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Das Unheimliche in grellen Farben. Noldes „Trophäen der Wilden“, 1914.

© Nolde Stiftung Seebüll

Emil Nolde: Die Geister, die er rief

Das Frankfurter Städel richtet Emil Nolde eine große Retrospektive aus. Über den expressionistischen Maler, Freigeist und Antisemiten, der selber von den Nazis verfemt wurde, ist erst kürzlich wieder eine Debatte entbrannt.

Emil Nolde, das sind Blumen auf Aquarellpapier. Sattes Leuchten, unverdächtige Schönheit, der reine Genuss. Noldes Tulpen und Narzissen blühen noch in den Gratiskalendern von Apotheken; der Name des 1956 verstorbenen Malers ist ein Publikumsgarant, bis heute. Umso verblüffter steht man an einem Samstag vor dem Eingang zum Frankfurter Städel-Museum. Dem Blockbuster-Künstler wird hier erstmals seit einem halben Jahrhundert eine große Retrospektive gewidmet! Und man kommt ohne Warteschlange hinein.

Was daran liegen mag, dass die Ausstellung weit mehr präsentiert als bloß Blumen. Noldes Welt bestand nämlich nicht allein aus Natur, tiefblauer See, Dampfern und Dünen. Obwohl er aus der Metropole Berlin immer wieder Zuflucht auf dem Land suchte, hat er die Großstadt in expressiven Ansichten geschildert, ihre Tänzerinnen in ungeheure Farben gehüllt. Seine Leinwände werden von Hexen und Kobolden bevölkert. Oder vom Matterhorn in Gestalt eines freundlichen Riesen. Nolde wirkte in dieser Zeit als Lehrer in St. Gallen, war gerade mit einem schrulligen Bergpanorama an der Jury der Münchner Jahresausstellung gescheitert und entdeckte die Wandertouristen. Seine Matterhorn-Ansichtskarte von 1896 in sechsstelliger Auflagenhöhe war ruckzuck ausverkauft, was es ihm über Jahre ermöglichte, weiter seine Künstlerkarriere zu betreiben. Er wollte Maler sein, um jeden Preis.

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Im Städel künden 140 Werke vom späteren Erfolg, darunter Großartiges wie die monumentale Kreuzigung „Das Leben Christi“ (1911/1912), seine aus einer offiziellen Expedition resultierenden Südseebilder von 1914 und zahlreiche fantastische Szenerien. Auch Blumenbilder findet sich in der Schau. Ihre gedrängte Hängung an einer einzigen Wand unterstreicht jedoch den lapidaren Charakter des Sujets, das eben nur eines von vielen in Noldes Œuvre war. Vor allem wird sein Leben auf den Texttafeln inzwischen ohne jene Lücken erzählt, wie sie für viele aus seiner Generation typisch sind. Der 1876 geborene Künstler, Sohn eines Bauern aus dem deutsch-dänischen Grenzland, sympathisierte mit den Nazis, trat 1934 der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig bei und schreckte auch vor Denunziation nicht zurück. Man kann es als Rache für jene Kränkungen deuten, die Nolde bis dahin erfahren hatte. Als böse Replik etwa auf die Ablehnung seines Gemäldes „Pfingsten“, das die Berliner Secession 1910 nicht ausstellen wollte – eine Zurückweisung, die er allein seinem Malerkollegen Max Liebermann anlastete, der ihn als krankhaft ehrgeizig empfand. Aber gewiss hegte der Künstler schon vorher antisemitische Vorurteile und war nur zu bereit, die eigenen Misserfolge einem abstrusen „jüdischen Einfluss“ mit dem Ziel der Unterdrückung „deutscher Kunst“ anzulasten.

Seine kruden, in vielerlei Hinsicht gesellschaftlich sanktionierten Ansichten hatte Nolde schon früher formuliert und ließ sich davon nicht abbringen. Dabei verdankte er ausgerechnet einem orthodoxen Juden seine erste große Ausstellung 1915 in Frankfurt, dem Kunsthändler Ludwig Schames. Schames glaubte an den Expressionisten, auf den das bürgerliche Publikum überwiegend schroff reagierte, mit Vokabeln wie „geisteskrank“.

Nolde hielt seine Malweise für „urgermanisch“. Das sah auch Joseph Goebbels so, der Nolde-Bilder in seine Privatwohnung hängte. Bis Hitler ihm einen Besuch abstattete und mit Abscheu reagierte. Es war das Ende der guten Beziehungen zwischen dem Künstler und dem Regime, das seine Figuren zu „kranken Geistern und Krüppeln“ erklärte. 1937 wurden über tausend seiner Werke aus deutschen Museen entfernt – eine ungeheure Zahl, die auch beweist, wie erfolgreich Nolde bis dahin war. Obwohl er sich doch immer unterschätzt fühlte. In der Propagandaschau „Entartete Kunst“ wurden viele seiner Werke gezeigt, seine rauschhafte Kreuzigungsszene wurde als „gemalter Hexenspuk“ in den Fokus der Verfemungen gestellt. Dabei scheinen die Figuren gerade ob ihrer grotesken Übersteigerung eindringlich zu leiden.

In Siegfried Lenz' Roman "Die Deutschstunde" trägt der Maler Nansen unverkennbar Noldes Züge.

Das Unheimliche in grellen Farben. Noldes „Trophäen der Wilden“, 1914.
Das Unheimliche in grellen Farben. Noldes „Trophäen der Wilden“, 1914.

© Nolde Stiftung Seebüll

Für Nolde lief es dennoch gut. Seine treuen Sammler kauften so lange weiter, bis ihn die Reichskunstkammer 1940 ausschloss – und damit zugleich vom offiziellen Kunstmarkt. Der Maler zog sich zurück, schöpfte über Jahre aus der reinen Fantasie und ließ seine Serie der „Ungemalten Bilder“, kleine Aquarelle, auf über tausend Blätter anwachsen. Die Landschaften, Menschen und Tiere dieser Phase sind ausschnitthaft in der Frankfurter Ausstellung zu sehen, ebenso spätere Übertragungen in größere Formate.

Mit dieser Zäsur in seiner Biografie fühlte Nolde sich nach 1945 berechtigt, staatliche Entschädigung zu fordern, als ein von den Nazis verfolgter Maler. Einsicht in sein widersprüchliches Verhalten zeigte er im Gegenzug nicht, und auch die Stiftung Seebüll als Nachlassverwalter war lange Zeit mehr mit der Verdrängung von Noldes Sympathie für die Nationalsozialisten beschäftigt, als sich dem Künstler in allen Facetten zu widmen.

Da wundert es wenig, wenn nun noch eine Geschichte hochkommt und für Debattenstoff sorgt. Es geht um die „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz. Im Roman von 1968 lässt der Schriftsteller den Maler Max Ludwig Nansen auftreten, dessen Bilder die Nazis beschlagnahmen und vernichten wollen. Als Handlanger in der Provinz tritt Polizist Jepsen an, der den alten Freund gewissenlos mit einem Malverbot belegt: „Ich tue bloß meine Pflicht.“ Um diesen Kernsatz gruppiert Lenz seine Figuren, den Pflichterfüller, das Opfer. Nansen, das ist Nolde, der 1867 in dem Dorf Nolde als Hans Emil Hansen zur Welt kam. Sein literarisches Alter Ego: eine aufrechte Figur, die Nolde nun einmal nicht war. Der Maler war ein schwieriger Mann, der die Stadt hasste, aber von ihrem Kunstbetrieb anerkannt werden wollte. Der gegen Kollegen wie Max Pechstein hetzte und dafür von Seinesgleichen gemieden wurde. Der in Hitler einen Helden sah, bis er von ihm verstoßen wurde. Und wenn er reihenweise Sammler und Galeristen vor den Kopf stieß, glättete seine Frau Ada diplomatisch die Wogen.

Verändert dieses Wissen den Blick aufs Werk? Es ist die alte Frage, wie weit sich die Kunst vom Biografischen abkoppeln lässt. Politisch konnotiert sind Noldes Bilder jedenfalls nicht. Dafür spiegeln sich die Brüche seines Lebens auch in der Genese der Arbeiten. Nolde erscheint als Getriebener, den es bis an die Grenze zum Ungegenständlichen zieht. Auf der anderen Seite malt er die Natur so unversehrt und atmosphärisch, dass alles Störende bis hin zum Telegrafenmast ausgespart bleibt. Lieber sieht Nolde im Unterholz Geister, betätigt sich als Märchenmacher, der seine Sujets immer wieder anders in den Blick nimmt und keine Angst vor dem vermeintlich Hässlichen hat.

Das alles offenbart die Ausstellung im Frankfurter Städel, also weit mehr als jene holzschnittartige Gegenüberstellung von Gut und Böse, die man der „Deutschstunde“ gern unterstellt. Auch Siegried Lenz hat seinen Roman mehrdimensional angelegt.

Städel Museum Frankfurt/M., Schaumainkai 63, bis 15. 6. Di/Mi/Sa/So 10 - 18 Uhr, Do/Fr 10 - 21 Uhr. Der Katalog kostet 39, 90 € ( 300 S., 335 Abb., Prestel Verlag)

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