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So sieht sie aus, die im September erscheinende "Neue Göttinger Ausgabe" der Werke von Günter Grass.

© Steidl Verlag

Günter-Grass-Werkausgabe erscheint im Oktober: Endlich Sammlerobjekt geworden

Denkmal aus Büchern: Wie der Göttinger Steidl Verlag das Andenken an den 2015 verstorbenen Literaturnobelpreisträger Günter Grass pflegt.

Vor ein paar Monaten, als die Verlage ihre gedruckten Herbstprogramme verschickten oder ankündigten, wegen der Coronakrise diese nur elektronisch zu versenden, konnte man einmal mehr über den Göttinger Steidl Verlag staunen.

Nicht so sehr, weil er ein gedrucktes Programm dem Buchhandel und den Medien zukommen ließ und dieses wie üblich bei Steidl weniger wie eine schlanke Zeitschrift als vielmehr selbst wie ein Buch aussieht, fast wie ein eigenes Kunstwerk.

Sondern weil darin nach ein paar Vorstellungen von demnächst erscheinenden Büchern zunächst fast versteckt, dann aber über viele Seiten eine neue, üppig ausgestattete, jeder Buchmarktkrise spottende, aus 24 Bänden bestehende Günter-Grass-Werkausgabe für den September dieses Jahres angekündigt wird; und dazu ein von dem Verleger Gerhard Steidl selbst herausgegebener Werkstattbericht vom „Büchermachen mit Günter Grass“.

Steidl ist nicht einfach nur ein primär an Texten und sekundär leidlich ordentlich aussehenden Büchern interessierter Verleger, sondern auch leidenschaftlicher Buchgestalter.

Der Verleger Gerhard Steidl ist auch ein leidenschaftlicher Buchgestalter

Zum Beispiel sagte er bei der Präsentation des posthum veröffentlichten Grass-Bandes „Vonne Endlichkait“ in seinen Göttingen Verlagsräumen: „Die nächste Kollektion ist immer die beste, hat Karl Lagerfeld einmal zu mir gesagt. So ist das beim Büchermachen auch. Die Erfahrungen und neuen Erfindungen beim Gestalten jedes Buches kommen immer den nachfolgenden Büchern zugute."

Jetzt also profitiert von diesem stetigen Erfinden die Werkausgabe des im April 2015 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers, die im übrigen nach 2007 schon die zweite bei Steidl ist. Der Verlag verweist in seiner Ankündigung nicht nur auf „die sorgfältige Edition“, sondern auch auf die Ausstattung: „10 952 Seiten im Oktav-Format (14 mal 21,3 cm). Gesetzt aus der Baskerville und der Theinhardt, gedruckt auf 50g elfenbein farbenem Bibeldruckpapier, Fadenheftung, farbiges Vorsatzpapier, dunkelgraues Kapital- und Leseband, bedruckter roter Leinenbezug, handgefertigte Holzkassette.“

Mehr Schönheit geht nicht, könnte man sagen – obwohl das Rot der Leineneinbände vielleicht nicht allen zusagt. Die entscheidendere Frage jedoch ist, an wen sich der Verlag damit richtet? Wer sich diese Schmuckkassette zulegen wird, wer noch einmal Bücher von Günter Grass liest, diese gar für sich entdeckt?

Natürlich war Grass in seinen großen Zeiten ein Bestsellerautor; nach seiner sogenannten Danziger Trilogie mit der „Blechtrommel“ gelangte Jahrzehnte lang jedes seiner neuen Bücher in die Bestsellerlisten, bis hin zu dem Fontane-Roman „Ein weites Feld“ oder dem vieldiskutierten „Im Krebsgang“. 

Der Verlag legt Wert auf die Verbundenheit mit seinem Autor

Doch deshalb haben viele Grass-Leser- und Leserinnen ihre gebundenen Ausgaben lange im Bücherschrank, und Grass-Romane wie „Die Rättin“, „Unkenrufe“, „Ortlos betäubt“ oder „Tagebuch einer Schnecke“ gehören nicht unbedingt zu den Hervorbringungen dieses Autors, die eine zweite, dritte Lektüre lohnen.

Tatsächlich ist man bei Steidl zwar obsessiv, was Günter Grass anbetrifft, aber nicht wahnsinnig, und das unternehmerische Denken durchaus ausgeprägt. 

Wie der Verlag jetzt noch einmal in einer Extrasendung mitteilte, ist diese Werkausgabe im Holzschuber auf 1000 Exemplare limitiert, „in gewisser Weise ein Denkmal aus Büchern. Sie ist schön altmodisch und wahrscheinlich vom Aussterben bedroht, erzählt aber auch von der Verbundenheit eines Verlags mit seiner Autorin oder seinem Autor und hat das Zeug zu einem Sammlerobjekt.“

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Diese Verbundenheit, die hier herausgestrichen wird, der Verweis auf Jubiläen beispielsweise mit Extraausgaben, wünschen sich viele Autoren und Autorinnen von ihren Verlagen. Sie ist nicht immer gegeben, aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt ökonomischen; allerdings hat die Treue auch auf Seiten der Autoren abgenommen, da werden Verlage inzwischen munter durchgewechselt.

Im Fall von Grass fragt man sich, was außer „Die Blechtrommel“ bleibt, ob er wirklich dereinst ein Klassiker wie Thomas Mann oder Kafka wird? Ob er oder die Schriftsteller seiner Generation, die mit ihm auf Augen- und Publikumshöhe waren, Siegfried Lenz, Martin Walser oder Heinrich Böll, auch in fünfzig, hundert Jahren noch gelesen, diskutiert werden?

Sammlerobjekt zu sein ist das eine, gelesen, studiert zu werden das andere. Büchermachen und Bücher als Fetisch zu begreifen, schön und gut, am Ende zählt, was drin steht. Weshalb der Steidl Verlag 2021 auch noch vierzehn Kommentarbände zu dieser Grass-Werkausgabe veröffentlichen will.

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