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Ilko Gladshtein und  Nadia Parfan in Berlin.

© Susanne Kippenberger

Ein ukrainisches Paar auf der Berlinale: Mit dem Kino dem Krieg trotzen

Filmemacherin Nadia Parfan betreibt eine Online-Videoplattform, Ilko Gladshtein ein Kellerkino in Kiew. Jetzt ist das Ehepaar auf dem Festival zu Gast.

Ilko Gladshtein muss noch eben mit seiner Mutter telefonieren. Seine Mitarbeiter haben die Schlüssel für den Vorführraum vergessen, jetzt navigiert der Programmkinobetreiber von Berlin aus die Mama in seiner Kiewer Wohnung zum Ersatzschlüsselbund. Derweil besorgt seine Frau Nadia Parfan im Bahnhofscafé Kaffee und belegte Brötchen.

Am Vortag hatte sie den ganzen Tag bis Mitternacht keine Zeit zum Essen. So viele Treffen, ein Terminmarathon, der Jahrestag des Kriegsbeginns, die Berlinale, wo Nadia Parfan ihren Kurzfilm „It’s A Date“ zeigt - eine atemlose Fahrt durch das menschenleere Kiew am frühen Morgen, an dessen Ende sich zwei Frauen wortlos in den Arm fallen.

Szene aus dem Kurzfilm „It’s a Date“ von Nadia Parfan.
Szene aus dem Kurzfilm „It’s a Date“ von Nadia Parfan.

© Phalanstery Films, Radar Films

It’s a date: Auch wenn sie eigentlich gar keine Zeit haben, nehmen sie sie sich, für ein Treffen im Berliner Hauptbahnhof, wo sie eine Dreiviertelstunde später nach Leipzig fahren werden, um aus Anlass des Jahrestags im amerikanischen Konsulat zwei kurze Filme zu zeigen und gemeinsam zu diskutieren. „I Did Not Want to Make a War Film“ heißt der eine Titel, Parfans Antwort auf den Auftrag des „New Yorkers“, den Krieg festzuhalten. Eine persönliche Bestandsaufnahme.

Wie jeden Winter war das Paar am 24. Februar 2022 im ägyptischen Dahab, um der Dunkelheit und Kälte ihrer Heimat zu entkommen und aufzutanken. An jenem Morgen, erzählt Ilko Gladshtein, haben sie bis elf geschlafen, „wir wollten nicht aufwachen“. Aber der Krieg ließ sich nicht aufhalten, Parfans Mutter rief an, schickte Videoaufnahmen von den ersten Raketenangriffen auf ihre Stadt.

Aus Ägypten zurück nach Kiew

Sie waren in Sicherheit, aber Dahab fühlte sich wie ein Gefängnis an, erzählt die quirlige Filmemacherin, die Kulturwissenschaften und soziale Anthropologie studiert hat, ein Jahr auch in den USA. Sie hielt es nicht lange aus. Ihr kurzer Filmessay, der auf Youtube zu sehen ist, zeigt, wie sie gegen den Strom der Flüchtenden nach Kiew zurückfährt, dort erst einmal in den Straßen singt und tanzt, bis bald die Tränen kommen. Auch ihr Mann kehrt irgendwann zurück.

Jetzt machen sie das, was sie können, was ihre ganze Leidenschaft ist, was sie schon vor dem Angriff getan haben. Das was, wie Parfan sagt, zwar die russischen Bomben, Folter und Vergewaltigung nicht stoppen kann, aber ein Stück Distanz schafft und ein Ventil für den Schmerz ist: Filme drehen, produzieren, zeigen.

Filme sehen, 12 Meter unter der Erde

Sie - und die Kiewer:innen - haben Glück: Schon 2019 hatte Gladshtein ein Kellerkino gegründet. Zwölf Meter unter der Erde können die Zuschauer:innen die Filme von Anfang bis Ende gucken, ohne mittendrin bei Alarm weglaufen zu müssen, können hinterher miteinander über das Gesehene diskutieren. Falls der Strom ausfällt, gibt es einen Generator.

Das Kino 42 ist ein Schutzraum, für Körper und Geist. Das Paar, 36 und 37 Jahre alt, selbst ständig in Bewegung, verschafft anderen eine Atempause. Dort unten gibt’s keinen Handyempfang, kein Popcorngeknatter. Völlig eintauchen soll das junge Publikum in die Kunst und Poesie, die dem Paar so wichtig sind. Die 42 roten Kinosessel stammen aus einem alten Lichtspielhaus, das schließen musste und treffenderweise „Ukraina“ hieß. Mit den rohen Backsteinwänden im Hintergrund könnte es auch in New York sein, dem alten, New York der 80er Jahre. „Es ist sehr schön“, sagt Nadia Parfan. „Wenn Sie nach Kiew kommen, müssen Sie es sich anschauen.“

Alle Filme laufen im Original

Die Filmemacherin schwärmt von dem Vibe, den ihre Heimatstadt immer noch hat, während ihr Mann, der auch ihr Produzent ist, sich erneut mit dem Handy zurückzieht. Sein Team („alle machen alles“) muss noch die Untertitel für Buñuels „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ fertigstellen, der in den nächsten Tagen im Keller von Kiew gezeigt wird. Der Verleih hatte ihnen die synchronisierte Fassung geschickt, aber in dem Programmkino werden Filme - Klassiker wie Neuerscheinungen - grundsätzlich nur im Original gezeigt. Wenn sie nicht eh auf Ukrainisch sind.

Nadia ist ebenfalls seit 2019 Kinobetreiberin: online. Takflix.com heißt ihre Streamingplattform für ukrainische Filme jenseits des Mainstreams, viele davon mit englischen, einige mit deutschen Untertiteln. „Wir wollen gesehen und gehört werden.“ Es ist ihre Waffe gegen russische Propaganda. Die Filme sollen die eigene Kultur feiern, von der Putin sagt, dass es sie gar nicht gibt.

Hommage an Kiew

Ihren Berlinalebeitrag „It’s A Date“ beschreibt Parfan als Hommage an Kiew, „die Schönheit, den Charme, das Charisma der Stadt“. Der Krieg ist anwesend, in den Spuren, die er hinterlassen hat, in der Uniform der Sanitäterin, aber steht nicht im Vordergrund. Auf die Idee zu der rasanten Kamerafahrt, eine einzige Einstellung, war Nadia Parfan als Beifahrerin auf Gladshteins Motorrad gekommen. Die Stadt plötzlich so rasant und hautnah, ohne die trennenden Wände eines Autos oder Busses zu spüren, war für sie ein einschneidendes Erlebnis.

Jetzt aber los, die beiden müssen zum Zug, in der Zwischenzeit ist die Mitarbeiterin der amerikanischen Botschaft gekommen, die das Programm in Leipzig organisiert und einen Teil der Reisekosten finanziert. Das Paar ist am Samstag mit dem Auto nach Berlin gekommen: 36 Stunden Fahrt. Am Sonntag geht’s zurück. Am Vorabend werden sie noch das Konzert der Band Kurs Valüt, deren Name auf Gladshteins T-Shirt steht, in Berlins Alter Münze besuchen. Auf Nadias ebenfalls schwarzem T-Shirt ist der Kopf des bekannten Menschenrechtsaktivisten Maksym Butkevych zu sehen, ein Pazifist, der sich gleich am Anfang zum Einsatz gemeldet hatte und jetzt in russischer Kriegsgefangenschaft ist.

Aber auch für Verzweiflung haben sie keine Zeit. Das Paar rechnet jeden Tag damit, dass Gladshtein, der eigentlich Mediziner ist, eingezogen wird. Der große, schlaksige Mann zuckt mit den Achseln. Bis dahin machen sie weiter Kino.

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