zum Hauptinhalt
Im Visier. Robert McDaniel gehört angeblich zu den 400 gefährlichsten Männern Chicagos.

© Rise and Shine Cinema

Dokumentarfilm „Pre-Crime“: Verbrecher auf Verdacht

Datenkrieg gegen das Verbrechen: Die Doku „Pre-Crime“ von Monika Hielscher und Matthias Heeder über die Gefahren digitaler Polizeitechniken.

Eines Tages klopfen eine Polizeibeamtin und ein Sozialarbeiter an die Tür von Robert McDaniel. Sie wollen mit ihm reden. Der Schwarze hat ein bisschen Marihuana geraucht und sich dem Würfelspiel hingegeben, das hat ihn auf eine ominöse „Strategic Subject List“ gebracht. Die Liste erklärt ihn zu einem der 400 gefährlichsten Männer Chicagos. Der Besuch legt ihm deshalb eindringlich nahe, seinen Lebensstil zu ändern, weil es sonst „wahrscheinlich“ sei, dass er entweder ein Verbrechen begehen oder selbst Opfer werden würde.

Was wie eine fürsorgliche Geste wirkt, darf McDaniel durchaus als Warnung verstehen: Wir haben dich auf dem Kieker. Wie es der Gelegenheitskiffer, der weder mit Gewalt noch mit dem Gesetz in Berührung gekommen war, überhaupt in den Fokus der Behörden geschafft hat, ist eines der Rätsel, das Monika Hielscher und Matthias Heeder mit ihrer Dokumentation „Pre-Crime“ aufklären wollen. Ihre aufwendig inszenierte Recherche geht den verschiedenen Bemühungen der Polizeibehörden in Chicago, London, Irland und München nach, Verbrechen zu erkennen, bevor sie geschehen.

Der Algorithmus stellt Zusammenhänge „einfach durch Nähe“ her

Schon 2002 machte Steven Spielberg aus der Idee einer präventiven Gefahrenabwehr den dystopischen Film „Minority Report“. Precrime hieß darin das Computersystem, das mögliche Verbrechen ausmachte, lange bevor selbst die Täter zur Tat zu schreiten. Ein schrecklicher Triumph der Statistik über die Individualität. Dass eine solche Zukunftsvision heute viel weniger futuristisch ist als angenommen, wollen Hielscher und Heeder unter anderem mit Einzelschicksalen wie dem von Robert McDaniel belegen.

Der ist in einem sozial prekären Viertel Chicagos unter Jugendlichen aufgewachsen, die immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. Auf die Heatlist geriet McDaniel nur, weil er solche Leute kannte. Was der Logik des Algorithmus entspricht, Zusammenhänge „einfach durch Nähe“ herzustellen, wie ein Mathematiker sagt. So läuft der Rat der Polizei auf nichts anderes hinaus, als sich dem eigenen biografischen Umfeld zu entfremden. Die können doch nicht darüber bestimmen, mit wem ich Umgang habe, sagt McDaniel erschüttert.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

In solchen Momenten beschwört „Pre- Crime“ ein bisschen zu plump das Schreckensbild des digitalen Überwachungsstaats herauf. Auch hätte es ganz sicher nicht der Casper-David-Friedrich-Pose des Regisseurs bedurft, sich als einsamer Mahner vor anbrandender Ozeankulisse in Szene zu setzen. Trotzdem liefert „Pre-Crime“ interessante Einblicke in eine Entwicklung, bei der Verbrechen durch datengesteuerte Verdachtscluster quasi überholt werden sollen. Es läuft vor allem auf soziale Kontrolle hinaus, wenn Bürgern ein imaginäres Punktekonto gegeben (Scoring) und die Wahrscheinlichkeit einer Straftat nach dem Muster der Seismografie erhoben wird.

Die Unschärfen der Analysen sind groß

Von „Big Data“ zu sprechen, sagt ein IT-Experte, gehe an der Realität der oft stümperhaften Link-Analysen vorbei, was die Angelegenheit nicht weniger bedrohlich macht. Im Gegenteil. Längst ist es in den USA zwar üblich, Stadtgebiete und einzelne Adressen auf ihre potenzielle Gefährlichkeit hin einzuschätzen und dabei auf Vorstrafenregister, Kreditwürdigkeit, Mobilfunk-Verbindungen und Social-Media-Accounts zurückzugreifen. Doch die Unschärfen sind groß. Dem methodischen Ansatz liegt der Irrtum zugrunde, dass Software, die in den sozialen Netzwerken zur Erstellung von Nutzerprofilen erfolgreich gewesen ist, auch in der Verbrechensbekämpfung effektiv sein müsste. Private Daten-Konzerne brauchen nicht exakt zu sein. Eine Werbung, die wegen eines fehlerhaften „Profiling“ nicht angeklickt wird, bleibt einfach unbeachtet. Doch zu welchen fatalen Schlüssen gelangt ein Polizist, der einem zu 73 Prozent möglichen Gewalttäter an dessen Haustür gegenübersteht?

In 6 Berliner Kinos, alle OmU

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false