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Der Schriftsteller Wolf Haas

© Hanser Verlag/Peter Hassiepen

„Eigentum“, der neue Roman von Wolf Haas: Vom Leben schreiben, geht das?

Bildnis eines eigensinnigen, schwierigen Menschen: Der österreichische Erfolgsschriftsteller hat mit „Eigentum“ seiner Mutter ein kleines Denkmal gesetzt.

Die fünfundneunzigjährige Mutter ist nur noch ein „dünnes Vogerl“ im Rollstuhl. Zudem dement. Nur noch drei Tage hat sie zu leben. Und einen dringlichen Wunsch an den Sohn Wolf Haas, der bei ihr im Altenheimzimmer ist. Er möge doch bitte mit dem Handy dort anrufen, wo ihre Eltern jetzt seien, und ausrichten, dass es ihr gut gehe. Und dass sie dem Vater einen Brennnesseltee gegen die ewigen Erkältungen mitbringen werde.

Haas ist konsterniert. Weniger, weil er die Durchwahl ins Jenseits nicht kennt, sondern weil die Mutter ihm lebenslang eingetrichtert hat, wie schlecht es ihr gehe. Was soll er nun mit der überraschenden Neuigkeit anfangen? Er macht sich an eine Revision des Mutterlebens, schreibt im Wettlauf mit dem Tod.

So wird es zumindest fingiert: Zwei Tage vor ihrem Tod beginnt Wolf Haas diese Aufzeichnungen; rechtzeitig zur Beerdigung will er fertig sein. Dann sollen auch die Erinnerungen der Mutter, die sein Hirn zu kapern drohen, im Roman verbuddelt sein. Die Eile lasse ästhetische Rücksichten nicht zu: „Keine Zeit für Formulierungen.“

Schräger Sound

Soll man dies glauben, zumal Marianne Haas bereits vor fünf Jahren verstorben ist? Nein, es geht bei dieser Konstruktion darum, dem Mutter-Buch die Form zu geben. Also doch wieder um eine Stil-Frage. Der Stil ist ja seit je das Besondere an den Werken dieses Schriftstellers.

Man liest seine neun Krimis um den knittrigen Ermittler Simon Brenner nicht, um zu erfahren, wer der Mörder ist, sondern um den schrägen Sound mit den rituellen Formeln wie „Jetzt pass auf“ oder „Aber interessant!“ zu genießen. Und um dem Erzähler beim gewitzten Räsonieren über das Menschenleben im Allgemeinen und Besonderen zu lauschen.

Dass literarische Sprache musikalische Qualitäten hat, die wichtiger als die bloße Mitteilung sind, ist auch in „Eigentum“ entscheidend. Mehr noch, der kurze Roman lässt sich als Haas-Poetik lesen. Als Kind war Haas dem mütterlichen Erzählstrom ausgeliefert wie einem zwanghaften Ritual – mit dem Nebeneffekt, dass sein Formsinn geschult wurde.

Die Mutter redete „in einem sich aufschaukelnden Rhythmus, in einem sich langsam steigernden Tempo, in einer hochkochenden Intonation, in sich um den Hals schlingenden Wiederholungen. So lernte ich schon als kleiner Dreck, dass die Sprache eigentlich Musik ist […], die ewige Wiederholung ein Remedium, um in unzähligen Waschgängen den schmerzhaften Sinn herauszuwaschen.“

Wirkung machte die mütterliche Suada insbesondere durch die exzessive Anwendung der rhetorischen Trias: „Den ganzen Tag nur waschen, putzen, bügeln. Nichts wie kochen, stricken, nähen den ganzen Tag. Das ganze Leben nichts wie Arbeit, Arbeit, Arbeit.“ Und Sorgen, Sorgen, Sorgen.

Das Kindheitselend der Mutter

Die Reden der Mutter kreisen um das Kindheitselend, die Herkunft aus den kleinen bäuerlichen Verhältnissen von Maria Alm und um die totale Geldentwertung in ihrem Geburtsjahr 1923. Beim Versuch, die Landwirtschaft ein wenig zu vergrößern, passierte das Unausdenkliche: Zwischen dem Verkauf des alten und dem Kauf des neuen Grunds ging alles verloren.

Dann ist die Inflation gekommen und das Geld war hin. Ich war vier oder fünf Jahre alt, als ich diesen Satz zum ersten Mal hörte.

Wolf Haas

Schon dem Kind Wolf Haas wurde dieses Trauma eingeprägt: „Dann ist die Inflation gekommen und das Geld war hin. Ich war vier oder fünf Jahre alt, als ich diesen Satz zum ersten Mal hörte.“ Die Großmutter verlor durch den Verlust des Hofes ihren Status als Bauerntochter. Mit einem Wagner ohne Werkstatt, der ambulant kaputte Kutschenräder reparierte, bekam sie zehn Kinder, das älteste die Mutter von Wolf Haas.

Sparen, sparen, sparen

Das verlorene Eigentum wurde zu ihrem Lebensthema. Sie wollte es durch „Sparen, Sparen, Sparen“ wieder zur Grundbucheintragung bringen. Aber immer, wenn sie das Geld zusammenhatte, waren die Bodenpreise schon wieder kräftig gestiegen; es reichte auch nicht zur Eigentumswohnung.

Regelmäßig hielt die Mutter dem Kind ihre „Vorlesung“ zur „Entwicklung der Quadratmeterpreise“: „Ich hörte ihr immer brav zu. Die drei Phasen des Bausparvertrags (Sparphase, Zuteilungsphase, Darlehensphase) hielt ich für einen Kinderreim. Als ich in die Volksschule kam, war ich bereits Professor für Inflationstheorie.“

Man sieht: Auch in diesem Buch der Trauer und des Abschieds verzichtet Wolf Haas nicht auf Komik. Der Betroffenheitston, in dem viele Autoren über Krankheit und Sterben der Eltern schreiben, ist seine Sache nicht.

Anrührend ist das Buch aber trotzdem, vor allem, weil es ein intensives Gespräch zweier Stimmen ist. Hier der räsonierende und hadernde Ich-Erzähler Haas, dort – im regelmäßigen Wechsel – die O-Töne der Mutter, ihre gesammelten Stoßseufzer, ihre Jeremiaden über die Vergeblichkeit und die endlose Schufterei: als Kind schon die Kühe gehütet und die Strümpfe der Geschwister geflickt, später der Hotel-Servierkurs, Arbeitsdienst, Kriegshilfsdienst im Krankenhaus, Flugwachendienst in den Bombennächten, nach den Wirren des Kriegsendes dann die Arbeit bei der Briefzensur der amerikanischen Besatzer, schließlich die Jahre als Serviererin in Schweizer Grandhotels.

Worte, wie wie man sie nur bei Haas liest

Und immer sparen, sparen, sparen. In den Hotels lernte die Mutter nebenbei Sprachen, so dass sie noch auf ihre alten Tage im Dorf aufgeregt herbeigerufen wurde, wenn Bedarf an Englisch- oder Französischkenntnissen war. Beliebt war sie dennoch nicht. Sie war eine kantige und misstrauische Frau, „konnte nicht mit den Leuten“, galt als Querulantin und hat fast jeden im Dorf mindestens einmal grob beleidigt. 

Haas liefert also nicht ein Porträt seiner Mutter als fernsehfilmgerechtes Stereotyp einer „starken Frau“ aus der Kriegsgeneration, sondern das authentische Bildnis eines eigensinnigen, schwierigen Menschen. Vom früh verstorbenen Vater ist übrigens nur beiläufig die Rede. Er hat sich vom Ehrgeiz seiner Frau nicht anstecken lassen und widmete sich lieber seinen Leidenschaften: „Nichts wie trinken rauchen spielen.

Zum Reiz der Lektüre gehören Worte, wie man sie nur bei Wolf Haas liest, etwa wenn er die Friedhofsbesucher sortiert in Kategorien wie „Motorradwitwen“ und „Krebsgeschwister“. Er kennt sich da aus, ging doch schon das Fenster seines Kinderzimmers in Maria Alm auf den Friedhof hinaus, so dass er mit dreizehn bereits „Experte für Begräbnisse und Friedhofsaktivitäten“ war. Auf dem Friedhof bekommt die Mutter endlich auch ihre 1,7 Quadratmeter Eigentum, ein Grab nach alter Art. Platzsparende Feuerbestattung kommt nicht in Frage.

Zu den vielen gewitzten Reflexionen dieses Romans gehört ganz nebenbei auch die Beschäftigung mit einer Frage, die jeden Schriftsteller nervt: Ob man denn vom Schreiben leben könne. Wolf Haas dreht den Spieß um: „Kann man vom Leben schreiben?“ Mit „Eigentum“ hat er wieder eine eindrucksvolle Antwort gegeben.

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