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Jordan Bryon (links) und Farzad Fetrat (rechts) im Gespräch mit Taliban-Mitgliedern.

© Neil Brandvold

Dokumentarfilm „Transition“: Testosteronspritzen in Kabul

Jordan Bryon ist in australischer trans Mann in Afghanistan. Filmemacher Farzad Fetrat dokumentiert in „Transition“ seinen Weg und ist damit jetzt beim Human Rights Film Festival zu Gast.

Vorsichtig schaut er hinter die Vorhänge, vergewissert sich, dass niemand in Sicht ist. Dann zieht Jordan Bryon hektisch das Shirt über den Kopf. Er muss sich beeilen mit dem Umziehen, solange die Taliban nicht im Haus sind. Von draußen hört man Gewehrschüsse und Johlen. Einige Männer machen Schießübungen. Bryon trägt jetzt nur noch einen Binder. Ein Oberteil, das seine Brust flacher wirken lässt. Fände jemand in dem afghanischen Dorf heraus, dass Bryon trans ist, wäre das lebensgefährlich. Vor der Tür steht deshalb sein enger Freund Teddy und hält Wache.

„Das war ein gruseliger und stressiger Moment“, erinnert sich Teddy an die Szene aus dem Dokumentarfilm „Transition“. Eigentlich heißt der afghanische Filmemacher Farzad Fetrat. Für die „New York Times“ drehte er gemeinsam mit dem australischen Regisseur Jordan Bryon nach der Machtergreifung der Taliban im Jahr 2021 eine Dokumentation über den Alltag einer Taliban-Einheit in der Nähe von Kabul. Für Bryon stellte diese ohnehin schwere Aufgabe eine besondere Herausforderung dar, denn er befand sich in der Transition.

In einer Art Videotagebuch hielten Bryon, Fetrat und die Videofotografin Kiana Hayeri diesen Prozess fest: von den ersten Testosteronspritzen in Kabul bis zur Mastektomie im Iran. Der daraus entstandene Film „Transition“ wird beim Human Rights Film Festival gezeigt, das am Mittwoch in Berlin startet.

„Wir haben mehrere Dokumentationen über Afghanistan gedreht. ,Transition’ ist das ‚Behind the scenes‘ dieser Projekte“, erzählt Fetrat, der den Großteil seines Lebens in Kabul verbracht hat, am Telefon. Bereits vor der Machtergreifung dachten er und Bryon über eine Zusammenarbeit nach. Damals waren sie Nachbarn und spielten oft Basketball.

Zustande kam ein gemeinsames Projekt erst 2021, als ein Großteil von Fetrats Freund*innen und Familienmitgliedern das Land verlassen mussten. „Das war eine sehr schwere Zeit. Ich war depressiv und hatte viele schlimme Momente“, erzählt der 26-Jährige. „Wenn Jordan nicht gewesen wäre, dann hätte ich nicht überlebt. Er und unser Projekt haben mich gerettet.“

Bryon lebte zu diesem Zeitpunkt bereits seit fünf Jahren in Afghanistan. Als er den Australier kennenlernte, habe er nicht gewusst, dass er trans sei, sagt Fetrat. „Das hat sich erst geändert, als wir zusammengearbeitet haben. Für mich war Jordan mehr als ein Kollege. Ich fand ihn stark und inspirierend, deshalb wollte ich einen Film über ihn drehen.“

Das Ergebnis ist eine vielschichtige Dokumentation, die sich mit persönlichen, teils schmerzhaften Eindrücken der Protagonist*innen und deren inneren Konflikten auseinandersetzt. So ist Bryon zu sehen, wie er mit 39 Jahren stolz seinen ersten Bartflaum begutachtet und zum ersten Mal zum Barber geht.

Gleichzeitig schwingt permanent die Angst mit, aufzufliegen. Etwa, wenn Bryon am Flughafen seinen Pass mit dem weiblichen Geschlechtseintrag vorzeigen muss oder wenn die Taliban seine Datenspeicher durchsuchen. „Einmal haben die Taliban mich gefragt, ob Jordan eine Frau oder ein Mann ist“, erzählt Fetrat. „Ich habe ihnen versichert, dass er männlich ist. Sie haben mir zum Glück geglaubt. Ich will mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn sie herausgefunden hätten, dass er trans ist.“

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In seiner Heimat habe es bereits vor der Machtübernahme der Taliban kaum Akzeptanz für trans Personen gegeben, sagt Fetrat und führt dies vor allem auf mangelnde Sichtbarkeit und Vorurteile zurück. „Die einzigen, die schwule, lesbische und trans Personen akzeptieren, sind gebildete Menschen.“ So wie der Arzt, der Jordan die Testosteronspritzen gegeben habe. Im Iran hingegen sei es niedrigschwelliger möglich, eine Mastektomie vornehmen zu lassen. Daher entschied Bryon, sich dort operieren zu lassen.

In einigen Filmszenen sitzen Bryon und Fetrat mit den Taliban beim Essen. Sie scherzen und lassen sich Gewehre zeigen. Bryon fragt sich später: „Ist es Verrat, dass ich ihnen mein Transsein verheimliche und darüber einen Film mache?“

Für Fetrat waren diese Momente schwer und beängstigend. „Die Taliban töten täglich Menschen, auch einen 13-jährigen Jungen in meiner Familie. Sie haben mein Land zerstört und meine Zukunft.“ Genau darin besteht zugleich der Grund, dass er Kameramann und Mitwirkender in „Transition“ sein wollte. „Ich möchte der Welt ihre schlechten Seiten zeigen. Es ist meine Art der Rache für das, was die Taliban meinem Land und meinem Volk angetan haben.“

Filmemacher Farzad Fetrat lebt seit knapp einem Jahr in Berlin.
Filmemacher Farzad Fetrat lebt seit knapp einem Jahr in Berlin.

© Neil Brandvold

Er selbst stand vor der Frage, ob er bleiben oder seine Heimat verlassen sollte. Nachdem er wiederholt verhaftet worden war, entscheidet Fetrat sich schließlich, zu gehen. „Ich war schwer traumatisiert. Aber ich hatte auch Angst zu gehen: Wo sollte ich hin? Wie sollte ich eine neue Sprache lernen und bei null anfangen?“

Im vergangenen Oktober, nach den Dreharbeiten, zog Fetrat nach Berlin, wo Bekannte von ihm leben. Er begann, Deutschunterricht zu nehmen und in einem Wohnheim für Kinder zu arbeiten. „Ich suche immer noch einen Weg, in meinem Arbeitsfeld zu arbeiten, aber es ist sehr schwer."

Von Mitgliedern der Taliban-Einheit haben er und Bryon, der das Land ebenfalls verlassen hat, bislang keine Reaktionen auf den Film erhalten. „Ich habe aber auch keinen Kontakt zu ihnen“, sagt Fetrat. Umso bestärkender sei das Filmfestival in Zürich in der vergangenen Woche gewesen, bei der mehrere afghanische Zuschauende ihn beglückwünscht und umarmt hätten. „Das hat mich angespornt.“ Und ein bisschen habe es sich auch wie eine „Wiedergeburt“ angefühlt.

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