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Literatur: Die Poesie gesellig machen – und die Gesellschaft poetisch

Von Herder zu Heidegger: Rüdiger Safranski unternimmt einen ideenhistorischen Spaziergang durch die Romantik.

Mit keiner literarischen Epoche verbinden sich so viele Legenden und Halbwahrheiten wie mit der Romantik. Ein bis heute populäres Klischee verkürzt die romantischen Künstler zu leichtsinnigen Fantasten: Diese ziehen als Wanderburschen, Taugenichtse und Träumer durch die Welt, lauschen sehnsuchtsvoll einem Posthorn, sitzen verzaubert um einen deutschen Lindenbaum herum und hören beglückt die Brunnen rauschen.

Solche Vulgarisierungen des romantischen Geistes hatten vor allem nach 1945 eine enorme Konjunktur. Damals wurde es Mode, die Barbarisierung der deutschen Politik im Nationalsozialismus aus den irrationalistischen Entgrenzungen der „stählernen Romantik“ (Goebbels) abzuleiten. Der gröbste Angriff kam von dem marxistisch überinstrumentierten Georg Lukács, der 1954 in seinem Buch „Die Zerstörung der Vernunft“ den „romantischen Irrationalismus“ als Keimzelle der faschistischen Mentalität dingfest machen wollte und eine Traditionslinie „von Hegel zu Hitler“ zog. Einen Verbündeten fand er dabei in Thomas Mann, der in seinem Roman „Doktor Faustus“ ebenfalls die Romantik als ein Zerfallsprodukt des Nationalsozialismus interpretierte.

Es dauerte bis in die sechziger Jahre, bis sich der ideologiekritische Starrkrampf löste und die Leistungen der Romantik nicht nur rehabilitiert, sondern auch als Signum einer philosophisch-ästhetischen Modernität erkannt wurden. Dennoch irrlichtern bis heute völlig gegensätzliche Deutungen des Romantischen durch die Öffentlichkeit.

Um das Tohuwabohu der Romantik-Deutungen zu ordnen, hat nun der Essayist Rüdiger Safranski, ein Panorama der Denkfiguren des Romantischen vorgelegt. Es ist, wie so oft bei diesem Meister der lesbaren Philosophie-Erzählung, ein unterhaltsamer ideenhistorischer Spaziergang, mit allerlei Abschweifungen.

Aber Geduld im Detail ist Safranskis Sache nicht. Im Bemühen um eine weiträumige Perspektive macht er nur kurz an den Knotenpunkten der Epoche Halt, um gleich weiterzuhasten zum nächsten Ziel. Dabei wird der Romantik-Begriff bis an die Grenze der Belastbarkeit ausgedehnt. Safranskis Erkenntnisinteresse gilt nicht nur der historischen Romantik von den Gebrüdern Schlegel bis E.T.A. Hoffmann, deren Denk- und Schreibformen eine eigene Untersuchung wert gewesen wären. Safranski will aber mehr: nämlich eine Wirkungsgeschichte des Romantischen von Nietzsche bis zu den sozialromantischen Befreiungsträumen der 68er-Bewegung. Die Stärken des Buches liegen zunächst in der geschmeidigen Essayistik der ersten Kapitel, in denen Safranski seinen Streifzug durch die Geisteslandschaft der Romantik startet.

Ausgehend von einer Seereise Johann Gottfried Herders im Jahr 1769 und der Utopie einer „Universalgeschichte der Bildung der Welt“ wird die enthusiastische Leidenschaft gezeigt, mit der die Romantiker darangingen, „die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch zu machen“ (Friedrich Schlegel). Eine Vision, die sich keineswegs auf die Ästhetik beschränkte, sondern die fundamentale Veränderung der Gesellschaft auf die Tagesordnung setzte. Aber schon mit Friedrich Schlegel, dem beweglichsten Geist der Frühromantik, beginnen die schroffen Selbstwidersprüche. In seiner Jugend ist Schlegel atheistisch, Anhänger der Französischen Revolution und entwirft die Idee der „progressiven Universalpoesie“. Binnen weniger Jahre mutiert er dann zum katholischen Frömmler und zum Diplomaten in Diensten des reaktionären Fürsten Metternich. Ähnliche Lebensläufe findet man bei Clemens Brentano oder Joseph von Eichendorff, dem Dichter des Heimwehs, der als Regierungsrat seine romantische Utopie in eine konservative Staatsfrömmigkeit einbettete.

All diese Widersprüche werden in Safranskis Studie zwar streiflichtartig skizziert, aber in den biografischen Einzelheiten nicht immer bis in die letzte Konsequenz verfolgt. Auch bewegen sich die Einzelporträts nicht durchweg auf dem gleichen Niveau. So wird der „skeptische Fantast“ E.T.A. Hoffmann, dem Safranski 1984 eine eigene Biografie widmete, in einem brillanten Kurzporträt gewürdigt, während die Gestalt Eichendorffs doch ein wenig unscharf bleibt.

Unterbelichtet bleibt auch das „älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus“ von 1797, ein Schlüsseltext der Frühromantik, in dem eine „Mythologie der Vernunft“ eingefordert wird. Safranski will hier nur ein bescheidenes „volkspädagogisches Projekt“ erkennen, vermutlich deshalb, weil der „Systemprogramm“-Text so gar nicht zur Verifizierung seiner These taugt, die das Romantische auf eine religiös inspirierte „Metaphysik des Unendlichen“ festlegen will.

Als Navigator durch eine widerspruchsreiche Epoche der deutschen Kultur ist dieses neue Safranski-Buch dennoch äußerst lehrreich und bestsellerverdächtig. Für Unbehagen sorgen einige Akzentsetzungen. Da ist zum einen die Überbetonung jener Wesensverwandtschaft von Poesie, Ästhetik und Religion, auf die Novalis und Schleiermacher ihr Denken gründeten. Aus dieser Disposition zur Gefühlsreligion sieht Safranski die Anfälligkeit für die Suggestionen des Nationalen, des „Dionysischen“ und des „willkürlichen Mystizismus“ erwachsen. Dabei wird der Weg von der wissenschaftsbegeisterten Frühromantik zu den Musik-Mysterien Wagners und zu den Ekstasen der „metaphysischen Sturmbannführer“ um Heidegger verkürzt.

Es gerät aus dem Blick, dass in der Frühromantik nicht die Exaltation des Rausches, sondern die philosophische und ästhetische Selbstreflexion im Vordergrund steht. Ein Novalis träumte zwar von der Wiedergeburt der „Christenheit“ in Europa, aber beharrte auch auf die Rückbindung der Poesie an die Mathematik und die harten Naturwissenschaften. Die Romantik – das war eben nicht nur „schöne Verwirrung“ (Novalis) und dionysischer Rausch (Nietzsche), sondern eben auch die kühne Utopie, man könne Poesie, Wissenschaft und Kritik, Religion und Vernunft miteinander verschmelzen.

Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre. Hanser Verlag, München 2007. 416 S., 24,90 €.

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