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Neuer Berliner Kunstverein: Fotografin Candida Höfer geht neue Wege

Die berühmte Fotografin hat sich von ihrem bisherigen Arbeitsprinzip frei gemacht. Ihre überraschenden Entdeckungen zeigt sie in einer Berliner Ausstellung.

Von Candida Höfer erwartet der Betrachter menschenleere Innenaufnahmen, die in der unerbittlichen Wiedergabe des jeweiligen Raumes etwas von seiner Bestimmung und seinem Schicksal erahnen lassen. Im Grunde ein Paradox, denn wie sollte die unverfälschte Wiedergabe des Gegebenen etwas Verborgenes zutage fördern? Und doch ist es so. In den besten Momenten offenbart die Menschenleere des Ortes ein Paradies des Geistigen, nicht so sehr in den äußeren Formen von Bücherregalen oder Vitrinen, als vielmehr in dem Zusammenspiel, in dem alle Gegenstände geheimnisvoll zusammenwirken, um dem Besucher eine Schutzhülle geistigen Daseins zu bieten.

Oder aber es kehrt sich die Leere des Ortes, gleich ob er karg ist oder ausgeschmückt, gegen die Behauptung, die seine Funktionsbezeichnung als Bibliothek oder Museum aufstellt, und lässt das menschliche Tun an diesem Ort stattdessen als vergebliche Anstrengung erkennbar werden.

Andererseits ist nicht zu leugnen, dass die Bildserien, die Candida Höfer über Jahre hinweg und mehr und mehr auf Einladungen hin und also als Auftragsarbeiten ausgeführt hat, etwas Routiniertes bekamen. Der scharfe Blick, mit dem Höfer hinter die Kulissen zu blicken vermochte, die sie vordergründig ablichtete, verschmolz mit der technischen Apparatur der Großbildkamera zu einer bloßen Funktionseinheit.

Blicke in die Höhe oder die Tiefe mag Höfer nicht

So durfte man gespannt sein, eine Ausstellung neuester Arbeiten im Neuen Berliner Kunstverein angekündigt zu finden. Und wird nicht enttäuscht: Vielmehr, eben weil man enttäuscht wird, wird man überrascht und angeregt. Der Kurator und Chef des nbk, Marius Babias, gibt in seinem Erläuterungstext freimütig zu verstehen, dass die Ausstellung unter dem Titel „Nach Berlin“ „auch die Erwartungen der BesucherInnen meinen“ könne, die „enttäuscht werden sollen, denn es gibt keine Fotografien von Bibliotheken zu sehen, mit denen die Künstlerin berühmt wurde. Stattdessen können neue Sichtweisen in der künstlerischen Entwicklung Candida Höfers (...) erfahren werden.“

Tatsächlich hat sich Höfer von ihrem bisherigen Arbeitsprinzip weitgehend frei gemacht. Sie stellt in einigen wenigen Großformaten Innenräume vor, die aber gerade nicht mehr ihre jeweilige Funktion wie eben als Bibliothek ausstellen, sondern sich im Bild ganz von ihrem realen Sein zu lösen scheinen. Zwei Blicke in das geschwungene Fünfziger-Jahre-Treppenhaus des „Neuen Stahlhofs“ in Düsseldorf werden zu wunderbar dekorativen Arrangements von einander überschneidenden Kurven. Blicke in die Höhe oder in die Tiefe, wie man will, hat Höfer nie gemocht, stattdessen immer strenge Frontalität dem Raum gegenüber eingehalten. Sie trat dem Raum gegenüber, während sie in diesen neuen Arbeiten in ihn eintaucht.

Gewiss, das sind nur zwei Beispiele, die von anderen in der Balance gehalten werden, in denen sie Räume freilich architektonisch ungewöhnlicher Bauten festhält, immerhin dynamisch über Eck gesehen. Bei dem Essener Haus der japanischen Architektengruppe SANAA ist es eher die monochrome weißgraue Oberfläche des Betons, die dem Bild seinen merkwürdig unwirklichen Reiz verleiht, als einem Schwarzweißbild in Farbe.

Überraschend sind die Aufnahmen, die sie mit einer Kleinbildkamera anfertigt

Überraschend aber ist die Serie der vielen kleinen Aufnahmen, die Höfer neuerdings mit einer leichten Kleinbildkamera anfertigt, wenngleich in unverminderter Präzision. Unterwegs sind ihr Kleinigkeiten aufgefallen, Lüftungsgitter, Drahtglas, Ausschnitte aus Wänden und Böden. Oder in einem Raum die beliebigen Grünpflanzen. Nichts weist über sich hinaus, doch in der Summe ergeben diese Details ein Bild der Stadt abseits der urbanen Selbstdarstellung. Da ist Candida Höfer wieder sehr nah an ihren Anfängen, als sie trostlose Bahnhofsgaststätten und dergleichen quasi als Rück- oder besser Abseite des Städtischen festhielt.

Dazu passt die als Endlos-Diaschau durchlaufende Serie „Türken in Deutschland“, die die damals noch kaum bekannte Höfer 1979 über türkische Migranten in deutschen Großstädten aufgenommen hat. Sie wirken heute mehr denn je als Beispiele sozialdokumentarischer Fotografie, ganz ohne Larmoyanz. Und doch strahlen sie Wärme aus, weil die Menschen, die sie fotografiert hat, eine selbstverständliche Würde besitzen, der die aus heutiger Sicht bisweilen schräge, zeittypische Kleidung keinen Abbruch tut. Dass vor knapp 40 Jahren Islamismus und Kopftuchgebot nicht auf der Agenda standen, kann man den Bildern ganz nebenbei ablesen – und sich einmal mehr wundern über den krummen Weg, den unsere Gesellschaft seither genommen hat.

Den Titel „Nach Berlin“ hat Candida Höfer übrigens aus dem von ihr geliebten Film „Emil und die Detektive“ entlehnt, und die Doppelbedeutung ist gewollt: nach Berlin zieht es die Kölnerin, und nach Berlin im Sinne von „danach“ sind neuartige Arbeiten entstanden. Ein neues Kapitel im Werk der Fotografin, die mit ihren 72 Jahren neue Wege geht und im n.b.k. einen kongenialen Ausstellungspartner gefunden hat. So wie in dessen Räumen an der Chausseestraße, genauso müssen Höfers Arbeiten präsentiert werden: makellos.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129, bis 29. Januar. Künstlerbuch in Vorbereitung. Infos: www.nbk.org

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