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Körper-Ausstellung auf dem Kran: Die Künstler*innen Göksu Kunak mit den Performer*innen Bilgesu Akyürek, Nomi Sladko, Tischa The Tigress und Markus Hausmann in der Performance „Hungry“.

© Devid Gualandris

Fakten schaffen!: Erste Eindrücke von der Berlin Art Week

Göksu Kunak revidiert Körperbilder, Raumfragen aller Orten. Die Art Week startet mit Performances, Körperkunst und Visionen für morgen.

Schwarzenegger ist out. Wer das zeitgenössische Update des erfolgreichen Muskelprotzes aus Österreich sehen wollte, hatte bei Göksu Kunaks Performance in den Wilhelm Hallen Gelegenheit dazu. Die in Ankara geborene, seit 2011 in Berlin lebende Künstler*in hat dort mit mehreren Darsteller*innen die Performance „Hungry“ aufgeführt.

Eine Poledance-Artistin drehte sich inmitten des Publikums in olympiareifer Athletik und sehr sexy an der Stange, ein Profi-Bodybuilder spreizte seine Muskeln, eine Burlesque-Tänzer*in wiegte sich vor dem Spiegel, Kurnak selbst fuhr sich und die ganze Truppe, winkend wie Queen Mum, mit einem Kran durch die Halle. Dazu hämmernde Technomusik.

Bilgesu Akyürek an der Poledance-Stange in der Performance „Hungry“.
Bilgesu Akyürek an der Poledance-Stange in der Performance „Hungry“.

© Devid Gualandris

Es waren Posen und Körperbilder aus Kunstgeschichte, Populärkultur und Pornowelt, die hier mit Körpern jenseits konventioneller Gendervorstellungen neu interpretiert wurden. Arnold Schwarzenegger diente insofern als Referenz, als er 1976 in einer „Life Exhibition“ im New Yorker Whitney Museum auftrat. Ausgestellt wurden damals wie heute – Muskeln. Der Körper als Kunst.

Muskeln werden ausgestellt

Kunak ist ein Shootingstar dieser Art Week, hat mehrere Auftritte an unterschiedlichen Orten. Auch Nationalgalerie-Direktor Klaus Biesenbach hat die Künstler*in für das Performance-Programm im BAW-Garten, dem großen Treffpunkt der Art Week, engagiert. Kunak zeigt mit „Venus“ eine Neuproduktion, die Themen wie Migration anhand eines reichlich überholten Fetischobjekts beleuchtet: dem Auto. Auch beim Gallery Weekend Festival am Ku’damm ist Kunak dabei.

Prepared: Neue Nationalgalerie mit Pflanzen von atelier von le balto, einem Wagen für Göksu Kunaks Performance „Venus“ und der Rose von Isa Genzken.
Prepared: Neue Nationalgalerie mit Pflanzen von atelier von le balto, einem Wagen für Göksu Kunaks Performance „Venus“ und der Rose von Isa Genzken.

© Birgit Rieger

„Früher war ich sehr konservativ und muslimisch“, sagt die Künstler*in beim Gespräch am Rande ihrer Performance, bei der großzügig Wodka-Shots ans Publikum verteilt wurden. Vor ein paar Jahren wäre für Kunak ein Auftritt in knapper Unterwäsche und hochhackigen Lackstiefeln wie in den Wilhelm Hallen undenkbar gewesen. Berlin hat eine Öffnung bewirkt. Manche verändern sich in dieser Stadt, werden zu dem, was sie sind, tun das, was sie tun müssen.

Potenziale wecken

So ging es vor mehr als 100 Jahren auch dem norwegischen Maler Edvard Munch, der von 1892 bis 1907 immer mal wieder in Berlin lebte. In der Berlinischen Galerie wird in der großen, mit vielen Leihgaben bestückten Ausstellung „Zauber des Nordens“ eindrücklich beleuchtet, wie Munch in Berlin agierte, wie er sein Werk entwickelte, es am Berliner Publikum ausprobierte. So akribisch ist zuvor niemand den Spuren des Norwegers in Berlin nachgegangen. Sicher eines der Highlights der Berlin Art Week.

Wenn Edvard Munch und Göksu Kunak in ein Programm passen, dann hat die Kunstwoche schon mal einiges richtig gemacht. Apropos Kunstproduktion: Orte des künstlerischen Schaffens lassen sich in den kommenden fünf Tagen reichlich erkunden. Ein Aushängeschild der Stadt sind die Uferhallen in Gesundbrunnen, ein ehemaliger Betriebshof der BVG.

Installation von Christine Sun Kim, Thomas Mader, Bricky Fingers auf dem Uferhallen-Gelände im Rahmen der Ausstellung „Frequently Asked Questions“.
Installation von Christine Sun Kim, Thomas Mader, Bricky Fingers auf dem Uferhallen-Gelände im Rahmen der Ausstellung „Frequently Asked Questions“.

© n.b.k. / Jens Ziehe

Dort lädt man anlässlich der Art Week zum großen Ausstellungsparcours. Seit die Stadt das Gelände veräußert hat, wird um dessen Erhalt als Kulturstandort gerungen. Auf dem Hof mit den vielen berühmten Künstlern spürt man nun wieder Zuversicht. Es scheint endlich ein für die Künstler*innen und den Investor akzeptabler Weg der Co-Existenz gefunden.

Visionen dingfest machen

Man hört viel Lob für den neuen Kultursenator Joe Chialo. Ein paar Telefonate seinerseits und die ins Stocken geratenen Verhandlungen zwischen den Parteien sollen wieder in Gang gekommen sein. Realität bleibt: auf dem Gelände wird gebaut und renoviert – Letzteres ist auch dringend notwendig – aber die Künstler können ihre Ateliers behalten. Ein langfristiger Generalmietvertrag mit der senatseigenen Kulturraum GmbH gibt Planungssicherheit, die Mieten bleiben moderat.

Die Ausstellung „Frequently Asked Questions“ zeigt im Screening-Programm Werken aus dem n.b.k. Video-Forum.
Die Ausstellung „Frequently Asked Questions“ zeigt im Screening-Programm Werken aus dem n.b.k. Video-Forum.

© n.b.k. / Jens Ziehe

Empfohlen sei ein Besuch im Studio von Heiner Franzen, der seit 2008 auf dem Hof ist und nun zu denjenigen gehört, die innerhalb des Geländes umziehen müssen. Was der Ortswechsel für ihn bedeutet, zeigt er in der Installation „Re-mapping my Brain“. Das Atelier ist nicht nur Werkstatt, Produktionsort, Filmstudio, sondern auch Gedächtnis, Gehirn, Archiv.

Die raumfüllende Styropor-Wand mit unzähligen Zeichnungen und Installationen hat Franzen bereits abgeräumt. Er hat vorherige Zustände dokumentiert, die jetzt in einer VR-Installation zu sehen sind, in der genialerweise auch die aktuellen Besucher im Studio als Schemen auftauchen.

Raumfragen beschäftigen Franzen schon sehr lange, nicht nur wegen seiner persönlichen Situation. Er lehrt unter anderem an der Hochschule Weißensee, und beobachtet, wie die Absolventen wegen unerschwinglicher Ateliers aus Berlin wegziehen oder in 40-Stunden-Jobs versacken. „Diese neue Generation geht der Stadt verloren“, sagt er.

Spannendes bietet auch die große Halle auf dem Gelände. Der Kunstverein n.b.k. zeigt in einer Installation mit Containern und Bühne seine bemerkenswerte Video-Kunstsammlung, die man sonst wegen eines fehlenden Präsentationsortes kaum sieht. Die Vision, die Halle als Kunstzentrum für n.b.k.-Videoforum, Uferhallen-Künstler und vieles mehr zu nutzen, ist temporär bereits Realität. Fakten schaffen – das ist ein weiteres Stichwort, das gut zur Kunst und zu dieser Art Week passt.

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