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Kultur: Eifel mit Zeilenbruch

Norbert Scheuers „Neue Heimatgedichte“.

Bemerkenswert, dass die moderne Dichtung neben Zentren und Metropolen immer auch Landschaft und Provinz, zu kultivieren suchte. Johannes Bobrowski etwa lebte nicht am Savignyplatz, sondern im beschaulichen Friedrichshagen, Pierre Reverdy, der Coco-Chanel-Freund, kehrte Paris den Rücken zu, um in der Abtei Solesmes zu schreiben, und William Carlos Williams zog das ländliche Paterson dem Kraftzentrum New York vor.

Vor allem Williams ist das poetische Vorbild, zu dem sich Norbert Scheuer bekennt: Wie Williams hat auch er einen handfesten Brotberuf, nämlich Systemprogrammierer. Die Eifel ist Scheuers Heimat und literarische Domäne auch in der Prosa. Dem vulkanischen Landstrich an der Grenze zu Belgien, Luxemburg und Frankreich gelten seine Gedichte in all ihrer fotografischen Konkretheit und leisen Melancholie. Sie handeln von Augenblicken, „in denen sich Mauersegler im Flug paaren / Messingstaub vom Räderwerk der Kirchenuhr / wie Gold in einer Streichholzschachtel gesammelt“, oder solchen, „ vergessen / wie Regen auf Asbestdächern".

In William Carlos Williams, aber auch in Nicolas Born, Rolf Dieter Brinkmann oder den Kalligrammen chinesischer Poesie nachempfundenen Zeilenbrüchen, Einrückungen und freirhythmischen Blöcken von elliptischer Dichte entstehen Skizzen, Geschichtenfragmente, hingetuschte Porträts von Menschen, Begegnungen, Erinnerungen, vor dem Hintergrund der schon von Kelten und Römern besiedelten Eifel-Landschaft.

Wer sie noch nie gesehen hat, bekommt sie in diesen Gedichten unaufdringlich zu spüren. Mag auch mancher allzu ungebrochen und regellos alternierende Zeilenfall den Prosaautor verraten, so sind Scheuers „Neue Heimatgedichte“ doch ein grundsympathisches, unverklärtes Bekenntnis zu einer einer deutschen Provinz, die zwischen den Metropolen Köln, Brüssel und Paris noch immer ihres Dornröschenschlafs harrt: „deine Fotografie auf dem Fernseher / als du noch jung warst / ein Jahr bevor wir uns kannten // die Kinder / als sie noch klein waren / eine braune Apfelgrütze / unter der Couch // Mauersegler die im Flug schlafen / keine Erinnerung ist so deutlich / wie bunte Perlen / in der Haarsträhne / einer jungen Frau“. Jan Röhnert

Norbert Scheuer: Bis ich dies

alles liebte.

Neue Heimatgedichte. Verlag C. H. Beck, München 2011.

101 Seiten, 14,95 €.

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