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In „Mon pire ennemi“ verhört die Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi auf dessen Bitte hin Regisseur Mehran Tamadon.

© l'Atelier Documentaire

Film über Verhörpraktiken im Iran: Offene Wunden

Der Exil-Iraner Mehran Tamadon zeigt zwei Filme auf der Berlinale, in denen er sich den Traumata der Regime-Opfer mit Re-Inszenierungen nähert.

Warum sind Sie eigentlich in den Iran zurückgekommen? Sie haben dann Filme über Mullahs und über die Bassidji-Milizen gedreht, und dann sind Sie wieder zurück nach Frankreich? Die Frau, die Mehran Tamadon verhört, treibt ihr Opfer in die Enge, bezichtigt ihn der Spionage, zwingt ihn, sich bis auf die Unterhose auszuziehen, richtet gnadenlos die Videokamera auf ihn, spritzt ihn mit hartem Wasserstrahl ab, lässt ihn frieren, Treppen steigen, quält ihn unaufhörlich. Vor allem mit der Frage, was ihm einfällt, für einen Film bei ihr, der Verhörerin, Wunden aufzureißen.

Der Encounters-Beitrag „Mon pire ennemi/Mein schlimmster Feind“ ist ein dokumentarisches Experiment. Der in Frankreich lebende Iraner Mehran Tamadon will das Verhör simulieren, das ihn mutmaßlich erwartet, sollte er in seine Heimat zurückkehren. Er castet andere, in Paris lebende Regimekritiker für die Rolle des Verhörers, aber sie sind letztlich alle zu freundlich. Bis auf Zar Amir Ebrahimi, die Schauspielerin, die 2022 in Cannes mit „Holy Spider“ den Darstellerinnenpreis gewann.  

Mehran Tamadon auf der Berlinale.

© Reuters/Maximilian Schwarz

Ebrahimi leistet Unglaubliches, im besten Sinne Ungeheuerliches in diesem Film. Ihr eindringlicher Blick, ihre Schlagfertigkeit, die Unerbittlichkeit, mit der sie Tamadon unterbricht und seine Aussagen ebenso wie sein Schweigen gegen ihn wendet: Improvisiert sie, hat sie ein Skript? Das Dokumentarische und das Fingierte sind nicht voneinander zu trennen. Ähnelt das etwa  den Lügenkonstrukten derer, die im Iran Menschen inhaftieren, foltern, zum Tod verurteilen?

Das Erschreckendste an diesen Szenen ist das Aufscheinen von Ebrahimis eigener Geschichte. Ebrahimi, Jahrgang 1981, war ein Serienstar im Iran, bis ein Sexvideo auftauchte, das sie angeblich mit ihrem Freund zeigte, was sie bestritt. Sie konnte nicht mehr als Schauspielerin arbeiten, wurde verhört, musste sich nackt ausziehen, erlitt am eigenen Leib, was sie im Film mit Tamadon inszeniert, und Schlimmeres.

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Nach ihrer Emigration nach Frankreich wurde sie zu 99 Peitschenhieben und zehn Jahren Berufsverbot verurteilt. Auch wurde ein Gesetz erlassen, das die Herstellung sexueller freizügiger Bilder mit der Todesstrafe belegt. Welchen Mut es bedeutet, sich diesem Trauma zu stellen, lässt sich kaum ermessen.

Am Ende von „Mon pire ennemi“ konfrontiert Ebrahimi sich selbst und Regisseur Tamadon mit den Dilemmata der Beziehung von Opfern und Tätern. Wie viel Böses steckt in jedem von uns, spätestens wenn Rachegefühle im Spiel sind? Wäre jeder und jede in der Lage, tatsächlich gewalttätig zu werden, wenn wir darum gebeten würden ein solches Verhör nicht zwei Tage, sondern drei Wochen dauerte? Ist Ebrahimis überzeugend gespielte Aggressivität von Schmerz gespeist? Und wie viel Obszönität steckt eigentlich darin, sich mit solch kritischen Filmen auf Festivals feiern zu lassen? Wir sehen einen Film über Folter, und applaudieren, auch das ist unweigerlich obszön.

Mehran Tamadon, Jahrgang 1972, kam als Zwölfjähriger nach Frankreich, kehrte für einige Jahre in den Iran zurück, arbeitete dort als Architekt und drehte unter anderem den beim Verhör erwähnten Film über die Bassidji. Für „Iranien“ (2014) lud er vier schiitische Geistliche ein, um mit ihnen über Frauenrechte, Meinungsfreiheit und den säkularen Westen zu diskutieren. Ein Gespräch mit Mullahs, mit Tätern. Wie kann er nur an deren Dialogfähigkeit glauben, will Ebrahimi in ihrer Rolle als Verhörerin wissen.

Mehran Tamadon und der Unternehmer Mazyar Ebrahimi in „Where God Is Not“.

© l'Atelier Documentaire

Tamadon zeigt auf der Berlinale noch eine zweite Doku, „Where God is Not“ im Forum. Keine Vorab-, sondern eine Re-Inszenierung, die Filme gehören zusammen. Mit drei exilierten Regimegegner:innen (einer von ihnen, der Journalist Taghi Rahmani, ist auch beim „Casting“ in „Mon pire ennemi“ dabei) rekonstruiert er in einer Lagerhalle deren Gefängnis- und Foltererfahrungen.

Sie bauen jenes Bettgestell nach, auf dem der Unternehmer Mayzar Ebrahimi brutal misshandelt wurde. Oder jene winzige Zelle, die höchstens drei Schritte von Wand zu Wand erlaubt. Oder jene Verschläge, in denen Frauen wie Tiere gehalten und zur Gottesfürchtigkeit gezwungen wurden. Tamadons Gesprächspartnerin Homa Kalhori leidet bis heute nicht nur unter den Folgen der Qual, sondern auch an ihren Schuldgefühlen: Sie musste die Wächter bei ihren Untaten unterstützen.

Aber die Eindrücklichkeit dieser Reenactments wird von Zar Amir Ebrahimis Auftritt und von ihrer Courage in „Mon pire ennemi“ in den Schatten gestellt. Am Samstag hatte die Schauspielerin auf einem Berlinale-Panel zur aktuellen Revolution im Iran gesessen und für mehr westliche Unterstützung der dort ausharrenden Filmschaffenden geworben, auch für finanzielle Förderung von Produktionen. In der Encounters-Sektion werden wie im Bären-Wettbewerb Preise vergeben, allerdings nicht für Schauspieler:innen. Ebrahimi hätte einen verdient. Ihr verdankt das Festival die wichtigsten Leinwandszenen in diesem Jahr.

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