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Szene aus „Evil does not Exist“ von Ryūsuke Hamaguchi.

© Pandora Film / NEOPA, Fictive

Festival „Around the World in 14 Films“ : Beunruhigende Eindrücke von der Peripherie

Die 18. Ausgabe von „Around the World in 14 Films“ zeigt Beiträge aus dem Iran, Jordanien, Kongo, Malaysia, Vietnam und natürlich den USA. Das Weltkino hinterlässt 2023 einen starken Eindruck.

Von Andreas Busche

Koffi hat von Beginn an kein gutes Gefühl, als er mit seiner schwangeren Verlobten nach Jahren der Funkstille in sein Heimatdorf im Kongo zurückkehrt. Seine Familie betrachtet Alice misstrauisch, das Geld für die Aussteuer reicht auch nicht, über seine Frisur werden Witze gemacht.

Seine Mutter hat ihn als Jungen nach Europa geschickt, weil sie in seinem Muttermal einen bösen Zauber vermutete. Zabolo nennen sie ihn: Auf Koffi liegt ein Fluch. Als er während der Feierlichkeiten wegen seines niedrigen Blutdrucks Nasenbluten bekommt und ein paar Tropfen auf das Baby seiner Schwester fallen, bricht die Familie in Panik aus. Koffi wird einem Exorzismus unterzogen.

Entfremdung in der Diaspora

„Augure“ („Omen“), das Regiedebüt des belgisch-kongolesischen Rappers Baloji, wurde in Cannes nach seiner Premiere in der Reihe Un Certain Regard als herausragender Beitrag des jungen afrikanischen Kinos gefeiert. Ein Film, der für die Entfremdung der Diaspora-Rückkehrer von den heimischen Traditionen eine ganz neue Bildsprache gefunden hat.

„Augure“ ist gefilmt wie ein Trip, der sich immer wieder in delirante Bewusstseinszustände flüchtet. Die Zauberei ist ein selbstverständlicher Aspekt des modernen Lebens. Der junge Paco (im Anhang seine queere Gang) macht mit seinen magischen Fähigkeiten ein einträgliches Geschäft: Er lebt vom Drogenhandel.

Balojis Debüt ist auch einer der herausragenden Filme der 18. Ausgabe des Weltkinofestivals „Around the World in 14 Films“, das noch einmal eine Bilanz des Festivaljahrgangs zieht – und dabei auch ein Schlaglicht auf die Filme wirft, die im Trubel von Cannes und Venedig gelegentlich untergehen. Oder aber, wie im Fall von Ali Ahmadzadehs furiosem vierten Film „Critical Zone“, den Gewinner des Goldenen Leoparden von Locarno präsentiert, ein selbst für das iranische Kino kompromissloses Porträt von Irans Gesellschaft.

Die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania rekonstruiert in ihrem Genre-Hybriden „Olfas Töchter“ einen Fall von weiblicher Radikalisierung. 

© Twenty Twenty Vision

„Critical Zone“ folgt dem Dealer Amir bei einer nächtlichen Fahrt durch Teheran, die ihn zu den Außenseitern der Gesellschaft führt. Aber nicht nur sie kaufen Drogen, um ihre Frustration zu betäuben. (Auch die Tonspur klingt wie wattiert.) Eine Mutter braucht Amir, um ihren drogenkranken Sohn zu retten.

Ahmadzadehs Nachtdrama ist beunruhigend verhalten, aber es zerreißt seine Figur fast vor innerer Anspannung – die sich dann in einer irren Verfolgungsjagd Bahn bricht. Im Iran steht Ahmadzadeh natürlich auf der schwarzen Liste, momentan reist er mit „Critical Zone“ aber durch Europa. Sein Film ist ein Aufschrei des iranischen Kinos. Das Regime hat ihn sehr genau vernommen.

Subtiler Pessimismus

Hatte man sich nach der Pandemie noch Sorgen um das Kino jenseits der großen Filmnationen gemacht, bezeugt „Around the World in 14 Films“, dass das Weltkino aus der Krise stärker denn je hervorgegangen ist.

Der malayische Coming-of-Age-Film „Tiger Stripes“, den Regisseurin Amanda Nell Eu in der Camouflage feministischen Bodyhorrors realisiert hat, oder das transzendente Drama „Inside the Yellow Cocoon Shell“ des vietnamesischen Debütanten Pham Thien An platzieren in diesem Jahr das südostasiatische Kino prominent auf der Kinoweltkarte.

Zu den bewährten Kräften des Jahrgangs gehören Agnieszka Holland mit „Green Border“ und Ryusuke Hamaguchi, der mit der Vater-Tochter-Geschichte „Evil does not Exist“ seinen subtilen Pessimismus in langen, stillen Einstellungen verabreicht. Ein weiteres Highlight ist Kaouther Ben Hanias Genre-Hybrid „Olfas Töchter“, der in Cannes ebenfalls unterging. Die tunesische Filmemacherin dekonstruiert zwischen Dokument, Spielfilm und Re-Enactment auf so kluge wie komische Weise die konventionellen Beschreibungen einer islamischen Radikalisierung sowie weiblicher Rollenbilder. Kaouther Ben Hania ist eine von elf Regisseurinnen im Programm.

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