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Die Autorin Rama (Kayije Kagame) besucht für ein „Medea“-Buchprojekt einen Kindsmord-Prozess.

© Foto: SRAB FILMS, ARTE FRANCE

Filmfestspiele von Venedig (7): Menschens, Kinder!

Thematisches Doppel-Booking im Wettbewerb. Florian Zellers „The Son“ und Alice Diops „Saint Omer“ handeln von Eltern, die mit ihrer Verantwortung überfordert sind.

Von Andreas Busche

Festivalleiter sprechen gerne vom „Kuratieren“. Aber die Realität ist wohl doch eher, dass so ein Wettbewerb von vielen Faktoren abhängig sind, die niemand kontrollieren kann. Drehpläne zum Beispiel, eine langwierige Produktion, manchmal auch launige Studios oder divenhafte Regisseure, die lieber auf Cannes warten. Unter kuratorischen Aspekten müsste man den diesjährigen Venedig-Wettbewerb als einziges Chaos bezeichnen – es sei denn, dass große Namen das einzige Kriterium darstellen.

Aber manchmal merkt man dem Programm doch einen gestalterischen Willen an – und sei es beim Terminieren. Oder ist es bloß als Hilfestellung für die Filmkritik zu verstehen, die jeden Tag nach roten Fäden im Programm sucht, dass am Mittwoch im Wettbewerb gleich zwei französische Filme über Eltern zu sehen sind, die mit ihren Rollen überfordert sind? Wobei sich die Ähnlichkeiten zwischen Florian Zellers „The Son“ und Alice Diops „Saint Omer“ im Grunde schon in ihrem Thema erschöpfen. Zeller kommt vom Theater, Diop vom Dokumentarfilm: Beides sieht man ihren Inszenierungen an.

Liebe allein genügt nicht

Für Zeller ist es die Premiere auf einem A-Festival nach seinem Debüt „The Father“, das den gefeierten Dramatiker auf Anhieb aufs Radar Hollywoods bugsierte. In „The Son“ spielen Hugh Jackman und Vanessa Kirby das Ehepaar Peter und Beth, die gerade ihr erstes Kind bekommen haben. Probleme bereitet Peters Teenager-Sohn aus erster Ehe mit Kate (Laura Dern), die er für die jüngere Frau verlassen hat. Nicholas zieht sich nach der Trennung zunehmend von der Welt zurück, hat depressive Phasen und verstört seine Umwelt mit erratischen Stimmungsschwankungen. Peter beginnt die lieblose Beziehung mit seinem eigenen Vater (Anthony Hopkins) zu reflektieren, gleichzeitig droht auch seine neue Familie unter dem Druck zu zerbrechen.

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Zeller denkt seine Filme vom Drehbuch her. Wie schon das Demenzdrama „The Father“ umgibt er „The Son“ mit einer Art Mystery-Erzählung, die sich nur am Rande für die Krankheit und die Wahrnehmung des Jungen interessiert. Zeller nimmt, auch filmisch, konsequent die Perspektive der Erwachsenen ein, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um ihren immer verzweifelteren Sohn, über das elterliche Verantwortungsgefühl hinaus, verstehen zu können. Es ist der Psychiater, der diesen Narzissmus entlarvt: „Liebe allein genügt nicht.“

Der Satz klingt auch – völlig anders konnotiert – in Diops Gerichtsdrama „Saint Omer“ mit, in dem die junge Französin Laurence (Guslagie Malanda) aus dem Senegal der Tötung ihres Baby angeklagt ist. Die Autorin Rama (Kayije Kagame) besucht den Prozess für ein „Medea“-Projekt, realisiert im Laufe der Verhandlung aber, dass sie mit der Angeklagten mehr verbindet als nur ihre Hautfarbe. (Die Justiz im Film ist ausnahmslos weiß.) Laurence entspricht so gar nicht Ramas Vorstellung, auch nicht der des Gerichts: Sie hat Wittgenstein studiert und spricht ein gewähltes Französisch.

Diops strenge Inszenierung mit langen Naheinstellungen, das Gegenteil von Zellers fluidem Stil, kommt vom Essayfilm. Auch die zentrale Frage ist eher philosophischer Natur. An Laurence’ Tat lässt Diop keinen Zweifel, sie interessiert sich für die Umstände. Kann eine Mutter ihr Kind lieben und es trotzdem töten? Das Gerichts-Setting und die Zeugenaussagen gewähren Einblick in das Leben, das die Senegalesin in Frankreich geführt hat. Der Prozess gibt ihr erstmals eine Stimme. Aber „Saint Omer“ ist nicht nur ein Film über Laurence, sondern auch über ein Land.

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