bläst in die neoliberale Tröte. Seine Generation möchte er zum Streik gegen die Gewerkschaften aufrufen. Wer wie Illies die Volksvermögensvernichtung per Börsencrashtraining wegparliert, kann in Frank Bsirske nur den Kopf einer üblen Erpresserbande sehen. Den deutschen Irakkriegsgegnern hält er vor, ihre einzige inhaltliche Aussage sei ein „bequemes No War!“ gewesen. Nicht nur an dieser Stelle kann man ihm eine Wahrnehmungsverzerrung unterstellen. Hat er sich vielleicht in jener Zeit der Massenaufläufe gegen eine offensichtlich marktorientierte US-Intervention im Ausland aufgehalten? Und wieso denunziert er Hunderttausende von Deutschen als Demo-Mitläufer, wenn nicht aus ideologischen Gründen? Vom Subjektivitätsapostel zum Innerlichkeitshippie ist es jedenfalls ein kleiner Schritt.

Auch den 11. September handelt Illies im Jargon der Gespreiztheit ab: „Was für ein schreckliches Gefühl, dass es das Gebäude, auf dessen Dach wir einmal standen, nicht mehr gibt.“ Eine Seite weiter steht die Lieblingsfloskel aller Workshop-Selbstverwirklicher: „Es war also ein Angriff auf uns selbst.“ Am Ende tappt Illies also dann doch in die Befindlichkeitsfalle, und wir entdecken, dass der junge Mittelschichtler nicht mehr ist als ein Kommunarde im Tarnanzug.

Illies alltägliche Helden irren herum wie Miniaturzivilisten, sie sehnen sich nach der ersten Gefechtshandlung ihres Lebens, und auch wenn sie auf den Bierdeckeln große Schlachten skizzieren, sie bleiben sitzen wie ausgebrannte Wirtshausschläger. Als Imitationskünstler auf einer Kleinkunstbühne haben sie ihr Auskommen, und in ihrer freien Zeit führen sie die problemzentrierten Gespräche, mit denen auch ihre Eltern die Zeit totgeschlagen haben. Sie sind albern und mutlos, sie sitzen und meckern, sitzen und starren, und man hastet an ihnen vorbei, weil man die mumifizierten Langeweiler schon gar nicht mehr bemerkt. Generation Golf, die zwote: eine Frustfibel für quartalsdepressive Wahlberliner.

Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu, 39, lebt in Kiel. Er gewann vor einer Woche den Preis der Jury beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Zuletzt erschien sein Roman „German Amok“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch , Köln).

Von Christoph Amend

Man sitzt am Computer, um den neuen Illies zu besprechen, und tausend Gedanken gehen einem durch den Kopf. Ja, man hat „Generation Golf zwei“ gelesen, an nur einem Abend und mit großem Vergnügen, man hat oft laut gelacht, ziemlich oft sogar. Und manchmal hat man sich ertappt gefühlt, wenn Florian Illies, Jahrgang 1971, über das Leben, Denken und Handeln seiner Generation schreibt.

Zum Beispiel beim Thema Beziehungen, wenn er beobachtet, wie in seiner Generation mit dem drohenden Ende einer Liebe umgegangen wird: „Ich weiß, wie solche Gespräche weitergehen. Weil sie sich nicht trauen zu sagen: Es ist Routine zwischen uns geworden, aber solange ich keine Bessere gefunden habe, bleibe ich erst mal mit ihr zusammen, sagen sie: Es ist zwischen uns mehr so wie zwischen Bruder und Schwester.“ Oder wenn Illies sich daran erinnert, wie er als kleiner Junge sich bei Herrn Eichenauer, seinem Friseur, einen Schnitt wie Karl-Heinz Rummenigge wünschte, dabei stotterte, „aber andererseits war Stottern damals sehr angesagt, egal ob in der Werbung bei Stu-stu-stu-Studioline, in der Musik bei Ba-ba-ba-ba-banküberfall oder bei der UN mit Boutros Boutros-Gali“. Oder an einer anderen Stelle, wenn er ernst bilanziert: „Shoppen am Samstag und brunchen am Sonntag haben uns lethargisch gemacht. Und denken wir an einem Sonntagabend tatsächlich einmal über unser Verhalten nach, dann schieben wir die Schuld für unser Desinteresse an Staat und Gesellschaft den Politikern in die Schuhe. Das ist natürlich furchtbar bequem. Schließlich wurden die 68er ja auch nicht freundlich von Adenauer und Kissinger gebeten, sich politisch zu engagieren.“

Man hat dem Autor Florian Illies, Erfinder der Generation Golf, dabei zugesehen, wie er durch 200 Seiten getanzt ist, mit seiner eleganten Ironie, seiner genauen Beobachtungsgabe und seinem leichten Erzählton, den er über die Jahre perfektioniert hat. Und trotzdem war man all die Fragen nicht losgeworden: Darf der das? Kann einer, der ein Bestseller-Autor geworden ist und ein heftig umworbener Journalist (er war leitender „FAZ“Redakteur, bevor er selber kündigte), authentisch über das Scheitern einer Generation schreiben, die zum ersten Mal Arbeitsämter von innen sieht? Trifft einer den Nerv seiner eigenen Jahrgänge noch, wenn sein Leben meilenweit entfernt ist von den allermeisten anderen? Und wie plump ist es, ein Buch „Teil 2“ zu nennen, weil Teil eins so prima funktioniert hat?

Man muss Florian Illies nicht besonders gut kennen, um zu ahnen, dass er sich diese Fragen gestellt hat, als er „Generation Golf zwei“ geschrieben hat. Offenbar ist er trotzdem zu dem Schluss gekommen, das Reizwort „Nutella“ schon auf der ersten Seite vorkommen zu lassen, auch wenn er wissen musste, dass seine Kritiker nur darauf warten würden. Also: einerseits Vergnügen und Anregung bei der Lektüre, andererseits die Zweifel. Und jetzt?

Dann erinnert man sich an die Zeit vor drei Jahren, als „Generation Golf“ erschien. Da hatte doch einer etwas gewagt, was unter den Autoren seines Alters als die größte Sünde überhaupt galt: ein Buch über seine Generation zu schreiben. Man war sich damals einig: So was macht man einfach nicht, weil man, erstens, seine Freunde und Bekannten nicht der Welt da draußen ausliefert, und, zweitens, es die eine Generation gar nicht gibt. Und dann kam Illies und warf alles über den Haufen. Warum? Er hat es eben trotzdem getan. Er hatte Mut.

Nun hat er wieder etwas getan, was als unfein gilt und seine Erfolgsformel (von der er vor vier Jahren nicht wissen konnte, dass sie existiert) noch einmal angewandt.

Wie schon bei Teil eins fühlt man sich manchmal auch nicht angesprochen. Illies beginnt mit einem Frühstück bei Freunden, großes Thema die nächste Heirat eines Paares – diese Beobachtung betrifft wohl eher auf die älteren Jahrgänge der Golfer zu. Oder sein Zuhause-Rumhocken: Ein Leben nach Mitternacht findet nicht statt. Und sein Hass auf die 68er outet ihn als einen, der im Kopf älter ist, als sein Pass ausweist. Aber wenn Illies über die Handy- und SMS-Sucht der Golfer schreibt, hinter der eine Einsamkeit von riesigem Ausmaß steckt, trifft er den Nerv: „Welche Angst, sich im Wort vergriffen zu haben, wenn man nach zehn Minuten keine Antwort hat.“

Illies beobachtet die Oberflächen und schließt daraus auf die anderen Schichten. Trotzdem wird die unterhaltsam verpackte Selbstkritik gerade ältere Leser verwirren, die erwartet haben, hier rechne einer endlich mit seinen Altersgenossen ab. Illies korrigiert sich zwar selbst (seine Börsengläubigkeit etwa oder den Glauben an die eigene Unverwundbarkeit), aber er bleibt bei seiner Generation und distanziert sich nicht von ihr, obwohl er dafür leicht Applaus ernten könnte. Und es ist egal, wie weit entfernt die Person Illies von den anderen lebt: Dem Autor merkt man es nicht an – und nur das zählt.

Auch der vier Jahre ältere Florian Illies beweist wieder Mut: Er hat nicht für die Medienelite in Berlin-Mitte, München oder Hamburg geschrieben. Er hat nicht über seine Generation geschrieben, sondern für sie. Er hat ein schönes Buch geschrieben, das ihr Hoffnung machen wird. Denn bei aller Krise ist das Erscheinen von „Generation Golf 2“ der beste Beweis, dass es weitergeht. Fortsetzung folgt – hoffentlich.

Der Autor, 29, ist Tagesspiegel-Redakteur und hat in diesem Jahr sein Buch „Morgen tanzt die ganze Welt – die Jungen, die Alten, der Krieg“ veröffentlicht (Karl Blessing Verlag, München).

Feridun Zaimoglu

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