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Voller Körpereinsatz vor und auf der Bühne eines Punkkonzerts.

© imago images/POP-EYE/POP-EYE / Ben Kriemann via www.imago-images.de

Erstes Berliner Punk-Symposium: „Gründe, gegen etwas zu sein, gibt es überall“

Marie Arleth Skov gehört zum Orga-Team des ersten Symposiums zum Thema Punk in Berlin. Ein Gespräch über Protest, Hedonismus, Sexismus und Queers in der Bewegung.

Frau Skov, Sie beschäftigen sich wissenschaftlich mit Punk. Wie sind Sie zu dieser Musik gekommen?
Ich bin in Kopenhagen geboren und Jahrgang 1980. Von daher war ich zu spät dran für den frühen Punk. Als Teenagerin bin ich eher über Grunge und die Riot Grrrls auf Punk gestoßen. Wie das so ist, liest man Interviews mit bestimmten Musiker*innen, die zitieren ihre Vorbilder und man recherchiert zurück und so habe ich angefangen, Punk zu mögen, genau wie die dazu gehörende Mode. Dann bin ich 1999 nach Berlin zum Studieren gegangen und hier ist mir aufgefallen, wie viel die Punkkultur auch mit Kunstgeschichte zu tun hat, was ich damals studiert habe.

Ist Berlin eine Punkstadt?
Würde ich sagen, ja. Stärker als viele andere Städte, die ich kenne. Ich finde, dass Berlin sich eine Punkkultur bewahrt hat. Es gibt hier immer noch eine sehr große Punk-Community, gute Bands und viele Konzerte. Es gibt Projekte wie „Köpi bleibt“ und Bewegungen für Wohnraum, wo Punks mitmachen. Das sind vielleicht keine reinen Punkbewegungen, Punk hat aber etwas mit diesen zu tun.

Auf dem 1. Berliner Punk Symposium, das nun im Club der polnischen Versager stattfinden wird und das Sie mitorganisiert haben, wird auch über Pussy Riot gesprochen, die gegen ein restriktives System wie das in Russland opponiert haben. Ist Berlin nicht viel zu liberal geworden, um hier mit Punk noch etwas verändern zu wollen?
Ich glaube, eine konservative, unterdrückende Seite der Gesellschaft gibt es überall. Und sei es nur in Form von selbstzufriedenen Hippies, die an die Macht gekommen sind, oder einer Gesellschaft, in der alle nur glücklich tun die ganze Zeit. Man findet überall etwas, wo man sinnvollerweise dagegen sein kann.

Sie haben im letzten Jahr in Berlin die deutsche Dependance des Punk Scholars Network mitgegründet, wo sich akademisch mit Punk auseinandergesetzt wird. Um was genau geht es in der internationalen Punkforschung?
Das Punk Scholars Network wurde im Vereinigten Königreich vor zehn Jahren gegründet. Inzwischen gibt es Abzweigungen auch in Brasilien, Indonesien, Kolumbien, Frankreich oder den USA. Man beschäftigt sich mit lokalen Szenen, weil Punk sich lokal sehr voneinander unterscheidet. Punk in Indonesien zum Beispiel ist etwas anderes als in Brasilien oder Holland.

Und die Geschichte und Kultur der Türkei haben natürlich einen Einfluss darauf, wie Punk in der Türkei aussieht – davon wird uns beispielsweise Selin Yagci berichten auf unserem Symposium. Ich glaube, man kann schon sagen, dass Punk ein sehr vielfältiges Forschungsfeld ist. Weil Punk nicht nur eine Musikbewegung war und ist, sondern es geht auch um Kunst, Philosophie, eine bestimmte Lebenseinstellung und Politik. Diese Vielfalt wird auch in unserem Symposium widergespiegelt.

Punk war schon immer wie ein Virus, der mutiert. 

Marie Arleth Skov

Sie sagen es bereits: Punk ist eine Musikrichtung, steht aber auch für eine bestimmte Haltung, bei der man der Wohlstandsgesellschaft den Stinkefinger zeigt. Ist nicht Letzteres heute relevanter als die Musik selbst?
Ich denke, beides hat überlebt, beides hat sich aber auch verändert. Punk war schon immer wie ein Virus, der mutiert. Punk war noch nie nur eine bestimmte Position, sondern stets in Bewegung. Wenn man Punk 1975 in New York und 1976 in London vergleicht, dann sind das schon zwei unterschiedliche Versionen von Punk.

Die Musik ist unterschiedlich, die Attitüde auch, beispielsweise spielt in Großbritannien der Working-Class-Ethos eine größere Rolle. Punk als Haltung bedeutet natürlich nicht mehr dasselbe wie damals. Vieles davon besteht aber heute noch und ist vielleicht relevanter denn je.

Die Angst vor der Zukunft zum Beispiel ist geblieben. Aber einst hieß es deswegen nihilistisch „No Future“, heute ungleich hoffnungsvoller „Fridays for Future“.
Ich finde, dass sich die heutige Jugend einer ähnlichen Situation gegenüber sieht wie die damals. Es gibt unterschiedliche Strategien, wie mit dieser umzugehen ist und diese reichen von Hedonismus bis zu Protest. „No Future“ war ja nur eine kurze hedonistische Phase im klassischen Punk. Schon bald entstanden Bewegungen, die gegen Rassismus oder für Tierrechte und Feminismus aktiv waren.

Viele haben schon bald gesagt, es gibt eine Zukunft, aber sie soll anders aussehen als die Gegenwart. Ich könnte einen 16-Jährigen heute gut verstehen, der sagt: Fickt euch, ich will Hedonismus und Zerstörung. Mir scheint aber, dass die junge Generation so vernünftig ist. Sie hat die hedonistische Phase möglicherweise übersprungen und ist direkt zum Aktivismus übergegangen.

Können junge Menschen von heute, die Awareness einfordern, mit der Aggression und der teilweise vorhandenen politischen Unkorrektheit von Punk überhaupt noch etwas anfangen?
Henry Rollins hat genau das in einem Podcast, den ich kürzlich gehört habe, angesprochen. Er hat gesagt, dass damals auch sehr viel scheiße war. Und wie toll es sei, wie heute bei Konzerten in L.A. die Leute miteinander umgingen.

Henry Rollins, der früher auf Konzerten Leute im Publikum verprügelt hat, ist heute woke?
Auf seine Weise, ja. Er hat auch davon gesprochen, wie wir alle davon profitieren, wenn Leute nicht leiden müssen, wenn sie sie selber sein können, auch wenn sie queer sind. Vielleicht gibt es heute mehr Achtsamkeit im Punk, ich hoffe das. Aber die Authentizität von Punk kommt gleichzeitig natürlich auch davon, dass da Leute aktiv in Bands sind, die Aggressionen haben und das auch ausdrücken wollen. Vielleicht geht es darum, diese auszuleben in einem Raum, in dem niemand verletzt wird.

Am Anfang wurden Punks in den Kneipen ja verprügelt, weil sie so komisch aussahen. In der queeren Community haben sie dann Zuflucht gefunden.

Marie Arleth Skov

Es gab Sexismus im klassischen Punk, andererseits aber auch Bands wie die Slits, die diesen anprangerten. Wie fortschrittlich war Punk in dieser Hinsicht nun wirklich?
Punk hatte am Anfang starke Überschneidungen mit der queeren Szene. Etwa durch eine Band wie die New York Dolls, die mit der queeren Geschichte New Yorks eng verwoben war. Aber auch durch Figuren wie Divine oder Lou Reed.

Am Anfang wurden Punks in den Kneipen ja verprügelt, weil sie so komisch aussahen. In der queeren Community haben sie dann Zuflucht gefunden. Ganz viele Frauen und Queers kamen lange Zeit in der Geschichtsschreibung von Punk ja gar nicht vor. Das Klischee des weißen aggressiven Jungen mit Irokesenschnitt war überrepräsentiert, andere Positionen dagegen unterrepräsentiert. Unsere Rolle als Historiker*innen ist es, manchen wieder einen Platz in der Geschichte zu geben. In dieser Hinsicht passiert gerade ja auch sehr viel.

Somit: Punk’s not dead?
Not at all. Punk wie damals gibt es nicht mehr, aber einen anderen. Insofern: Punk is dead, long live Punk! – den Spruch habe ich aber von einem Graffiti geklaut (lacht).

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