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Goebbels-Roman "Michael": Die Prosa eines Nazis

Seit Tagen wird Josef Goebbels’ Roman "Michael" in russischen Buchhandlungen verkauft - und das beschäftigt nun auch Russlands Justiz.

NS-Propagandaminister Josef Goebbels hat ihn 1923 verfasst, den Roman „Michael“ mit dem Untertitel „Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern“. Seit Tagen wird das halb autobiografische Buch über das Schicksal eines Frontsoldaten in der Weimarer Republik auf Russisch in Moskauer und St. Petersburger Buchhandlungen verkauft. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft in der Newa-Stadt.

Ausgelöst hatte den Skandal ein Artikel in der „Metro“, einer Gratiszeitung, die allein in der russischen Hauptstadt eine Auflage von 450 000 Exemplaren erreicht. „Goebbels in Moskau“ titelte das Blatt seine Reportage über die renommierte Buchhandlung „Moskwa“ an der Flaniermeile Neuer Arbat. „Michael“ geht dort für 360 Rubel – knapp zehn Euro – über den Ladentisch und wird auch vom OnlineVersand Ozon.ru beworben. Herausgebracht hat das Buch der Verlag Algoritm, der schon öfter für Skandale sorgte. Etwa mit einem Buch über Pussy Riot, das von der zu Haftstrafen verurteilten feministischen Punkgruppe nicht autorisiert war. Oder mit Gedichten von Jewgenija Wassiljewa, ehemals Chefin der Immobilientochter des Verteidigungsministeriums, gegen die wegen Betrugs in Millionenhöhe ermittelt wird.

Auf die Entrüstung wegen des Goebbels-Romans reagierte der Verlag gelassen. Das Werk, so Direktor Sergei Nikolajew, verfolge keine politischen Ziele. Goebbels wollte ein berühmter Schriftsteller werden, er sei auch deshalb in die Politik gegangen, weil das misslang. Und „Michael“ sei 1987 bereits in Großbritannien erschienen. Für Russland bestehe kein Grund, sich aus der weltweiten Diskussion um die „düstere Persönlichkeit eines großen Verbrechers“ herauszuhalten.

Die Reihe, in der das Buch erschien, heißt allerdings nicht „Prosa großer Verbrecher“, sondern „Prosa der Großen“. Die Lektorin Olga Greig hält den Roman denn auch für ein Kunstwerk. Russische Schriftsteller halten es dagegen eher mit dem deutschen Literaturkritiker Rainer Schmitz, der „Michael“ ein „irrationales, von völkischem Nazi-Pathos durchdrungenes Machwerk“ nennt. Eingestampft werden kann die Auflage indes nur, wenn Gutachter den Tatbestand des Extremismus erfüllt sehen.

Ausgerechnet Russland, das im Zweiten Weltkrieg den mit Abstand größten Blutzoll aller Nationen entrichtete, geht oft erstaunlich wohlwollend mit NS-Kulturgrößen um. So würdigte das Petersburger Dokumentarfilmfestival Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl 2001 mit einer Retrospektive und einem Preis. Goebbels’ Tagebücher stehen in Russland jedoch auf dem Index, ebenso wie „Mein Kampf“. Wobei Hitlers Pamphlet lange von fliegenden Händlern vor dem Lenin-Museum, dem heutigen, nur einen Steinwurf vom Kreml entfernten Historischen Museum, in Bauchläden feilgeboten wurde – neben Militaria und Stalin-Devotionalien. Elke Windisch

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