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Kultur: Die Erfindung Roms

Päpste des Barock: Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt die Pracht des 17. Jahrhunderts aus den Vatikanischen Sammlungen

Der Barock, als Begriff ursprünglich abwertend etwas „Schiefes“ bezeichnend, wie die wörtliche Übersetzung lautet, gilt längst als eine der großen Epochen der europäischen Kunstgeschichte. Im Wesentlichen umfasst sie das 17. Jahrhundert. Ihre Hauptstadt ist Rom. Das Zentrum des barocken Rom aber ist der Vatikan.

Das Bild, das heute weltweit für Rom als dem Mittelpunkt der katholischen Kirche geläufig ist, das des Petersplatzes mit seinen Kolonnaden und der mächtigen Kuppel des Petersdoms über der breit gelagerten Fassade – dieses Bild entstand im Barock. Gianlorenzo Bernini (1598– 1680), der geniale Bildhauer und Architekt, der dem Platz seine erst 1672 vollendete Form gab, erläuterte sie dem befreundeten Papst Alexander VII. dergestalt, dass die Kirche „mit offenen Armen die Katholiken aufnimmt, um sie in ihrem Glauben zu bestärken, die Häretiker, um sie mit der Kirche zu vereinigen, und die Ungläubigen, um sie mit dem wahren Glauben zu erleuchten“.

So ist es nur folgerichtig, dass das wundersame Holzmodell, das der greise Michelangelo (1475–1564) als seit 1546 amtierender Baumeister des Petersdoms in den Jahren 1558–61 anfertigen ließ und sein Nachfolger Giacomo della Porta 1585 überarbeitete, im Mittelpunkt der großartigen Ausstellung „Barock im Vatikan. Kunst und Kultur im Rom der Päpste 1572 –1676“ steht. Gestern Abend wurde sie im Martin-Gropius-Bau eröffnet. Als Übernahme aus der Bonner Bundeskunsthalle nach Berlin gekommen, kann sie sich hier dank des Rundgangs im Obergeschoss deutlicher akzentuiert zeigen.

Im heutigen Verständnis gilt die Renaissance als die Epoche, in der die Grundlagen der heutigen Welt gelegt wurden. Darüber werden die wissenschaftlichen Leistungen des vermeintlich nur auf die Sinne des Betrachters zielenden Barock gerne übersehen. Doch auch in der Kunst schuf erst der Barock das römische Gesamtkunstwerk, wie es seit der Antike nicht mehr bestanden hatte. Und die Herren des Barock waren die Päpste und ihre adeligen Familien, die sich um die Vorherrschaft in Rom und im Kirchenstaat stritten. So zeigt die Ausstellung zunächst in strenger Chronologie die Auftrags-, Sammel- und Mäzenatentätigkeit der sieben bedeutendsten Päpste zwischen 1572 und 1676. Sie kulminiert in der Baugeschichte von St. Peter mit dem gewaltigen Modell. Schließlich widmet sie sich den Wissenschaften sowie den Orden, vor allem den Jesuiten, in deren durchgeistigter Ordnung sich die Sphären von Glauben und Wissen mischen.

Der barocke Aufstieg Roms hat zur Voraussetzung die Reformation, die sich seit 1517 ausbreitete und mit der Formel des Augsburger Religionsfriedens von 1555, cuius regio eius religio – wer die Herrschaft hat, bestimmt den Glauben des Landes –, den Universalitätsanspruch der katholischen Kirche für immer unterminierte. Daraus erwuchs die Gegenreformation, daraus entbrannte der Dreißigjährige Krieg. Beides ist nicht Gegenstand der Ausstellung, muss aber beim Rundgang stets bedacht werden.

Innerhalb dieser Konstellation entfaltet sich die Welt des Vatikan. Die Ausstellung, besorgt von einem elfköpfigen Kuratorenteam unter Leitung von Lothar Altringer und Arnold Nesselrath, führt sie überzeugend als einen durchaus nicht auf Glaubensdinge verengten, sondern den Forscherdrang gleichermaßen einschließenden Kosmos vor. So ist ja bereits der Bau des Petersdoms neben seiner symbolischen Bedeutung ein grandioser Akt der Architekten- und Ingenieurskunst. Vor genau 500 Jahren, am 18. April 1506, legte Renaissance-Papst Julius II. den Grundstein zum Neubau. Das spätere, fünf Meter hohe Holzmodell aus der Fabbrica di San Pietro in Vaticano, das vor einem Jahrzehnt bereits im Alten Museum Berlin gastierte, stellt eine an den Ursprungsplan Bramantes von 1505 sich anlehnende, jedoch gestrafftere Fassung dar. 1593 wurde die Kuppel vollendet. In ihrer vereinfachenden Monumentalität mag man einen Hauptzug des Barock erkennen, der die Ästhetik der Renaissance zu bildkräftiger Sprache verdichtete. Das Langhaus, das die Kuppelansicht beeinträchtigt, entstand erst im Anschluss durch Carlo Maderno bis 1626.

Folgenreich waren die rücksichtslosen städtebaulichen Maßnahmen, die der als Einziger aus nicht-adligen Verhältnissen stammende Sixtus V. in seinem nur fünfjährigen Pontifikat ab 1585 in Rom durchsetzte: die Verbindung der Hauptkirchen durch Sichtachsen und deren Markierung mit Obelisken – Rom als ein gebautes Sonnensystem.

Anders lagen die Verhältnisse in Malerei und Skulptur, die tatsächlich mit dem Harmonieideal der Renaissance brachen. Die zahlreichen Ausstellungen der vergangenen Jahre zur Kunst des Barock und seiner Protagonisten dürfen nicht als Konkurrenz zur Berliner Ausstellung missverstanden werden. Das 1669 geschaffene Porträt des nur kurz amtierenden Papstes Clemens’ IX. von dem heute kaum bekannten Carlo Maratti wurde gewissermaßen zum Erkennungsbild der Ausstellung, während etwa das ungleich kraftvollere Porträt des Vorgängers Innozenz X. von Diego Velázquez (1650) in Rom verblieb: eine Wahl, die das Problem der unterschiedlichen Themenstellung beleuchtet. Denn die Berliner Ausstellung ist zwar mit Bildwerken hoher Qualität gesegnet – stets jedoch auf das Umfeld päpstlicher Selbstdarstellung und -verherrlichung verengt. Pietro da Cortonas feinmalerisches Portrait Urbans VIII. von 1631 ist da nur ein – freilich exquisites – Beispiel. Ein anderes ist das seltsame Bildnispaar Ferdinand Voets von Kardinal Flavio Chigi , das ihn 1670 offiziell, neun Jahre später indes im Morgenrock als derangierten Lebemann zeigt.

Als kulturhistorisches Panorama kann die Ausstellung die Standardwerke der Kunstgeschichte durchaus übergehen. Ein früher Rubens von 1606 mag genügen. Sensationell ist vielmehr das Kapitel über die Wissenschaft in der Glanzzeit der Jesuiten, diesen strategisch ausschwärmenden Missionaren. Die weltumspannende Tätigkeit der Jesuiten förderte zugleich ihre naturwissenschaftlichen Forschungen – bis hin zum Musaeum Kirchnerianum, das Athanasius Kirchner in Rom einrichtete. Auch die Kalenderreform durch Gregor XIII. 1582 wurde durch jesuitische Mathematiker vorbereitet. Im wichtigsten Streitfall der Epoche jedoch beharrte das Papsttum auf der Tradition gegen alle Evidenz: bei der Frage des kopernikanischen Weltsystems. 1609 stellte Galilei sein Fernrohr vor, das den Himmel säkularisierte. Der ernüchternde Gang der Erde um die Sonne war nun zu beweisen. Und zugleich entstand das Mikroskop. Erstes Objekt: ausgerechnet die Biene. Sie war das Wappentier der mächtigen Familie der Barberini mit Papst Urban VIII. (1623 – 1644), unter dem sich der Aufstieg Berninis zum Regisseur aller Künste und Festlichkeiten vollzog.

Die Terrakotta zu Berninis Hauptwerk des Barockpathos’, der „Verzückung der hl. Theresa von Avila“ von 1647, gibt wie noch weitere solcher bozzetti Einblick in die Werkstatt der Künstler. So schlicht begannen die Hauptwerke, die die bildsprachliche Überwältigung des Betrachters zum Ziel hatten, eben die propaganda fidei. Es war ein Hauptanliegen der Barockkunst. Die Cappella Cornaro als Gesamtkunstwerk, in deren Mittelpunkt die Skulptur steht – gestiftet von einem Kardinal, der es trotz ungeheurer Geldmittel nicht zur Papstwahl schaffte –, lässt sich natürlich nicht darstellen.

So bleibt als Fazit, dass das hoch ambitionierte Projekt vielfältige Einblicke in den Reichtum Roms und des Vatikans bietet, aber doch gelegentlich an Grenzen stößt. Dass hingegen die Baugeschichte des Petersdoms so vorzüglich ausgebreitet werden kann, ist eine Sensation. Der gewichtige, die gut 300 Ausstellungsobjekte weit übergreifende Katalog bietet zudem Lektüre genug, um sich für einen Besuch in Rom zu wappnen – eben dem Mittelpunkt der barocken Welt.

Zum 18. April, dem 500. Jahrestag der Grundsteinlegung des Petersdoms, befindet sich das Holzmodell Michelangelos nicht in der Fabbrica von St. Peter zu Rom, sondern in Berlin. Erstmals konnte aus den Sammlungen der drei Institutionen der Vatikanischen Museen, der Dombauhütte und der Apostolischen Bibliothek eine Ausstellung zur Auftragstätigkeit der Barockpäpste zusammengestellt werden. Auch aus den Berliner Museen kamen bedeutende Leihgaben.

Die Ausstellung ist

bis zum 10. Juli im

Martin-Gropius- Bau

zu sehen (Katalog im E.A. Seemann Verlag, 536 Seiten, 29 €).

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